
50 I. KAPITEL. DAS WELTBILD DER ALTEN. ZONENLEHRE. 51
lüiif Zonen, von denen die beiden äussersten von den Polen bis zu
den arktischen Kreisen wegen der Kälte, und die mittelste zwischen
thm beiden Wendekreisen wegen der Hitze, u n b ewo h n b a r sein
sollten.') Die Erzählungen des kartliagisclien Admirais Hanno, dass
er auf seiner Reise an der Westküste Afrikas durch brennende Berge
und Feuerflüsse am weiteren Vordringen A-erliindert worden sei,-)
mögen nicht zum wenigsten zu dem Glauben der Unliewohnbarkeit
beigetragen und Parmenides den Gedanken zu einer mathematischen
Abgrenzung derselben eingegeben haben. Die so von ilim bestimmten
Klimate können wir mit einem modernen, technisclien Ausdruck als
s o l a r e bezeichnen.') Hierdurcli wurde die Oikumene. d. h. im
eigentlichen Sinne des Wortes: die von Menschen bewohnte Erde
auf die gemässigte Zone beschränkt; j a , Parmenides zog die Grenzen
derselben noch enger, indem er die lieisse oder verbrannte Zone
0Mii€xccvfxé)r /i auf die doppelte Breite ansetzte, als die Entfernung
zwischen den beiden Wendekreisen beträgt, sie somit also noch in
die gemässigte Zone hineinreichen und die Bewohnbarkeit bereits ein
beträchtliches Stück nördlich und südlich der tropischen Kreise aufhören
liess. Teils mag die Annahme, dass die Sonnenwirkung zur
Zeit der Sommerwende die zu beiden Seiten der Wendekreise beündhohen
Striche noch heftig in Mitleidenschaft ziehe, zu dieser Auffassung
geführt haben, teils aber auch die noch mangelhafte Länderkenntnis
besonders naeli Süden hin, imd man kam a-ou ihr
zm-ück, als sich die Kunde nach dieser Richtung hin weiter
ausdehnte. Selbst Aristoteles huldigte im Wesentlichen noch derselben
Ansicht, wenn er die heisse Zone zwischen die Wenden verlegt,
das Land aber schon unbewohnbar werden lässt, lange bevor
die Schattenlosigkeit aller Gegenstände bemerkt wird.') Koch
schwankender war die Bestimmung der Nordgrenze der gemässigten
Zone, des arktischen Kreises, als welchen Aristoteles den auf die
Erde projicirten arktischen Kreis lür die Breite Griechenlands
(Rhodos) annahm, eine Maassnahme, gegen die Posidonius besonders
auftritt, da ein für verschiedene Örüichkeiten verschiedener, also
') P l u t plac. phil. I I I , I I ; .Strabo I I . 94.
Vgl. Vivien de Saint Ma r t in, Le No r d d'Alriqne dans l'antiquité. Paris 1863, S. 326.
') Nach H a n n (Handbuch der Klimatologie, Stut tga rt 1883, S. 57) wird ein Klima
als solares oder mathematisches bezeichnet, soweit es von d e r Quantität der Sonnenbestrahlung
abhängt , welche einem Orte seiner geographischen Bi-eite nach zukommt ,
während das durcli den Einllnss der Atmosphä r e und die Ungleichförmigkeit der Er d -
oberfläche inodifizirte solare Klima; physisches oder reales genannt wi rd.
•) St r abo II, 94; Arist. meteor. I I , 6, 11.
wandelbarer Arktikus unmöglicli als Zonenteiler gelten könne.')
A'iclmchr war bereits zu Aristoteles' Zeiten durch die Fahrt des
Pytheas der Erweis gebracht, dass die Erde unmittelbar bis zum
Polarkreis bewohnbar sei, da die angeblich von ihm erreichte Insel
Thüle (die Shetland-Insehi) dicht am arktischen Kreise liege.')
Strabo ist dieser Annahme durchaus abgeneigt und viehnehr der
Meinung, dass man diese nördliche Grenze der Erde viel südlicher
ansetzen müsse. »Denn die jetzigen Llistoriker wissen nichts i'dier
,lerne (Irland) hinaus anzugeben, welches ziemlich nördlich über
Britannien liegt und ganz von wilden Menschen bewohnt wird, die
viel unter der Kälte leiden, so dass ich glaube, man müsse
hier die Grenze annehmen. .<") Ebenso schränkt er die Bewohnbarkeit
auf dem Festland ein. Jenseits des Borysthenes werden als die
nördlichsten Bewohner die Roxolanischen Skythen bezeichnet, die
jcdocli immerhin noch südlicher wohnen, als die Bewohner von Jerne.
»Denn daiüber hinaus kann man wegen der Kälte nicht mehr wohnen.«
Jedenfalls hatte schliesslich doch die Mehrzahl der Geographen, unter
ihnen Eratosthenes, Hipparch und Posidonius, den Polarkreis als die
Grenze der Oikumene aufgefasst, wozu der Bericht des Pytheas aufforderte.
Wäln-end aber zu keiner Zeit des Altertums die Nordgrenze der
Bewohnbarkeit ü b e r diese Linie hinausgerückt worden ist, verschob
sich dagegen die Südgrenze immer mehr und mehr nach dem Äquator
zu, so dass die Anfangs gehegte Vermutung einer völligen Unbewohnbarkeit
der heissen Zone schliesslich in das Gegenteil umschlug.
Nach einer Äusserung Strabo's hätte bereits Eratosthenes die unter
dem Äfjuator beündliche Gegend für gemässigt erklärt.'') Eine eingehende
Darstellung der Verhältnisse jedoch ist uns erst von
Posidonius berichtet. Sobald man die Erfahrung gemacht hatte, dass
noch 8000 Statlien südlich von Syene, welches unter dem Wendekreise
hegen sollte, das Land den Menschen wohl zum Aufenthalte
dienen konnte, war die so oft wiederholte Fabel von der durch die
AUes versengende Hitze verursachten Unbewohnbarkeit wissenschaftlich
zunächst beseitigt. Hatte man Anfangs die b ewo h n t e Zone
') s t r a b o a . a . O . A'gl. M ü l l e n h o f f . Deutsche Altertnmskde.. Berbn 1870, S. 235
-) Strabo I, 63; Ph n . hist. nat. IV, 104.
") Strabo I I . 114.
Berger ist der IMeinnng, dass hier eine Verwechselung des Er a tos thenes mit Posidoiüns
vorhege , die bereits von Strabo selbst begangen sei. (Eratosth. S. 85; Wi s s .
Erdkde. Hl , 67.)