
86 II. K.\PITEL. D.\S WELTBILD DES MITTEL.\LTERS.
die Bekenner des Islam. Lebhafte Unterliandhiiigen zwiseheii den
Höfen des "Westens nnd des Ostens entspannen sieh, und der christliehe
Botschafter fand Gelegenheit, in die Geheimnisse der asiatischen
Steppe einzudringen und die orientalische Pracht der mongolischen
Millionenstädte zu bewnndern. Älit dem Niedergang der mongolischen
Dynastie der Tuen im Jahre 1368 und dem Aufkommen der einheimischen,
dem Ausländer gegenüber intoleranten Ming-Dynastie
fanden die Reisen nach dem Reich der Mitte ihr naturgemässes Ende.
Ein volles Jahrhundert hatte Lmer-Asien den forschenden Reisenden
Olfen gestanden: 1245 erreichte der Franziskaner P i a n o di
Garpiiii, als Gesandter des Papstes, über Sarai und Omyl das ferne
Karakorum, den Sommeraufenthalt der Mongolen-Ivhane; auf demselben
Wege folgte ihm sieben Jahre später (1253) Wi l h e l m R u b r u c k ;
am gründlichsten von Allen aber hat den Kontinent Ma r c o P o l o
erschlossen, welcher 24 Jahre lang ihn kreuz und quer diu'cliwandert
und die Ost- und Südküsten belahren hat. — Spätere
Slissionare inid Handelsleute brachten mannigfache Ergänzungen zu
den bisherigen Ergehmssen. So hereiste um 1294 bis 1305 J o h a n n
von Mo n t e cor v i n o Persien und Indien und erreichte China auf dem
Seewege, wo er hi Camhalu (Peking) eine Kirche und ein Kloster
gründete und zum Erzbischof aller der christlichen Gemeinden
ernannt wurde, die dort in den fernsten Gebieten des Erdkreises
entstanden waren. Em 1316 finden wir Od o r i e h v o n P o r d e n o n e
über Tabris, Jesd, Bagdad und Ormus ebenfalls auf dem Wege nach
Indien, von wo er die Sunda-Inseln Sumatra, Java und Borneo
be.suchte und über Kanton auf dem Landwege naeh Zaiton, Fuzo,
Cansay (Qunisay) bis nach Cambalu gelangte. Fast denselben Rciseweg,
nur in umgekehrter Richtung, legte in den Jahren 1339 bis 1353
der Franziskaner J o h a n n v o n Ma r i g n o l l i zurück. End wie oft
damals die Karawancnstrasse aus 3Iittel-Europa über Sarai, LTrgendsch,
Almalik nach Cambalu von Europäern begangen sein mag, zeigt am
besten die Thatsache, dass sogar ein Reise-Handbuch zu diesem
Zweck von P e g o l o t t i verfasst war, der es aus Berichten früherer
Reisender zusammenstellte, da er selb.st die Reise dorthin niemals
gemacht zu haben scliehit. — Als dann seit 1368, in Folge der
ungünstigen politischen Verhältnisse, der Besuch China's unmöglich
gemacht wa r , konnte sich das Literesse ausschliesslich nur noch den
indischen Gebieten zuwenden. Neben der l'ahrt J o s a f a t B a r b a r o ' s
nach Ormus (1436 bis 1452) ist hier vorzüglich die Reise des Ni c o l o
de' Cont i zu nennen, der als der erste Europäer quer über die
KENNTNIS V03I NORDEN .ISIENS. 8/
Vorderhidische Halljinsel zog, daim SeUana (Ceylon), Sciamuthera
(Sumatra) und Tenasserim kenneu lernte, den Ganges aufwärts fuhr
und auf seinen Kj-euz- und Querfahrten ein zweites Mal Hinter-Indien
und den Sunda-Archipel aufsuchte.')
Übersehauen wir aber hier in der Kürze das Facit, welches sich
aus allen diesen Reisen füi- die Erweiterung des geographischen
Geschichtsfeldes ergab! Zunächst machen wir die Beobachtung, dass
die Asien-Reisenden des XIH. und NIV. Jahrhunderts den 50. Breitengrad
an keüier Stelle überschritten haben; die Strasse von Sarai nach
Karakorum bildet die Nordgrenze der thatsächlich bekainit gewordenen
Gebiete. Von den weiten Länderflächen des Em-opäischen Russland
imd der nordasiatischen Tiefebene hatte man nur sehr allgemein
gehaltene Vorstellungen, und die Länderkenntnis hatte sich seit
Ptolemaeus nach dieser Richtung kaum nennenswert erweitert. Auf
der Weltkarte des Cainaldulenser-Mönches Fra Mauro ist das nordasiatische
Flachland durchaus unberücksichtigt gelassen; nicht allzu
fern von Karakorum und der Landschaft Tenduc aui Hoangho ist der
Nördliche Ocean. Marco Polo berichtet nacli Höreusagen, dass nördlich
vom Reich des Tartaren-Königs Konchi das »Land der Finsternis«
liege, »wo weder Sonne, Mond und Sterne scheinen, und es so
dunkel ist, wie bei uns im Zwielicht«.") Die Existenz eines solchen
Landes und die Erzählmigen, die sich hieran knüpfen, wie die von
den Tartaren Konchi's, welche sich, um Beute zu machen, in jene
Finsternis hinein wagen und auf Stuten reiten, um mit ihrer Hülfe
den Weg aus der tiefen Dunkelheit wieder heraus zu finden, weil die
Stuten instiiiktmässig zu ihren zurückgelassenen Fohlen zurückzukehren
bestrebt seien, lehnen sieh nur an die physische Thatsache der
halbjährigen Polarnacht an, welche schon den Alten zu manchen
phantastischen Berichten Veranlassung gegeben hatte. Weiter östlicli
vom Rciche Konchi's, nördlich von Karakorum und dem Altai, wird
von Polo als das nördlichste Gebiet die E b e n e v o n Ba r g u genannt,
welche sich vierzig Tagereisen weit nach Norden erstrecke und
uimiittelbar an den nördlichen Ocean grenze. Dorthin verlegt er die
Inseln der Geierfalken, »aber ihr müsst wissen, dass der Ort bereits
so weit nördlich ist, dass ihr den Nordstern südwärts lünter euch
Wir müssen es hier ans begreiflichen Gr ünden bei der einfachen Name n n e n n n ng
der bedeutendsten Reisenden bewenden lassen. Es wi rd k a um nötig sein, auf die klassischen
Darstellungen H e n r y Y u l e ' s und F e r d . v o n R i c h t h o f e n ' s , welche diesen Gegenstand
aufs Eingehends t e , fast e r s chöpf end, behandelt h a b e n , noch besonder s hinzuweisen.
Marco Polo IV, cap. 21. Hierzu die Not e 1 bei Yu l e , Polo I I , 415.
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