
2 9 2 IV. K.\PITEL. D.\S WELTBILD ZUII ZEIT DES C0LU3IBUS.
ioli etwas mit gewielitigeii GiiiiKlen Naeliweisbares auf den Weltkarten
finden können. Einige verlegten es an die Quellen des Nd in
Aethiopien. Andere aber, welche diese Länder bereisten, haben
nichts dem Ähnliches gefunden, weder der Mdde des Klimas, noch
der himmelhohen Lage nach, inn hieraus schhessen zu können, dass
sich dort das Paradies befmiden hätte, noch, dass die Wasser der
Sintflut dorthin hätten gelangen können, nm es zu bedecken. Einige
Heiden hielten es für enviesen, dass es auf den Kanarischen Liseln,
den Liseln der Seligen, zu suchen .sei.«
»Isidor, Beda, Strabo, der Meister der scholastischen Geschichte,')
Auibrosuis, Scotus und alle die übrigen heiligen Theologen stimmen
dahin iiberein, dass das irdische Paradies im Osten lag.«
„Ich sagte schon, was ich über diese Halbkugel und ihre Gestalt
ermittelt habe, und ich glaube wohl, wenn ich weiter unterhalb den
Äquator passirte und zu der höchsten Gegend vordränge, wo man
eine noch sehr viel mildere Natur und bedeutendere Veränderung im
Stande der Sterne, wie auch A^'erschiedenheit an den Gewässern
beobachten -würde, — nicht als ob ich annehme, dass man dorthhi
bis zur höchsten Höhe emporfahren kann, und dass dort Wasser ist,
noch dass man dahin gehen kann, weil ja Niemand zum irdischen
Paradies ohne Gottes Willen gelangt, — dass dieses Land, welches
mir Eure Hoheiten zu entdecken befahlen, uuermesslich gross ist, und
dass noch viele andere Länder im Süden liegen, von denen man noch
keine Kunde hat.«
»Ich bin nicht der Meinung, dass das irdische Paradies nicht auf
einem Steden Berge liegt, wie es allgemein beschrieben wird, sondern
auf einer Erhöhung, wo, wie ich sagte, der Stengel der Birne ansetzt,
und dass man schon aus weiter Ferne allmählich ansteigend sich
dem Paradies nähert, dass aber Niemand bis zum Gipfel gelangen
kann. Lidessen glaube ich, dass dort jenes Wasser entspruigt und
bis zu diesem Orte gelangt, wo ich mich befinde, und hier den See
bildet. Alles dies suid bedeutende Anzeichen für die Nähe des
Paradieses, weil die Lage desselben durchaus den Annahmen der
Heiligen und gelehrten Theologen entspricht, und die Anzeichen sind
'} I\Iit s t r a b o ist j e n e r Wala!il-rid Str.-ibo gemeint, d e r , ein Seliüler des Hr a b a n u s
Maurus, im IX. Jalu-iumdert als -Abt am Kloster Reichenau am Bodensee wirkte. \'gl.
Wattenbach, Detitschlands Geschichtsquellen I, 22-2. Ii-rtümlieh haben H u m b o l d t (Krit.
Unters. I I . 77) und ebenso R ü g e (Zeitalter, S. 201) das nachfolgende -INIeister der
scholastischen Geschichte- als Apposition zu .Sti-abo ge zogen, wa s aus chronologischen Gründe n
sich von selbst widerlegt. Es ist vielmehr Pe t r u s Coiuestor, d e r sogenannte »Ilistorienmeister
gemeint ; vgl. oben S. 262.
COLUJIBUS IN DER NAHE DES PARADIESES. 293
um SO bedeutsamer, als ich niemals gehört und gelesen habe, dass
eine solche Menge Süsswassers in der Mitte und in der Nähe von
Salzwasser sicli noch irgeiulwo finilet, nnd noch dazu bei einem so
milden Klima. AVeiui dieser Fhiss nicht aus dem Paradies kommt,
so scheint es ein noch grösseres AVimder zu sehi, weil ich nicht
glaube, dass sich irgendwo auf der Welt ein Fhiss von solcher
Grösse und Tiefe findet.«')
In der That hatte ein Teil der älteren Bibel-Exegeten dem
Paradies eine hohe Lage zuerkannt, um es so einerseits von der
profanen, von sündhaften Menschen bewohnten Erde zu sondern,
anderseits aber auch dem Himmel näher zu rücken. Die Notwendigkeit
einer solchen Lage wurde durch den Hinweis darauf bewiesen,
dass es sonst von der Alles bedeckenden Sintflut nicht verschont geblieben
wäre, wie es denn auch dem Erdenbewohner erschwert und
unmöglich gemacht werden sollte, ohne göttliche Fügung das Pai-adies
zu betreten. »Die Höhen aller Berge liegen unter seiner Höhe«, sagt
der Syrische Kirchenvater Ephräm. »Zu seinem äussersten Rande
nur gelangte das Haupt der Sintflut, seine Füsse küsste sie und
betete sie an und wendete sich hinabzusteigen und zu berühren das
Haupt der Berge und Höhen.« Stufenweise baut es sich dort auf,
und jede höhere Stufe schhesst den Genuss eines höheren Ruhmes in
sich.'-) Aber auch auf den Karten finden wir dieselbe bergartige
Erhöhung, auf der das Paradies hegt, wieder; so z. B., um hier nur
einige zu nennen, anf der Karte von St. Sever, jener des Richard
von Haldingham und des Andreas AValsperger (vgl. Atlas, Tafel III,
No. 3, 8, 14). Jedenfalls war die vermeintlich erhabene Lage des
Paradieses schon mehrfach der Gegenstand der Erörterung gewesen,
so dass sich Columbus mit Fug und Recht hierauf berufen konnte.
Die imponirenden Wasserfluten des Orinoko, welche mit Getöse und
Gepolter in den Golf von Paria und dann durch den Dracheiisclihmd
stürzen, machten es ihm zur Gewissheit, dass dort in der Nähe des
Gollb de las Perlas, zwischen den Mündung-en des Sierpe und Dragon,
das irdische Paradies himmelhoch sich auftürmt. Die Rückschlüsse,
welche Columbus von der lierabstürzeiideii AVcisserinasse ciuf die Nähe
Navarrete I, 258 f.
-) Ephr a emi . opp. syriaca, t. I I I . 563, B 4; B 6. Eine ähnliche Beschreibung findet
sich bei J o h a n n e s v o n D a m a s c u s (Expositie accurata fid. or thodox , ed. Migne 9-1, 012) :
RRCTRRJC TY,C -yyc x s / u i i ' o c SV^IJAI;'; $S, y.AI Xf777or«7L»j YCE) ^A^UJUJRNROJ TTSJI-
?.nu7róusro^\ \'gl. lerner Mo s e s B a r e e p h a (Bischof von Be t h - r amam und Be t h - c e n o )
Commentarii de Pa r adi so, cap. 9.