
288 IV. K.\PITEI.. DAS WELTBILD ZUR ZEIT DES COLUMBUS.
Ilcinisphäre iiämlicli, wclcIie der Bleridinii durch Kap St. Vincent im
Westen imd durch Kattigara') und das T.aud der Serer im Osten
begrenzt, sind keine Niveau-Verschiedenlieiten zu bemerken, sie ist
vollkommen rund, wie Jene sagen; ahcr jene andere Erdhiilfte ist
ähnlich der oberen Hälfte einer Birne, wo an der Spitze der Stiel
ansetzt. Ptolemaeus und die übrigen Kosmographen hatten von dieser
Seite der Erde keine Kenntnis, weil sie ihnen durchaus unbekannt
war; sie schlössen nur auf die sphärische Gestalt der anderen Erdhälfte
nach der Beschaffeidieh deijenigeu, auf welcher sie sich befinden.«
Es sind hier die eigenen Worte des Cohimbus wiedergegeben
worden, schon, um zn zeigen, wie neben der scheinbaren Deutlichkeit
des von ihm aufgestellten Systems, sachlich doch die grösste Unklarheit
imd Verwirrung lierrscht. Uber die Lage der postidirten Erdanschwelhnig
scheint er keineswegs ganz eimg mit sich zu sein. Sie
soll sich unter dem Äquator und mi t t e n im Oc e a n (en esla mar Oceana)
betinden. Nach dieser A^oraussetzung würde also di e h ö c h s t e Er -
h e b u n g im Me e r als ein grosser, sanft ansteigender Wasserberg zu
denken sein. Ganz abgesehen von der Frage nach der physischen
Möglichkeit einer solchen Anomalie, für welche es übrigens in
der Geschichte der mittelalterlichen Erdkiuide durchaus nicht an
Beispielen fehlt,-) steht Cohimbus hier mit der ui demselben Brief
hehandelten Paradies-Hypothese, für welche er ebenfalls jene Erdkugel-
Anschwellung in Anspruch nimmt, in entschiedenem Widerspruch,
indem er nämlich auf diese das Paradies selbst verlegte. Diese
Schwierigkeit wird auch dadurch nicht gehoben, dass ein Teil der
Eestlandsküste an der Anschwellung mit Teil nimmt. Anch die
weitere Bemerkung, dass sie sich »am Ende des Orients« (en fin del
Oriente) befindet, hilft liier wenig. Ln Gegenteil, AVidersprüche und
Unvereinbares lassen sich anch hier nachweisen. Nacli Allein, was
wir am Anfang dieses Abschnittes über seuie Ansichten von der Ausdehnung
der Kontinentalmasse nach Alarinus von Tyrns und Toscanelli
erörtert haben, schätzte er die Entfernung zwischen Spanien und
Lidien auf höchstens em Drittel des ganzen Umfanges. AVie lässt sich
aber hiermit seine Einteilung der Erdkugel in zwei Hemisphären vereinigen,
welche durch einen Kugelmeridiaii,®) der die Festlandsmasse
') Im Te x t stellt Cangara.
oben (S. 138 If.) übe r Niveau-Verschiedenheiten des VIeeres gesagt ist;
ferner meine Phys. Er d k d e . im Jlitt., S. 64 tf. und die citirte Abhandlung von Günthe r .
Denn einen vollen Kugelmeridian und nicht zwei halbe Meridiane kann er annehmen,
da er dur ch die Te i lung zwei -Hemi sphä r en« erhält.
DIE KUPPEL VON ARIN. 28S)
einerseits im Kap St. Vincent, anderseits in Kattigara streift, bestimmt
sind? Noch ni jenem Brief, welclien er auf seiner vierten Reise
schrieb, nimmt er den Marinus von Tyrus fast demonstrativ gegen
Ptolemaeus in Schutz;') er verwirft die 180 Grade der Festlandsausdehnung
des Letzteren und biüigt die 225 Grade des Erstgeiiaimten.
Und ilenuoch soll der durch die äussersten Einlen tles Festlandes
kaufende Kugelmeridiaii zwei Hemisphären (also von 180 Längengraden)
scheiden.
