
1 2 1. KAPITKL. DAS WELTBILD DER ALTEN. DAS WELTBILD DES SECHSTEN JAIIRHUNDEKTS V. CHR.
WO die Erdkunde, zum Teil aus praktischen Bedürliiissen heraus, sich
weiter entwickeln konnte, aber auch entwickehi musste.
Lange bevor nocli die Griechen das Mittelmeer kreuzten, hatten
es die P h ö n i k e r in seiner ganzen Liingenerstreckung durchmessen.
Aus ägyptischen Denkmälern ersehen wir, dass sie bereits im XV. Jahrhundert
auf dem Agäischen Bleer heimisch waren.') Von hier, an
den Küsten und Inseln weitertastend, liatten sie über Sicilien und
Sardinien hinaus und der nordafrikanischen Küste entlang das silberreiche
Tarschisch erreicht, welches eine Haui)tquelle ihres Reichtums
wurde.-) — Ihnen folgten, allerdings nur sehr allmähhcli, die LIellenen.
Im VIII. Jahrhundert finden wir sie am Pontos, wo sie zahlreiche
Kolonien anlegen; die makedonisch-thrakische Küste wurde besiedelt,
das Ionische Meer nach allen Richtungen befiihren, Unter-Italien und
Sicilien in den Bereich ihres Handels gezogen; ja selbst das jahrtausend
lang verschlossen gebliebene, wunderbare Land der Ägypter
öffnete sich ihnen jetzt; Naukratis wurde die gemeinsame Handelsempore
aller griechischen Stämme. Auch das westliche Mittelmeer
lernten sie kennen. Ein samisches Handelsschiff unter Koläos, das
nach Ägypten steuerte, wurde von anhaltenden Ostwinden westwärts
durch die Säulen des Herakles nach Tartessus verschlagen.') Es
w a r e n die ersten Gr i e c h e n , die den At l a n t i s c h e n Ocean
sahen. — Seitdem suchten besonders die Phokäer jene westlichen
Länder öfter auf, und Herodot rühmt ihnen nach, dass sie von allen
Hellenen die weitesten Meerfahrten machten.') Von ihnen wurde
an der gallischen Küste, um das Jahr 600, Massilia gegründet, das
wichtigste Handelscentrum des Westens, eine Rivalui von Karthago.
So drang nun nach lonien eine Fülle neuen Materials, welches
die Philosophie an sich zog und zu einem System verarbeitete. Die
ionischen P h i l o s o p h e n waren die e r s t e n wi s s e n s c h a f t l i c h e n
Geographen.") Binen reihen sich die L o g o g r a p h e n an, die ältesten
') Wi r finden sie dort znr Zeit des Königs Dhutmes (nm 1450). \'gl. besonders
Ed. M e y e r , Geschichte des Al t e r tums, .Stuttgart 1884, S. 45, 231 tb. 263.
Tarsclnsch, das griechische Tartessos, heisst sowohl der Guadal(jui\-ir (Baetis), wie
auch der Küstenstrich von der Mü n d u n g des Gnadiana bis zur Me e r enge ; docli wird der
Name auch auf Südspanien im weiteren Sinne bezogen. \ 'gl . M e i t z e r , Geschiciite der Karthager
(Berlin 1879, I, 36); K i e p e r t . Lehrbnch der alten Geographie (Berlin 1878, S. 484).
Als älteste Kolonie gilt Gad i r , angeblich nm 1100 v. Ciir. gegründet.
Herodot IV, 152. Le t r o n n e setzt die Fa h r t um 640, ^'oss irrig um 700 an.
') He rodot I, 163.
') Eine kritische Darstellung derselben hat Hugo Be rge r geliefert (Wiss. Erdkde . ,
Heft I). Hauptque i l en sind Hippokr a t e s und He rodot . Nächst Thaies (der von Berger
Geschichtsschreibe]', welche, wie besonders Hekataeos, von Milet weite
Reisen unternahmen und die Länderkunde förderten.')
Das Weltbild des VI. J a h r h u n d e r t s bringt daher — soweit
wir es uns noch aus den fragmentarischen Nachrichten rekonstruiren
können — einen umfassenderen Teil der Erdoberfläche zur
Darstellung, wenn es auch anderseits viele Züge mit dem mythischen
Erdbilde noch gemein liat. Das hervorstechendste Charakteristikum
desselben ist jedenfalls die kreislormige Gestalt; ja diese war es gerade,
woran die Folgezeit besonders Anstoss nahm. Auf den Karten des
Anaximander'-) und Hekataeos") war die Erdscheibe durch eine
tadellose Kreislmie \viedergegeben worden. »Lachen muss ich«, sagt
Herodot, »wenn ich sehe, wie so Viele den Umkreis der Erde ohne
Verständnis zeichnen. Da führen sie den Okeanosstrom mn die Erde;
der ist rund wie mit dem Zirkel geschlagen.« — Wenn auch Aristoteles
noch in ähnlicher Weise sich über diese Art der Kartographie
ausspricht, so ersieht mau, wie lange Zeit die ionischen Karten fortbestanden
haben müssen.')
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Erweiterung des
geographischen Wissens bei den Griechen ihren Anfang mit einer
Keimtnisnahme der nächsten Umgebung, also des Mittelmeeres, nahm.
Der Gang der kolonialen Entwickelmig war hierfür bestimmend. Uber
das, was ausserhalb dieses allernächsten Gesichtskreises lag, hatte
man sehr mangelhafte Nachrichten. Man war ausschliesslich auf die
phantastischen Erzählungen phönikischer Schiffer angewiesen, und die
ionische Erdkarte — besonders in ihren oceanischen Teilen —
hat sehr wahrscheuilieh aus dieser Quelle gestammt, zumal wenn
übergangen wird) ist dei- wichtigste ^"ertreter der ionischen Geographie ohne Zweifel
Anaximander von Milet (610 — 546 v. riu-.).
') Die Bezeichnung Logogr aphen schon bei He rodot (V, 36) und Thucydide s (I, 21). —
Hekataeos von Milet schrieb eine ttsj/dSoc yY,c in zwei Büche rn , deren Echtheit schon im
Altertum angezweifelt wu r d e (Callimach. bei Athen I I , 70; Arrian. Anal. 6). Dagegen
tritt Er.itosthenes (.Strabo 1, 7) mit aller Entschiedenhei t für dieselbe e in, und zu dem
gleichen Resultat ist die neue r e For s chung gelangt, ^'gl. v o n G u t s c h mi d (im Philolog. X, 525),
nnd D i e l s (im llernies XXI I , 412). — Dagegen Cobet (He rodot e a in ]Mnemosyne N. S. XI , 1)
und S c h m i d t (Znr Gesch. der geogr. Litteratnr bei Griechen imd Röme r n ; Berlin 1887).
-} Anaximander wa r der erste, der eine allgemeine Er d k a r t e entwarf. Vgl. Strabo 1, 7.
Aber schon vor ihm müssen wohl ka r togr aphi s che Versuche gemacht wo r d e n sein.
Seine We l t k a r t e (Agathemer. I, 1) scheint nur eine Ve rbe s s e rung j e n e r des Anaximander
gewesen zu sein. Man hat nicht ohne Gr u n d ve rmut e t , dass die Ka r t e , die Aristagoras
dem König Kleomenes in Spa r t a zeigte (He rodot V, 49), die des Heka t a eos gewesen
sei. Vgl. Forbige r 1, 58 a. 86.
•) Herodot IV, 36; Ar i s t o t .Me t e o r . i l . 5, 13.
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