
II. K.APITEL. U.i.S WEl.TIiILD DES 3IITTELALTEIÎS.
Abwek'liuiigeii von demsclljen liin und wieder sein mögen. So zeigt
eine We l t k a r t e des IX. Jahrliunderts in ehiem S t r a s s b u r g e r
^Manuskript eine aul'talleiid östliehe Verschiebung der nonl-südlielien
Teilungs-Axe (Tanais-NU), so dass Asien zu Gunsten Europa's und
Afrika's auf ein nur mässiges Kreissegment lieschränkt wird, und daher
auch Jerusalem aus der centralen Lage herausgerückt ist.') — Das
einlache, mathematisch abgezirkelte Grundschema fand um so uielir
Beifall, als es in leicht fasslicher Forin den Plan des AVeltliildes vor
Augen führte, und es findet sieh deshall) noch im XV. Jahrhundert
vor, trotzdem in der Zwischenzeit die Kartographie nicht unerhebliche
Fortschritte gemacht hatte.") Die in starrer Symmetrie verharrende
Weltkarte war daher in erster Reihe nur ein Belehrungsmittel, und
wenn wir sie in späterer Zeit noch in den Handschriften viellach \'orfinden,
so geschah dies meist nur im Anschhiss au den Text, welcher
die schematisirte Gestalt des Weltbildes behandelte und der Illustririuig
eines ebenso ausgeführten Schenia's benötigte. Dass diese linearen
Grundrisse nicht für eüie getreue Wiedergabe des Weltbildes gelten
sollten, ersieht man meines Erachtens am besten daraus, dass sie öfters
neben anderen Weltkarten dargestellt wurden, die im Einzelnen schon
weiter ausgeführt sind.')
Freilich scheint man in den älteren Zeiten sich mit dem einfachen
Kreis-Schema begnügt zu haben; denn erst seit dem X. Jahrhundert
beginnt man dasselbe mit topographischen Einzelheiten aus-
Zuerst publizirt vot] F. J. Mo u e im .Anzeiger für Ku n d e der teutsclien A'orzeit,
Ivarlsrulie, V. Jalirgang 1836, 1. Heft. Nach ilun Santarem und Le l ewe l , Ta f ATI, No. 25. —
Der kr e i s ruude Ocean führ t die Legende : mare magnum qund vocatur oceamnn. .'V[U östlichen
Oceanrande wohnen die .Amazonen und Moabiter, und der Zeichner giebt hiernüt seine noch
engbegrenzten Kenntnisse im Osleu zu erkennen.
Unter den schematisireuden AVeltkarten sind lier\-orzidieben ; d<as etwa dem Xl l . J a h r -
hundert angehörige Kartellen ztuu Text eines Honorins von .Augsburg, welches zuerst
Santarem verötVentliolit h a t : nach ihm Lelewel. .Atlas. Ta f \T11. Xo. 32. 33; Géogr. I , § 53.
Honorins giebt abe r nur die .Autfassiuig des Macrobius wi ede r , was besonders aus den von
jenem in die Ka r t e eingezeichneten meridionalen Oceanströnien, die an den Polen zusanunentreffen
und Ebbe und Flut durch Hi n - nnd Znrücksti'ömen erzengen, getbigei-t we rden muss.
(Macrob. in Somn. Scipionis L. 11. c. 9.) — Fe rne r die Kar t e des AA'alter \ on 5Ietz in
verschiedenen Hands chr i f t en seines AVerkes aus dem XIH. J a h r h u n d e r t (bei Santarem und
Lelewel); die AA'eltkarte in einem Wi e n e r Man u sk r ip t ; und j ene in dem Buche de statu Saracenorum
des AVilhelm von Tripolis aus dem XIA'. J a h r h u n d e r t (beide bei Santarem und
Lelewel. Ta f XXAT, No. 72, 73),
In einem Manuskr ipt Ciuido's der Bibliothèque de Bourgogne zu Brüssel (No. 3901)
ist auf fol. 44 verso das Schema , auf fol. 51 verso die ausgeführ t e AA-eltkarte gebracht. —
Ähnlich finden wir es in dem Tr.aktat über die Sfera des Leona rdo Da t i , •welche noch gegenwärtig
in zahllosen Handschriften verbreitet ist. Auf der Biblioteca Kiccardiana in Florenz
habe ich übe r dreissig Exempl a r e gezählt.