Die Bemerkung, dass, jener Erdanschwellung entsprechend, an
derselben Stelle auf der anderen Ilemisphäre die I n s e l Ar i n sich
befindet, macht die Frage nur noch verwickelter. Demi diese Lisel
soll nach seiner Vorstellung auf dem Äfpiator(!) liegen, zwischen dem
Arabischen und dem Persischen Aleerbuseii, und »in der Alitte d i e s e r
H e m i s p h ä r e « , d. h. also auf dem Schnittpunkt des Äquators mit
demjemgen Meridian, welcher gleichweit (nämlich 90 Grad) vom Kap
St. A^iicent und Kattigara entfernt ist.') Dement.sprecliend soll auf
') S. oben S. 265.
Wir haben sichere Anha l t spunkt e , dass die Ar abe r \'orübergehend nach einem
Meridian r echneten, der angeblich durch die K u p p e l d e s T e u f e l s s c h l o s s e s v o n A r i n
ging. "Unter dem Äquator«, schreibt ein arabischer Ko smo g r a p h . »in der ûlitte der We l t ,
da wo wir keine Breitengrade zählen, liegt ein P u n k t , der ÜO Grad von j edem der vier
Kardinalpunkte entfernt liegt. An diesem Ort findet sich der P u n k t , der die Kuppe l \ o n
Azin oder Arin heisst. Dort ist ein hohes und unzugängliches .Schloss. Nach Ibn- a l - .Ar aby
dient es bösen Geistern zum .Aufenthalt und dem Iblis (Teufe!) als Thron.« Aber die
Nachrichten übe r Arin gehen weit «auseinander; bald ist es ein Schloss, bald eine Insel, oder
.auch eine Stadt. l i e i n a u d ha t uns (in der Einleitung zu der Ube r s e t zung seines .Abulfeda)
über diese Örtlichkeit wichtige Aufschlüsse gegeben, aus denen he rvorgeht , dass die Ar abe r
sich des idealen jMeridians von Arin nur sehr vorübe rgehend bedi ent en, un d dass dieser
kein eigentlich arabisches Erzeugni s ist, sondern vielmehr von den Indern entlehnt zu sein
scheint. Die Inde r legten ihren ersten Meridian durch die phant.astische Insel Ijanha,
welcher neben anderen Orten auch die St adt Odjein be rühr t e . Bei Pe r s e rn und Arabern
hat nun der Name O d j e i n j enen von La n k a verdrängt . W.as die Form des Namens selbst
anbetrifi't, so ist die Entstellung aus Odjein zu Azim und ^Ï-Ϋ nnr durch die zu vielfachen
Irrtümern \ ' e r anl a s sung gebende arabische Schrift zu erklären. qtI)^^ (Azin) und mit We g -
lassung des diakritischen Pu n k t e s übe r dem Za : (Arin). \'gl. hi e rübe r neben Reinaud,
auch noch L e l e w e l , Geogr. du moyen âge , § 2 2 . — Die St adt Odjein ist aber dieselbe,
welche Plolemaens 'O^ri^vj nennt. Der Ube rgang des indischen d j -La u t e s bei Ar.iber nn d
Griechen zu z ist nichts Ungewöhnliches. We n i g wahrscheinlich ist es, da s s , wie Humboldt
(Krit. Unters. I I , 44) ve rmut e t , Cohimbus aus dem Namen Bahrain (Insel im Persischen
Jleerbusen) Bahrin und Arin gemacht hä t t e , und dass es identisch wä r e mit dem Arados
des Ptol ema eus , welcher dieses unter 9 1 ° 4 0 ' der Länge von dem ersten IMeridian setzt,
also fast in die Mitte von Kattigar a und dem heiligen Vorgebirge. — Eine der f rühe s t e n
Erwähnungen bei den abendländischen Gelehrten findet sich bei Ge rha rd von Cr emona
(XH. J a h r h u n d e r t ) in der Ube r s e t zung der astronomischen Tafeln des .Alzarkala. Dor t wird
Toledo auf 62Y3° westl. Länge von .Arin angesetzt; vgl. Re i n a u d, S. 246. Die Stelle l aut e t :
K r e t a c h m e r , Ent de ckung Aracrik.x's. 37