
2 7 0 IV. KAI'ITEL. DAS WELTBILD ZUR ZEIT DES COLUMBUS.
Aller seine Vernnitiingen, das Festland vor sich zu haben, scheinen sich
zum guten Teil, iUinlich wie trüher bei Cuba., auf angebliche Beobachtungen
der Fauna jenes Landes zu gründen. Petrus Martyr schreibt
diesen eine besondere Bedeutung zu, wenn er sagt, »für die
Annahme, dass dieses Land das Festland ist, gilt mir als gewichtigster
Grund der, dass die dortigen Wälder voll sind von
Tieren des Bimienlandes (ammalihus iiostratibus), von Hirschen, Wildschweinen
und ähnlichen Gattungen, von Vögeln, Gänsen, Enten mid
Pfauen«.')
Es ist für Cohimbus charakteristisch, dass er mehrfiich aus den
geringfügigsten Erscheinungen l'olgerungen von der weitgehendsten
Bedeutung gezogen hat. Als er die Westspitze Cuba's sich ein wenig
südlich krümmen sah, schloss er aus diesem örthch-beschränktcii A^orkommnis,
dass nunmehr die ganze nachfolgende Küste diese Richtung
innehalten müsse, dass sie folglich bis zum Äquator sich ausdehne.
Dass diesmal seine Folgerung zutraf, darf man ihm kaum als ein
besonderes Verdienst anrechnen, sobald man die von ihm gestellte
A'oraussetzung prüft. Aber von seiner früheren Vermutung liess er
sich nicht abdrängen, und schlie,sst daher -weiter, dass die Küste von
Paria thatsächhch die Fortsetziuig der Küste Cuba's ist. Dies bezeugt
Petrus Martyr ausdrücklich in jenem oben berührten Brief au den
Kardinal Bernardino Caravajal,") wo er die Meinung des Columbus
bespricht, der da behauptete, dass Cuba mid die mnliegende Küstengegend
mit jener von Paria, die er bis zum sechsten Breitengrade
neuerdings erforscht habe, notwendig zusammenhuige, dass also
b e i d e a l s Te i l e de s t r a n s - g a n g e t i s c h e n I n d i e n s z um F e s t l a i i d e
g e h ö r e n .
rolnnt, non autem Guham, uti prae/ectm. In derselben I. De c ade , cap, 10, S, 97: Pariae
namgue littus tractu continuo lamhentes quod Indicurn esse continentem credunt.
') J l a r t y r , op, epist.,, No, 1S8, S, 96; vgl, f e rne r H i s t o r i e , cap, 71, .S. 1 6 2 a und b:
quella (terra), la quale haueua per eertissimo che fosse terra ferma, per la grandezza di quel
yolfo delle perle e dé ßumi, che da quello uscirano e del mare, il quale tutto era dacque dolce
e per l'auttorità di Esdra nel ottauo Capitolo del quarto lihro, che dice, che di sette parti della
sfera sola una è coperta dalF aequa, perche tutti eßlndiani dell' Isole di Canihali gli haueuano
detto, che alla parte del 3Iezodi v' era grandissima terra ferma.
') Mai-tyr, op. epist., No. 168, S. 96. Der Brief ist fälschlich vom Oktobe r 1496
d a t i r t ; da abe r die Ergebnisse der dritten Reise des Columbus (Paria) Erwä h n u n g finden,
gehört er sicher einer späteren Zeit an. Die in Fr a g e kommende Stelle lautet: Ex orhe
noro attulit Admirantus noster Colonus, ab oris quihusdam, quas percurrit, ad meridiem, ad
gradum ab Aequinoctio sextarn, unionum orientalium serta pleraque, putat regiones has esse Cubae
contiguas et adhaerentes. ita quod utraeque sint Indiae Gangetidis continens ipsum, dies, et per
haec littora navigavit pluros, nec finem aut termini ullum se vidisse argumentum fatetur.
COLUMBUS- MEINUNG, DIE KUSTE ASIENS ERREICHT ZU HABEN. I 1 I
Der Glauben, dass er der Entdecker der ost-asiatischen Küste
auf dem Seewege war, hat ihn bis zu seinem letzten Atemzuge nicht
verlassen; er leuchtet allenthalben aus sehien Briefen und anderen
Schriften hervor, und Columbus luit miausgesetzt darnach getrachtet,
neue Beweismouiente für diese Ansicht zu gewinnen. Demi sehie Entdeckungen
schienen ihm erst dann vollen Anspruch auf Bedeutung
zu haben, wenn sich die von ihm anfgel'undeneii Länder als Teile
des vielgepriesenen, goldreichen Ostens Asiens erwiesen. Nur um die
vielbesprochenen Produktionsorte der Spezereien und Gewiirze aufzufinden,
hat er sich auf den gelahrvollen AVeg begeben. Würde in
ihm die Vermutung Platz gegriflen haben, dass sich zwischen die
beiderseitigen Festlandsküstcn ein eigener Konthient zwischenlagere,
er hätte nie imd nimmer mit so . iel Hartnäckigkeit ein so zweckloses
Unternehmen durchgesetzt. Die dämonische Macht des Goldes hat
ihn zur kiihnen That begeistert; und er war naiv genug, diesen
höchsten Endzweck seines Erdwallens unzählige Blale einzugestehen,
wenn er freilich zuweilen auch vorgab, nur die jNIittel beschaffen zu
wollen, um das Heilige Grab wietler zurück zu erobern — ein Plan,
der von Seiten seiner Zeitgenossen mit vielem Gelächter aufgenommen
wurde, — um so seine goldgierigen Gelüste der Welt gegenüber
wenig.stens einigermaassen zu beschönigen.
In seinem kosmographischen Sy.stem aber sind ehie Unmenge von
Missverständnissen und AVidersprüehen zu verzeichnen, die lediglich
aus dem wirren Durcheinander seiner Vermutungen und Spekulationen
hervorgingen, über die er schlies-slich selbst nicht mehr den genügenden
i'berblick hatte. Das ^leer. in welchem er seine Entdeckungen machte,
war für ihn das Indische. Schon in tlem ersten Brief welchen er an
den Schatzmeister Raphael Sanchez, von der Azoren-Lisel Sta. Maria
aus, schrieb, erklärte er, dass er in dass Indische Meer gelangt wäre,
und dort die zahlreichen Insebi aufgesucht hätte,') Seine vielfachen
Bemühungen, den Gross-Khan aufzusuchen, von dessen Residenz er
') Dieser Brief ist, als erste Flugschrift der Entde ckung .Amerika's, in einer lateinischen
ijbei-setzung des .Aleander de Cosco in mehreren Ausgaben in Italien gedruckt worden,
und zwai- noch in dem J a h r dei- Kfickkehr des Columbus von seiner ersten Reise (1493),
A'gl, hierüber besonders Ha r r i s s e , Bibl. .Americana vetustissima, S. 1—2 7 . Die Überschrift
des Drucke s fasst die neuen Ergebnisse als Entde ckungen der Asiatischen Küs t e auf:
Epistola Christofori Colom: cui etas multum debet: de Insulis Indie supra Gangem nuper
inuentis. Nu r in einer .Ausgabe (bei Ha r r i s s e , No. 2, S. 16) heisst es statt dessen : de Insulis
in mari Indico nuper inuentis. Im Anf ang dieses Briefes fasst Columbus seine Entdeckungen
dabin ziisammen: Tricesimo tertio die postquam Gadibus discessi, in mare indicurn
perueni, ubi pluriamas insulas innumeris habitatas hominibus repperi.
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