
•286 IV. KAPITKL. DAS WELTBILD ZUR ZEIT DES C0LU3IBVS.
wies, sieli um einen vollen Viertel-Wiml nordwesllieh drehte, und
zwar von dem Augenblick an, wo man über die genannte Luhe
hiuausgesegelt war.«
Bereits auf seiner ersten Reise hatte er, am 13. SeiJtember 1492,
die Beobachtung der Variation der Jlagnetnadel gemacht, da an jenem
Tage bei Anbruch der Nacht die Magnetnadehi plötzlich nach Nordwesten
neigten, und diese Abweichung am folgenden Morgen noch
zmiahm.') Drei Tage später (17. September) war die Abweichung
sogar auf ein Viertel-AVhid gestiegen.") Li dieser Angabe liegt mis
die erste nachweisbare Beobachtung von der Deklination der Magnetnadel
vor, und wir können zugleich hieraus entnehmen, wo ungefähr
im J ahr 1492 die Lhiie ohne Abweichung (die 0° Isokline) vorbeistrich.
Damals war diese Beobachtung noch etwas durchaus Neues und
Ungewöhnhches, denn die Schiffer waren hierüber ängstlich und
bestiu-zt. Da man aber den Punkt, nach welchem die Magnetnadel
an jeder behebigen SteLe der Erde sich richtete, nicht als einen
magnetischen Nordpol auf der Erde suchte, sondern diesen viehnehr
in den Polarstern verlegte, so riet Columbus sehien Leuten, am anderen
Morgen noch einmal den Polarstern zu beobachten, — und da fiind
man, dass die Magnetnadeln durchaus in Ordnung waren. Er setzt
bezeichnenderweise hinzu, „die l'rsache dieser Erscheinung liegt im
Polarstern, welcher offenbar eüie Bewegung macht, und nicht in den
Nadeln«.") ILeraus erkaimte er, bemerkt der Verfasser der Historie,
dass die Nadel nicht nach der Stella Tramontana, sondern einem
anderen, unsichtbaren Fixpuiikt weise (pimto fisso e invisible). Auf
sedier dritten Reise erldärt er denn auch auf das bestimmteste, dass
der Polarstern einen Kreis beschreibe, dessen Durchmesser fiuif Grade
beträgt, und weim die Wächter (guardas = ß luid 7 des Kleuien Bären)
auf der rechten Seite stehen, so befindet sich der Stern auf seinem
untersten Punkt, von wo an er sich wieder erhebt, bis er auf der
linken Seite ankommt. »Ich bemerkte, dass ich während der Nacht
den Polarstern 5 Grad hoch hatte und die Wächter gerade im Scheitel;
und später um Mitternacht tand ich den Stern iu 10 Grad Höhe und
am Morgen waren die Wächter tief miten nur in 5 Grad Höhe.«')
Navarrete I. 8 (zum 13. Sept embe r ) .
'-) Nava r r e t e 1, 9 (zum 17. Sept embe r ) . Vgl. ferner Hi s tor i e , cap. 17, S. 41 b.
Uber seine magnetischen Beobachtungen hat besonders H u m b o l d t (Krit. Unters. H,
20tr.) gehandelt. A'gl. noch G e l c i c h in Beiträge zur Geschichte des Zeitalters der Entde ckunge n
(Zeitschr. d. Ges. f. Erdkde . , Berlin XX [1885], S. 303 II'.).
Navarrete I, "255.
DEFORMATION DER ERDE NACH COLDJIßUS.
Sein Erstaunen über die schnelle Veränderlichkeit war daher wohl
gerechtfertigt; er kam aber bei weiterem Nachdenken über diese Erschemmigen
zu ganz sonderbaren Folgerungen hinsichtlich der Erdgestalt.
»Ich habe stets gelesen«, schreibt er weiter, »dass Land und
Wasser eine einzige Kugel bilden, und die Ansichten und Erfahrungen,
Avelche Ptolemaeus und alle Anderen auf Grund von Mondfiiistermssen
und sonstigen Erscheinungen, die iu ost-westlicher Richtung A'or sich
gingen, sovvde aus der verschiedenen Polhöhe in nord-südlicher Richtimg
hierüber mitteilten, wiesen ebenfalls auf die Sphärizität hm. Jetzt mm
habe ich eine so grosse Unregelmässigkeit beobachtet, wie ich schon
sagte, dass ich mir eine ganz andere A'orstelhing von der Gestalt der
Erde machen musste. Ich fand, dass sie nicht so kugelförmig ist, wie
man sie beschrieben ha t , ilass sie vielmehr von Gestalt einer Birne
ist, welche, im Ganzen genommen, zwar rund ist, nur da, wo der
Stil ansetzt, ein wenig höher, oder gleichwie ein kugelrunder Ball,
der an einer Stelle eine Erhöhung zeigt, wie die Warze auf einer
Frauenbrust. Diese durch besondere Erhebung ausgezeichnte Stelle
ist folglich dem Himinel näher, sie liegt unter dem Äquator, mitten
im Oeean, am E n d e des Os t e n s . So nannte ich jene Stelle, wo
Kontinent und Inselwelt ihren Abschluss finden. Aus den oben
angegebenen Gründen, von der 100 Léguas westlich der Azoren
vorbeistreichenden ^leridian-Linie, entnehme ich daher, dass die
Schifie nach Passiruiig der Linie westwärts, sich sanft gegen den
Himmel lihi erheben; luid von diesem Punkt an begimit man, sich
einer milderen Temperatur zu erfreueii, und die Kompassnadel verändert
wegen der plötzlichen Milde des Klimas ihre Riclitimg um
einen Viertel-Wind, imd je mehr man nach Westen vorschreitet, und
sich demgemäss dem Himmelsgewölbe nähert, desto sicherer weist die
Nadel nach Nordwesten. Diese Veränderimg in der Höhe ist die
lÄ'saclie für die Abweichung des Kreises, welchen der Polarstern mit
seinen Wächtern beschreibt. Je mehr man sich dem Äquator
nähert, desto höher werden sich die Sterne erheben und desto
grösser wird der Unterschied in den Kreisbahnen sein, welche
die Sterne durchlaufen. Ptolemaeus mid alle anderen Gelehrten,
welche über die Welt geschrieben haben, lietrachten die Erde als
kugelförmig, in dem sicheren Glauben, dass auch die andere Erdhälfte
so rund ist, wie jene, wo sie sich befinden. Denn die Letztere hat
ihren Mittelpunkt iu der I n s e l Arin, welche zwischen dem Ai'abischen
und Persischen Aleerbusen unter dem Äquator liegt. Auf dieser