
312 V. KAPITEL. HER MUNDUS NOVUS.
(1508) gemeinscliaftlicli längs der Küste bis zur Mündruig des Eio
Colorado in 40 Grad südlicher Breite auslührten,') blieli lür die
allgemeine Kenntnis ohne Kolgen.
Wenn wir nun in der Kürze überschauen, welche Ergehnisse aus
allen diesen Reisen des ersten Jahrzehntes des XTI. Jahrhunderts für
die kosmographische Erage gewonnen waren, so ergiebt sich, dass
man sich noch immer auf demselben Standpunkt befand. Dass man
ein Eestlaud vor sich hatte, darüber konnte kaum noch ein Zweifel
obwalten, und die irrige Behauptung Cabral's von einer Isla de la
A^'ra Cruz wurde sehr bald hericlitigt. Aber das alte Dogma von
der weit nach Osten Inn ausgreifenden Eestlandgestalt Asiens bheb
nach wie vor bestehen.
Die Weltanschauung einer Persönlichkeit, wie Amerigo Vespucci,
welcher nicht aUeui üi den praktischen Fragen der Nautik als eine
erprobte Autorität galt, sondern auch in wissenschaltlicher Beziehung
als Kosmograph einen grossen Ruf hatte,") süid hier besonders charakteristisch.
Schon das Ziel sehier vierten Reise zeigt, dass seine
Ansichten über die Bedeutung und den Wert der neuen Entdeckungen
von denen des Cohimbus kaum wesentlich verschieden waren. Das
»Land der Gewürze«, vorzüglich die Molukken, waren immer noch
nicht gefunden, soweit mau auch an der Eestlandsküste nord- und
südwärts entlang tastete. Es blieb daher nur noch die Möglichkeit
übrig, dass an irgend euier südlicher liegenden Stelle eine entschiedene
Wendung der bisher immer noch annähernd meridional
verlaufenden Küste in direkt ost-westlicher Richtung vorhanden sein
müsste; hierfür sprach auch die bereits von de Eepe erkannte schwache
südwestliche Neigmig des Küstenverlaufes vom Kap Agostino an. Kein
Wunder also, dass Yespucci auf das A^orliandenseüi einer südlichen
Durchfahrtsstrasse mit grosser Zuversicht rechnete. Er suchte nach
der Ins e l Mekka (!), vvie es in dem Reisebericht heisst; denn Melcha
(Malakka) sei der Hauptknotenpunkt für alle Kaiiffahrer, die vom
Gangetischen oder vom Indischen Meer herkommen.') In diesen
Neben Na v a r r e t e I I I , 47 vgl. I l e r r e r a I, ATI, 9. Pi n z o n n n d de Solls s che inen die
;Mnndung ties La Pl a t a pa s s i r t zu h a b e n , o h n e j e d o c h den Fl u s s s e lbs t zu e n t d e c k e n .
Im J a h r 1 5 0 8 wu r d e A'espucci zum P i l o t o -ma y o r des I n d i e n - . ^mt e s in Sevi l l a , d e r
Casa de Co n t r a c i o n , e r n a n n t , u u d liatte als sol che r die An f e r t i g u n g u n d die d u r c h die f o r t -
schreitenden E n t d e c k u n g e n n ö t i g g ewo r d e n e n Be r i c h t i g u n g e n d e r Ka r t e n zu b e s o r g e n .
Quatuor n a v i g a t i o n e s , 4. Re i s e , bei Na v a r r e t e I I I , 2 8 1 : hjitur e.v Lishonae portti
cum sex cmservantiae navihus eximmus, cum praposito insulam unam versus horizontem positam
invisendi, quae Mehla dicitur, et divitiarum multarum famosa, necnon navium omnium, sive a
Gangetico sive ah Indico mari venientium, receptus sive statio est, epiemadmodum Calicia(!) receptus
KOSMOGRAPHISCHE VORSTELLUNG DES VESPUCCI. 313
Worten giebt Vespucci mit genügender Deutlichkeit zu erkennen,
wie er sich die Länder-Gestaltung an der fraglichen Stelle dachte.
