
90 II. KAPITKL. DAS WELTBILD DES MITTELALTERS.
Gehen wir zu Afrika über, so bemerken Avir. dass die Kenntnisse
der Küstenverhältnisse an der Ostseite bedeutend weiter naeh Süden
reichen als jene an der AVestseite, dass aber die Keimtnis vom Biimenland
weit beschränkter ist. AVir haben sichere AnhaUspunkte, dass
auch christliche Reisende in das unwirtHche Lniere eiiigedrung'en
sind;') war ja doch Nuliien Ijis zum Anfang des XTV. Jahrluinderts
westliche Ae thiopen, und nach He rodot (Vl l . 70) wohnen die östlichen, in Indien, die
westlichen in Aethiopien. Na ch der Sage wu r de auch der Königspahist in Sus a , das sogenannte
Memnoneion. vom Aethiopen Memnon gegründe t (Ki epe r t . Lelirbucli, S. 1-11). Jedentnlls
finden wi r die Keime zu j e n e r Ansdelinung des Namens Indien in den ältesten Zeiten sclion
vor. Eine grenzenlose Vervvirnuig trat aber im Mittelalter ein, als man die ver.schiedenen
Indien von einander zu sondern un d zu lokalisiren suchte. Die uns an zaiilreichen Stellen
(in litterarischen, wie kartographischen Quellen) genannten »drei Indien- sind keineswegs
immer mit einander identisch. Teils bezeichnete man sie als Gr o s s - , Kl e in- und Mittel-
Indien, teils auch als Ob e r - , Mittel- und Un t e r - I n d i e n . oder numerirt e sie auch einlach als
Erstes, Zweites und Drittes Indien. Na ch Conti reichte das Erste Indien von Persien bis zum
Indus, das Zweite vom Indus bis Ganges, und das Dritte bildete alles Land jenseits des Ganges,
d . h . also China und I n d o -Ch i n a . AVie von i hm, so we rden auch von Andreas Bianco alle
drei Indien in Asien lokalisirt. Dass tliatsächlich antike Reminiscenzeti mi tgewi rkt zu haben
scheinen, bezeugt meines Er a cht ens auch ehie Legende d e r Vesconte'schcn "Weltkarte, wo es
in der Gegend von Persien heisst: JncUa parva et Ethiopia. Nu r hierdurch lässt es sich
erklären, weshalb man später auch d;is eigentliche Aethiopenland in Afrika als Indien
bezeichnete, wie wi r es bei Marco Polo finden, der freilich Kl e in- Indi en nur auf die liinterindische
Halbinsel bezieht, wä h r e n d Fr a Maiiro seinem India Terga (d. i. gleich dem Jndia
superior Anderer ) ein we i t grösseres Gebiet I l inter -As iens zuweist. — Zugleich möchte ich
hier anf einen I r r tum hinwei sen, welcher unte r modernen Forschern vielfach Platz gegriflen
hat. Wi r finden auf einzelnen, dem Te x t des Ptolemaeus beigefügten Karten des
XVI. J a h r h u n d e r t s , welche bereits d i e n e n g ema c h t e n Entde ckungen berücksichtigen, dass im
Süden Asiens neben der v o r d e r - und liinterindisclien Halljinsel noch eine dr i t t e , weit grössere
sich vom Humj^f des Kontinentes nach Süden hin erstreckt. Man hat von j e h e r gemeint, dass
diese dritte Halbinsel das postulirte Dritte Indien darstellen sollte. Auf der Strassburgei-
Ptolemaeuskarte von 1513 tritt diese Halbinsel recht beme rkenswe r t hervor. Sie ist aber
meiner J l e i n u n g nach nichts Anderes als ein Triimmerstiick des von Ptolemaeus hypothetisch
angenommenen Australlandes, durch welches er den Osten Asiens mit dem Süden Afrika's
in Ve rbindung setzte und das Indische Meer zu einem Rinnenmee r machte. Als Af r ika
später als eine vom Oeean isolirte Kontinentalmasse sich e rwi e s , musste das Australland
natnrgemäss fallen; abe r im Anschluss an den Pt o l ema e u s -Te x t Hess man den östlichsten
Teil des Ve rbindungs l ande s , welcher den bildete, noch s tehen, und zwa r bis
zu j e n e r Stelle, wo das Australland eine scharfe We n d u n g nach We s t e n (nach Af r ika zu)
macht. Dass diese, n u nme h r den Ein d r u c k einer Halbinsel ma chende , Landzunge nicht
jenes Dr i t te Indien ist, beweist am besten die Tha t s a che , dass die Legende Jndia superior
nicht auf der Halbinsel, sondern an einer anderen Stelle, weiter nördl i ch, noch anf dem
Kontinentalrumpfe selbst, angebracht ist —g a n z abgesehen davon, dass auf keiner der f rühe r e n
mittelaherlichen Ka r t en India tertia j ema l s als eine Halbinsel dargestellt ist.
