
II. KAPITEL. DAS WELTBILD DES MITTELALTEIiS.
liebt hervor, dass lediglich talsche Schhi,ssfolgeniiigeii ziu' Hypothese
der rnliewoliiibarkeit gefidirt hätten: Einmal glaiJbe man, da.ss die
Sonne zwischen den Wendekreisen dem Erdkörper am nächsten sei;
sodami lidire man als weiteren Grund an, dass der Kälte am Nordpol
eine Hitze am Südpol entsprechen müsse, indem man durch die
sieben Klimate hindurch eine stetige Steigerung der Temperatur wahrnehme,
welche von der in ewigem Eis starrenden Nordpolar-Gegend
zu der in ewiger Somienghit versengten Südpolar-Gegend hiiüdierleite.
Hierzu geselle sich als dritter Grund, dass diese südlichen
Länder noch niemals von Menschen besucht worden seien. Fabeleien
von grossen Wüsten (deserta arenosa lomji spatü), welche zwischen
uns und den südlichen Ländern lägen, thäten das Ihrige, um den
Glauben an die Fnbewohnbarkeit zu befestigen. »Wi r a b e r , mi t
u n s e r em g e s ü n d e r e n E r t e i l , n e hme n v i e lme h r an, d a s s ein
v i e r t e r E r d t e i l ü b e r den Äq u a t o r h i n a u s n a c h S ü d e n zu
e x i s t i r t , we l c h e r n a t u r g emä s s b e w o h n b a r ist u n d a u c h t h a t -
s ä c h l i c h b ewo h n t wi rd.«' ) Das Beispiel von den Aethiopen lässt
für ihn keinen Zweifel hiergegen aufkommen: »denn wir wissen, dass
ein Teil von ihnen« — und hierbei beruft er sich direkt auf Homer
und seinen Kommentator Krates von Mallos') — »unter dem Sommer-
Wendekreis, also bei mis, wohnt, ein anderer aber unter dem Winter-
Wendekreis, der für jene jedoch der Sommer-Wendekreis ist.« Die
Bewohnbarkeit wird nur zuweilen in Frage gestellt; denn dass die
•VA'endekreis-Gegenden adustae sind, verhindert durchaus nicht, dass
sie zu verschiedenen Zeiten bewohnt werden können, nämlich so lange
sich die Sonne im entgegengesetzten Wendekreis befindet; und daher
ist es auch möglich, dass Bewohner der nördlichen Hälfte zu jenen
der südlichen hinübergelangen können, wobei sie nur darauf Acht zu
gellen haben, dass sie den Wendekreis ohne längeren Aufenthalt
passiren. Freilich findet eine Reise dorthin mir selten statt, weil die
vorhin genannten Wüsten, die durch die Sonnenhitze erst entstanden
sind, mit ihren Sandstürmen die mehrere Wochen erfordernde Durchreise
zwar erschweren, aber nicht unmöglich machen.') Für ganz
unglaubwirdig hält er die Erzähhnigen von ^lagnetbergen, welche
die Kraft hätten, 3Ienschen an .sich zu ziehen, ähidieh wie unsere
3Iagneten das Eisen.
') --Uberr. J l a g n . nat. loc. I. 7 ( J ammy V 270): rtrum ImhitaUUs sit gnarla terrae,
qiiae est ab aeqmnoct'mh usepte in poluni Ajistralem?
-) A'gl. oben S. 55.
' ) I.e.: ideo propter ariditatem Ulius continejil, quod parurn scimus de habitantibus ibi.
ZOXEN'LEIIRE NACH ALBEUTCS .'MAGNUS. 135
An einer .späteren Stelle aber spricht er noch von der Existenz
eines gewaltigen Oceans, der den Übergang nach dem südlichen
Kontinent erschwere, der jedenfalls also noch unterhalb jeuer Wüsten
liegend gedacht A\'ird. A'ielfach hatte man die Frage aufgeworfen,
weshalb noch nie ein Bewohner jenes Südlandes (inferioris hemüphaer'ti)
zu uns gekommen wäre. Es wäre falsdi, fährt er fort, hieraus den
Schluss ziehen zu wollen, dass das Land dort von Niemandem
bewohnt würde; vielmehr die Grösse des Oceans ist es, welche
Schwierigkeiten bereitet. »Weim er irgendwo einmal i'iberschill't
worden Ist, .so ist dies innerhalb der heissen Zone geschehen.«') —
So hatte sich also noch zur Zeit des Albertus Magnus der Austral-
Kontüient zu behaupten geAVUsst, und er wich erst melir und mehr
nach Süden zurück, als seit dem Ende des XV. Jahrhunderts die
Entdeckmigen der Portugiesen an der "Westküste Afrika's fortschritteii,
und die nach Süden ausgreifende Gestalt dieses Kontinentes, die
übrigens auf der Weltkarte des Mediccischen See-Atlas von 1351
schon richtig geahnt worden war, sich allmählich herausstellte.
Zum Schluss hahen wir aber noch euier Karte zu gedenken, auf
welcher das Australland gleichfalls zur Darstellung gebracht ist. Sie
beansprucht ein besonderes Interesse, insofern man auf ihr eine noch
dunkle Andeutung des Amerikanischen Festlandes erkennen wollte.
R a f n hat in einem Lsländischen Kodex des XIH. Jahrhunderts eine
kleine schematisirte Weltkarte aufgefunden, welche sich im Wesentlichen
von den -^'orherbe.sprochenen Karten kaum unterscheidet.") Sie
ist durch einen schräg iibcr die Kreiskarte
verlaufenden Streifen in zwei gleiche Hälften
geschieden, zeigt im Übrigen aber dieselbe
Einteilung wie andere Karten dieser Art: der
äquatoriale Ocean tremit die beiden Oikumenen,
deren nördliche, neben dem unbewohnbaren
Teil der Polar-Zone, die drei
Erdteile Europa, Africa und Asia in der
i'iblichen Anordnung enthält, — deren südliche
die Antichtlione wiedergiebt, mit der
Legende: Sijmiiri bi/gd d. h. »südlicher Wohnort.« Rafn hat mm
die Vermutung ausgesprochen, dass dieser Austral - Kontinent nichts
.Albei'tus ^lagn. 1. 12 (t. A', 276): Si autem in aliqua parte transnavigatum est, hoc est
sub torrida: quia ibi secundam naturam littora eius sunt niagis stricta.
K a l ' n, .Antiiiuitates .Amei-ieanae, S. 279. Hierzu vgl. J o i n a r d im Bull, de la
Société de Géogr., t. X, .S. 124. L e l e w e l , Géogr, § 106, II, 7.