Erinnern wir uns alles dessen, was wir oben (S. 90) über den merkwürdigen
halbinselartigen Auswuchs gesagt haben, welchen d,as
Asiatische Festland auf spät - mittelalterlichen Karten neben der
Vorder- und Hinternidischen Halbiirsel noch aufweist, und welcher
nichts Anderes ist, als ein Triünmerstück des von Pt:olemaeus hypothetisch
angenommenen asiatisch-afrikanischen A^erbindungslandes.
Jene wunderliche Halbinsel erstreckte sich über den südlichen
Wendekreis bis zum 30. Grad südlicher Breite lünaus, wie dies der
Globus Behaim's und die Ptolemaeus-Karteu von 1511 uud 1513
besonders deutlich zeigen. Diese Darstellung der Land-Gruppirung
schehit meines Erachtens allem dem Vespucci vorgeschwebt zu luiben;
denn die Festlamlsküste, welchc er selbst angeblich bis zum 32. Breitengrad
bereits verfolgt hatte, musste weiter südlich sehr bald in eine
Spitze auslaufen. Es galt daher, diese Halbinsel zu iimsegehi, um so
nach Mtilakka zu gelangen, nnd um aus dem I n d i s c h e n Me e r ,
welches den Os t r a n d As i ens b e s p ü l t e , in da s Ga n g e t i s c h e
Meer zu k omme n , imter welchen er im engeren Shme das von
Afrika, Süd-Asien und jenem halbüiselartigen Vorsprung abgegrenzte
Meergebiet verstand. Anders hatte Cohunbus, wie vorher (S. 280)
gezeigt worden, die Situation aufgefasst, wenn er üi der Küste von
Veragua den Goldenen Chersones bereits erreicht zu haben glaubte,
und nunmehr allein noch die Umsegehmg der Hinterindischen Halbinsel
notwendig zu sein schien, um die freie Durchfahrt nach Taprobaiie
und Arabien zu gewinnen.
In jenem berühmten Brief an Lorenzo di Pierfrancesco de Medici
trägt Vespucci seinen Plan unter den genannten Voraussetzungen vor.
»Ich habe die Absicht, nochmals auszufahren, um jenen Teil der
Welt aufzusuchen, welcher nach Süden zu liegt, und um diesen
Gedanken zu verwirklichen, sind schon zwei Caravelen ausgerüstet
sive hospitals omnium navigantium est qui ah Oriente in occidentem et e converso vagantur, prout
de hoc ipso per Calicutiae viam fama est. Quae quidem insula Melcha plus ad occidentem (!),
Calicutia vero ipsa phis ad meridiem respicit. — Das s Melcha we i t e r we s t l i ch als Calicut liegen
s o l l , ist ol l enba r ein I r r t um; es mu s s h e i s s e n : plus ad orientem, wi e anch Kanni s io u n d
Canovai s chon a n n a hme n . — »Di e I n s e l Me l c h a . . de s A'espucci s che int mi r atif e inem
I r r t um zu b e r u h e n . Un t e r Melcha iiaben wi r dem Name n n a c h o h n e Zwe i f e l Ma l a k k a zu
verstehen , d e n Go l d e n e n Ch e r s o n e s d e r .Alten. Da s s er di e se Ha l bi ns e l zu e i ne r Ins e l ma c h t ,
mag d u r c h eine A' e rwe chs e lun g mit den Gewü r z - I n s e l n d e r Mo l u k k e n v e r a n l a s s t wo r d e n
s e i n , von d e n e n es bei Sc h ö n e r , Op u s c u l um g e o g r a p h i c um (1533), h e i s s t : Maluccae insulae,
quas alii Makiquas vocant.
Ivretschmer, Entdeckung Amerika's. 40