ACELTKAKTEN DES XI. UND XU. JAHKHUNDERTS. 101)
zustatten. Dieser rbergangsperiode in der EntAvickeluiig der Kartographie
gehört auch das Weltbild an, welches sich in einem Kodex
des Marcianus Capella der Leipziger Universitäts-Bibliothek findet') (vgl.
Atlas, 'lalel HI, Xo. 6). Der starre Schematismus, welcher sich ni dem
zirkelrunden Erd- und Oceanrande zeigt, sowie hi den bnear-gcraden
Teilungslinien, wird durch einige Städte-Veduten und Namen belebt,
Avoliei der Zeichner allerdings auf die richtige Lage dieser kein sonderliches
GcAvicht gelegt hat. Etwa derselben Zeit gehört die T u r i n e r
W e l t k a r t e an.") Auch sie hat zum Teil die strenge Symmetrie vermieden;
während das Mittelmeer und die Tanaishnie allerdüigs noch
geradlimg verlaufen, und die Insebi im Mittelmeer in einem seltsamen
Parallelismus ZA\isclien der ebenso parallelen Nord-Südküste dieses
Meeres aufgereiht, anderseits die länglich gestreckten Inseln des Oceans,
Tüe, Britania und Scocia, der Rundung der Erdscheibe angepasst
sind, hat der Kartenzeichner bei Eintragung des Nilflusses den wirklichen
Verhältnissen Rechnung tragen wollen. Wi r sehen auf seiner
Karte die beiden Quellfiüsse und die Insel Meroe verzeichnet, und im
Süden die Mondberge; ja er hat auch noch Raum gefunden, durch
einen in ost-westlicher Richtung streichenden Ocean-Arm einen vierten,
südlichen Kontinent anzubringen, das Australland der Alten.') Durch
die östliehe Verschiebung von Jerusalem i.st Asien, ähnlich wie auf
der erwähnten Strassburger Karte, unverhältnismässig verkleinert.
Schon erheblicher sind die AbAveichungen vom einfachen Schema
auf der Brüsseler Weltkarte des Gu i d o ' ) (vgl. Atlas, Tafel HI, No. 7).
Zuerst veröflentliclit von Ne uma n n : Catalogus librorum manus c r iptoruin, qui in
bibliotlieca senatoria civitatis Lipsiensis a s s e rvantur , tab. I I ; vgl. Sant a r em, Essai II,
93—98; Lelewel, Géogr. I, § 4 9 ; Atlas, Ta f I X , No. 34. — Zu beme rken ist n o c h , dass
Nil und Tanais nicht, wie sonst, die nord- südl i ebe Teilungslinie bi lden, sondern in schräge r
Richtung zu dieser am No r d - beziehungsweise S ü d - E n d e einmünden.
-) Die Kar t e ist in einem Komment a r zur Apokalypse enthalten (auf der Tur ine r
Bibliothek) und wird allgemein dem XI I . J a h r h u n d e r t zuge sprochen, währ end der A'erfasser
des Konunentars im ATII. J a h r h u n d e r t gelebt ha t , wie aus der Beme rkun g ersichtlich ist:
Ab adcmtu Domini nostri Jesu Christi usque in jjraeseyitem aeram sunt anni DCGLXXXVIl.
Dass die Ka r t e nicht dem A'IH. J a h r h u n d e r t angehör t, wu r d e aus paläographischen Gründen
gefolgei't. Zue r s t publizirt von P a s i n i : Codices manuscript i Bibliotecae Regii Taur iuens is
Athenaei, Tur in 1 7 4 9 .— Abbildungen vgl. ferner bei Sa n t a r em: Atlas composé de mapjiemoudes,
de portulans et des cartes hydrogr aphique s depuis le AT — XATI siècle, Paris 1849.
Nach ihm Lelewel, Atlas, T a f IX, No. 35, und J o m a r d : Monument s de la géographie,
Taf 5 8—5 9 ; Marinelli a. a. 0 .—A" g l . Sant a r em, Essai H, 127—153; Le l ewe l , Géogr. 1. § 50.
' ) Vgl. unten S. 129.
') Vgl. Sant a r em, Essai I I , 212 — 2 2 8 ; Le l ewe l , Géogr. I, § 52. — De r Codex trägt
die Jahreszahl 1119. — A'gl. P e r t z , Archiv f ait. deutsche Gesch. ATI, 537; R e i f f e n b e r g
im Bull, de l'Acad. de Bruxelles 1844.
te-
•1 • i i il . s ii ; • ^ } H -^ it i i î ;