
24 1. KAPITEL. DAS WELTBILD DER ALTEN.
Um die Wende des II. und I. Jahrliunderts v. Clir. lehrte auf Rliodus
der Philosoph ruul Geograph Po s i d o n i u s von Apamea. Von lebhaftem
Literesse für Länder- und Völkerkunde getrieben, hat er weite
Reisen durcli Eru'opa bis nach Gades unternommen und dort Erkundigungen
über den Ocean eingezogen. Sein Bestreben, das Weltbild
im weitesten Sinne zu umfassen, ermutigte ihn, sich den
schwierigsten Problemen der Erdkugellehre zuzuwenden; er war es,
der eine neue Berechnung der Erdgrösse vornahm, die in der Folgezeit
am weitesten Verbreitung fiiiid und für die Entdeckung Amerika's
von hen'orragender Bedeutung wurde. Auch die Frage nach der
Länge der Oiknmene und der Möglichkeit einer Überfahrt nach
Indien zog er in den Bereich seiner Untersuchungen, und die Zonenlehre
erfuhr durch ihn eine weitere Ausgestaltung.')
Auch die Römer hatten ruiterdessen in die Länderkmide thätig
eingegrififen; aber sie begnügten sich meist nur mit einer äusserlichen
Kenntnisnahme der Länder, soweit sie die politischen, militärischen
und administrativen Zwecke nötig machten. Die Kriege mit Karthago,
und später gegen Jugiirtha, machten sie mit den afrikanischen Küstenlandschaften
näher bekannt; in den Kämpfen gegen Viriatlms und
Sertorius erschlossen sie die Iberische Halbinsel; Caesars Erobenmgen
in (iallien, des Augiistus ui den Donauländern, des Drusus und Germanicus
in Germanien erötl'neten ihnen die nördlichen Länder. —
ßl. Vipsanius Agrippa begann sogar mit einer Vermessung und
Beschreibung aller Provinzen des Römischen Reiches. Eine Erweiterung
des geographischen Gesichtskreises aber Wirde hierdurch n i c h t
erzielt; deim die eine, luiter Augiistus ausgeführte Expedition des
Aelius Gallus nach Aethiopien und Arabien fallt nicht ins Gewicht.
Gelehrte Saminelthätigkeit eines P omp o n i u s Mela und P l i n i u s
war begreiflicherweise nicht dazu angethan, die wissenscliaftliche
Erdkunde zu vertiefen mid auszugestalten, und vollends für die mathematische
und physische Geographie thaten sie wenig oder garnichts.
Unter den griechischen Geographen des I. Jahrhunderts v. Chr.
nimmt S t r a b o von Ama s i a ohne Zweifel die erste Stelle ein. Seine
vielseitige, wissenschaftliche Bildmig, seine auf Autopsie sich gTÜndende
Keimtnis eines grossen Teiles der damals bekannten Welt befähigten
ihn, jenes umfassende Werk der Erdkunde zu schreiben, das ims ein
günstiges Geschick annäheiTid vollständig erhalten hat, und welches stets
Er schrieb ein physikalisches "Werk ipv:!-iao': in 6 Büchern und ein Buch
üy.ianZ. Jlüllenhuff (Deutsche Altertumskde. I, 126 ff.). Neben Diogen. Laert. (VII,
1, 70, 71) gedenkt seiner geographischen Thätigkeit besonder s Strabo (II, cap. 2 et passim.^
POSIDONirS, STRABO END PT0LEM.\ECS. 25
eine Fimdgrube für die Geschichte der Geographie bleiben wird.
Freilich dürfen wir auch die Schattenseiten desselben nicht verkennen.
Straho's migeteilte Voreingenommenheit für- die homerischen Gedichte
führte ihn auf die schiefe Bahn, in die alle stoischen Homerexegeten
geraten waren, und dem gegenüber vermag seine so überaus scharfe
Kritik über die Geographie seiner Vorgänger, besonders Herodot,
Pytheas rard Eratosthenes, nicht den beabsichtigten Eindruck hervorzurufen;
sie läuft vielfach nur auf eine Krittelei hinaus. Schon die
Alten scheinen keine allzu hohe Meimmg von ihm gehabt zu .haben;
sein Geschichtswerk (nicht seme Geographie) wird gelegentlich von
Plutarch rmd Josephus genaimt, während dagegen der ältere Plinius,
der sonst so leicht keinen geographischen Schriftsteller zu excerpiren
unterlassen hat, ihn nicht eines Wortes wr d i g t . Für mis hat Strabo
eine andere Bedeutimg; deim nur durch ihn mid seine meist unberechtigte
Polemik sind uns eine Reihe anderer Geographen und ihre (leider
nur fragmentarischen) Schriften vor vollständiger Vergessenheit bewahrt
geblieben, und vollends für die Entwickelungsgeschichte der Geographie
der Erdkugel verdanken wir ihm die wertvollsten Aufschlüsse.
Den denkbar glänzendsten Abscliluss hat die Erdkunde des Altertums
zu verzeichnen in der auf breitester Grundlage astronomischmathematischer
Studien aufgefühi-ten Geographie des Cl a u d i u s
Pt o l ema e u s . Was Hipparch einst erstrebt, war erst ihm beschieden
praktisch durchzuführen; mid er hat es gethan mit allen den Mittehi,
die den Alten hierfür zu Gebote standen. Aber er hat sich in dieses
Verdienst mit seniem Vorgänger Ma r i n u s v o n T y r u s zu teilen, den
wir als den eigentlichen Begründer der mathematischen Geographie
zu betrachten haben. Sein System behielt Ptolemaeus in der Grundlage
bei; aber er gestaltete es weiter aus uiid vervollständigte es
durch zahlreiche neue Längen- mrd Breitenhestimmungen, mid — was
nicht am germgsten anzuschlagen ist — er schuf für diese seine Bestimmungen
in der graphischen Wiedergabe eine mathematische Unterlage,
mdem er, den sphärischen Verhältnissen des Erdkörpers Rechnung
tragend, eine geeignete Kartenkonstruktion vorschlug. Auch das allgemeine
Weltbild erfulir dm-ch Marinus und Ptolemaeus eine nicht
mierhebüche Veränderung, wenn sie Asien nach Osten und Libyen
nach Süden eine viel grössere Ausdehnung gaben und beide Erdteile
durch jenes hypothetische Australland in Verbindung setzten, dessen
Spm-en wir bis tief in das Mittelalter hmein verfolgen köimen.
Li dem System des Ptolemaeus hat die wissenschaftliche Erdkunde
der Alten ihren Höhepmikt erreicht. Nach ihm begann der Verfall.
K r e t s c l i m e r , EntdecliunL'.\mcrika's. 4