Uber die Handel sverbindungen der Italiener in No r d -Af r i k a und die ^'erträge mit
einheimischen Für s t en vgl. Pe s che l , Geschichte des Zeitalters der En t d e c k u n g e n , S. 46;
besonders abe r Theobald Fischer, Sammlung mittelalterlicher We l t - und Seekarten italienischen
Ursprungs, S. 8—1 1 .
DIE MITTELALTERLICHE WELTKARTE. 91
ein cln-istUches Reich. Man hatte den Niger nnd Senegal schon vor
dem XIV. riahrlumdert anf dem Landweg keimen gelernt, während man
den Senegal anf dem Seeweg erst ein Jahrhundert später erreiclite.
Nicht sowohl litterarische Quellen, als vielmehr die Karten, geben
mas xVnfschluss über das damalige Wissen von Afrika. Bereits auf
der Katalanischen Karte von 1375 finden wir Timbuktu, Melli, Ghivia;
auf dem noch älteren Mediceischen See-Atlas (1351) Gannya, worans
sich der spätere Name Guinea gebildet hat. Auf der Karte der
Pizigani und jener Fra Mauro's werden uns noch südlichere Punkte
genannt, wenngleich der Zeichner über die relativen Lagenverhältnisse
derselben zu einander nur in den seltensten Fällen Bescheid
\vusste, weil ihm wenige authentische Berichte vorlagen, und sein
ganzes Wissen erst mittelbar aus arabischen Nachrichten imd
arabischen Kosmographien nnd Karten stammt. Die südlichsten bekamst
gewordenen Orte mögen vielleicht Sofala und die Insel Madagaskar
sein.') Mit dem Tode des Prinzen Heinrich (1400), der die
Entdeckungen an der Westküste bis zur Sierra-Leoneküste gefördert
hatte, trat eine kurze Pause ein; die Entdeckerlust erwachte aber
bald von Neuem -wieder, und in rascher Aufeinanderfolge rückten die
Entdeckungen der Portugiesen vor, die im Jahr 1486 mit Erreichung
des Cabo tormentoso vorläufig ihren bedeutsamen Abschluss fanden.
III. Die mittelalterliche Weltkarte.
1. Die Entwickelung des Kartenbildes bis zum
XIII. Jahrhundert.
u derselben Zeit, als die letzten Nachtreter der alten
Wissenschaft, ein Solinus, Macrobius und Martianus Capeila,
noch völlig auf Grundlage der antiken Erdkunde ihre
kompendienhaften Abrisse von der Welt und deren Teilen
lieferten, hatten bereits auch emige christliche Glaubenshelden ein
eigenes, neues Bild der Erde zu entwerfen versucht. Frommer
Glaubenseifer führte dazu, sich streng an die Worte der HeiUgen
über diese Ka r t en und die Kartendarstellungen übe rhaupt den folgenden Abschnitt.
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