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284 IV. KAPITEL. DAS WELTBILD ZUR ZEIT DES C0LU5IIÎUS.
diesen Erzülilungen der Indianer Iceinen Glanben schenke.') Es macht
aber dieses scheinbar nnbel'angen geäusserte kritische A^erhalten
mehr den Eindruck, dass er diese auf den mittelalterlichen Karten
und den Kosmographien unzählig oft wiederholten Anekdoten von
Einaugen und Ilundemenschen den Indianern selbst in den Mund
gelegt hat, um das Interesse der Antiquitätenkrämer in der Heimat
zn reizen, die vielleicht trotz seines eigenen Zweifels das Vorhandensein
solcher L'ugeheuer auf Gnuid anderweitig verbürgter Nachrichten
nachträglich für durchaus glaubwürdig erklären könnten.'-)
Daher erklärt er auch, dass er niemals Ungeheuer gesehen
habe,") »nur auf der Insel Chans soll ein Volk existiren, welches
als besonders wild geschildert wird und Mensclieu frisst«.'') Auch
andere Inseln halien diese furchtbare Menschenart aufzuweisen, und
bei den Naehharn herrscht allgemeine Furcht, da jene häufig Raubzüge
unternehmen. »Auf einigen Insebi heissen sie Caniba, auf
Espanola aber Carib.ie') »Schon der entstellte Gesichtsausdruck
kündigt ihre Thätigkeit an.«") Die augebliche Existenz von Menschenfressern
hatte somit eine Bestätigung gefunden, und so kaim es
eimgermaassen entschuldigt werden, dass der noch ganz in mittelalterlichen
Doktrinen befangene Weltentdecker auch nach Sirenen und
Amazonen I'mschau hielt.
Wir hahen im Vorhergehenden die Vorstellmigen, welche
Columbiis sich von der Beschaffenheit der Erdoberiläche gebildet
') Na v a r r e t e 1. GS; creia el Almirante que mentian. Dies bestätigt aiicli Beriualdez,
Hist. de los Heye s Catcdic.. cap. C X X M l ; donde todas las gentes tenian ralio (Schwanz) . . . e
el Almirante siipo ser hurla.
Über Ky n o c e p l i a l e n . Menschenl'resser u n d Ei n a n g e n bei den alten n n d nnt t e l -
alterlichen Ko s i n o g r a p h e n habe ich im Ans chluss .an die Ka r t e Wa l s p e r g e r ' s gehande l t (in
Zeitschr. d. Ges. f. Er d k d e . , Berlin X X V I [1891] , S. 3 8 0 , 3 8 1 , 4 0 0 ) , wo das wi cht igs te
Qnellenniateri.al h i e r ü b e r zus ammenge s t e l l t ist.
Navarrete I, 190: Itaque monstra aliqua non vidi, neque eoi-um alicuU hahui cognitionem,
excepta quadam insula Charts nuncupata, quae secunda ex Hi.'^pania in Indiam transfretantihus
existit, quam gens quaedam a ßnitimis habita ferejcior. incejlit: hi carne humana vesauntar.
An ande r e n Stellen lieisst sie stets Charib.
Navarrete 1, 135 zum 13. J a n u a r vgl. noch I, 140 zum 16. J a n u a r . — Caribes
und Canibales sind also g l e i c h b e d e u t e n d , wi e auch P e t r u s ]\Iartyr h e r v o r h e b t ; op. epist.,
No. 146, S. 81 u n d Dec. I , cap. 1, S, 5, Canibales ist j edenf a l l s die latinisirte F o rm von
Caniba. De r .Antillenliogen von Po r t o r i c o bis Tr i n i d a d wu r d e d a n n u n t e r dem zus a tnmenfassenden
Name n d e r I s i a s de l o s C a r i b e s o d e r C a n i b a l e s b e g r i f f e n , wä h r e n d Co h u n b u s
allerdings j e n e r Ins e lke t t e noch k e i n e n geme ins amen Name n beigelegt hatte. A'gl. h i e r ü b e r
Humboldt, Kr i t . Un t e r s . I , 428 1'.; H, 189.
Navarrete I , 308 (Bericht de r vi e r t en Re i s e ): Otra gente falle que comian hombres:
la desformidat de su gesto lo dice.
COLUMBUS ALS KOSMOGRAPH. 285
hatte, und die Folgerungen, die er aus schien eigenen Entdeckungen
für die allgemeine Länderkunde zog, im Zusammenhang betrachtet.
Seine vorgefasste ^Meinung über die Gestaltung und Ausdehnmig der
Kontinentalmasse auf der Erdkugel fand er, im Anschluss an die
traditionellen Ansichten vom Weltbild, überall bestätigt, nnd an
dieser hartnäckig und eigensinnig festhaltend, wollte er sie auch
seinen Zeitgenossen aufdrängen. Ganz tibgeseheii AOII der Frage, in
wie weit seine Auffassungen nach seinem ganzen Bildungsgang und
den herrschenden Ideen vom Weltbild, welche die bedeutendsten Kosmographeii
vor der grossen Entdeckung vertraten, durchaus begründet
erscheinen konnten, liat er doch mehrfach trotz besseren Wissens
inanche Willkürlichkeiten mit uiiterlliessen lassen, die wir zwar nicht
immer als einfache Betrügereien deuten dürfen, die aber mindestens
darnach angethan waren, den Kernpunkt der Erage zu verdunkeln.
Mit demselben Gefühl der Sicherheit uud Urteilsfähigkeit wagt
er sich aber auch an die F r a g e n d e r h ö h e r e n Ko smo g r a p h i e
heran. Man kann ihm ein gewisses Beohachtungstalent nicht absprechen,
mid besomlers für die physischen Erscheiiiiingeii des Oceans
und der neuentdeckten Festlaiidsküste, wie z. B. für die Veränderlichkeit
des Erd-Magnetismus, für Meeres-Ströimuigen und klimatologische
Unterschiede, wie nicht minder für die eigenartigen Erscheiiiungsfornien
der Tier- imd Pllanzenwelt, hat er stets ein oU'enes
Auge gehabt. Wo er aber üher die gemachten Beobachtungen
hinausgeht und aus ihnen theoretische Schlussfolgerungeii über die
gegenseitigen Beziehungen der Naturersclieinmigen zieht, j a , an der
Hand dieser auch die mathematischen A^erhältiiisse des Ertlkörjiers
auf eine veränderte Grundlage stellen will, gerät er bedenkheh in's
Straucheln, so dass wir seinem kühnen Gedankenfluge kaum zu folgen
vermögen.
In jenem schon mehrfach genannten Brief, Avelcheii er auf seiner
dritten Entdeckungsfahrt von Haïti aus an die Spanischen Majestäten
sehrieb (1498), hat er sein kosmographisches System hi vollem Umfang
dargelegt.
Er .sagt dort: »Als ich von Spanien nach Indien ging, bemerkte
ich, als ich 100 Léguas westlich über die Azoren vorgedrungen Avar,
eine grosse Veräntlerung am Himmel und an den Sternen, in der
Temperatur der Luft und in den Wassern des Lleeres, und ich halie
grosse Sorgfalt auf meine Beobachtungen verAvendet.
naii
• t i i i t ' p ^ i r i r r a i i a n r a t i a f l ^