
104 Al'ITEL. DAS WELTKILD DES ^IITTELALTERS. EINTEILUNG DER KliEISKARTE. 1 0 5
7,uriickkommeji Averden. Übrigens müssen Avir auch aimehmen, dass
ausser den amiken Nachwirkungen nicht zum wenigsten die
a r a b i s c h e n We l t b i l d e r von Einlluss gewesen sind, Avelche ausschliesslich
die südliche Orieutinmg durchgeführt haben. Die Weltkarte
des Alm Ishak al Farsi al I s t a e h r i (945) (vgl. Atlas, Tafel II,
No. 1),') jene bekannte des Ed r i s i (1154), welche dieser im Auftrage
(.les Königs Roger von Sicilien auf einer silbernen Platte auslührte')
(vgl. Atlas. Tafel II, No. 2), ferner das Wehbild des Omar ben Muftir
ih n al Wa r d i (1349)') (vgl. Atlas, Tafel II, No. 3) u. a. m., haben
sümthch die charakteristische, nach Süden orieutirte Kreislbrm, wie
die oben genamiten Karten christlicher Provenienz.
Ungleich häufiger sind dagegen die Karten, welche den Os t e n
an den o b e r e n Ra n d des Bl a t t e s v e r l e g t e n , so dass der Süden
am rechten, der Norden am linken Rande zu liegen kamen. Rehgiöse
Gründe haben hierbei vorzüghch mitgeAvirkt. Die östliche Lage
Asiens, der Wiege des Christentums, von AVO aus das Evangelium
A'erkündet Avar, sollte auf der Karte rein äusserlich durch eineji. her-
A'orragenden Platz ausgezeichnet Averden. Nach Osten wurden alle
Kirchen und Kapellen orientirt, soAveit es die Raumverhältmsse gestatteten,
mid im Luiern derselben werden Avir Altar mid Tabernakel
auch stets an der östlichsten Stelle des Gebäudes angebracht finden,
so dass die Gemeinde ihr Gesieht dem Osten zuwenden konnte.
3Iystische und astrologische Spekulationen spielten mit hinein, wenn
man dem Aufgangsort der Sonne, des Leben und Wärme spendenden
Gestirns, eme höhere Bedeutung beimaass. Auch anderen Völkern
war der Osten die verheissungsvolle Himmelsrichtung. Der Semit
kehrte beim Gebet seüi Gesicht der aufgehenden Sonne entgegen.
Auf einer Weltkarte des XII. Jalirlumderts ist die Sonne oben auf
der Karte als Vigiiette angebracht, und hieraus können Avir unmittelbar
erkennen, dass die östliche Orientirung nicht zum AA'enigsten mit besonderer
Rücksicht auf den Aufgangsort der Sonne gewählt ist. —
Dorthin, nach Osten, hatte die christliche Legende ferner noch das
Paradies A'erlegt, dessen irdische Existenz zu allen Zeiten des !Mittelalters
geglaubt wurde, und Avelches man auch stets im Osten suchte.
Seine Ivarre wni-de /.nerst vei-üflentliclit von Reinanil in der Geogr. d'Abonlted.-i,
introduction. Paris 1840; vgl. übe r ihn Le l ewe l . Geogr. du moyen âge 1. § 2 3 . S. 40.
'1 n i e silberne Tafel des Edrisi ist verloren gegangen, statt ihrer ist nui' noch eine
kleine .Skizze im Codex .Asselinianus zu Paris e rha l t en; v d . Lelewel 1. §§ .54 — 64, .S. 02 — 107.
ä) Zue r s t publicirl von Aurivillius zu .Stockliolni 1762. — To r n b e r g 1835. Lelewel,
.Atlas t. X X X I . Géogr. I. § 94.
Avcil es dorthin bereits (Ue Bibel verlegt hatte.') — A'on einer Aufzälilmig
der einzelnen Karten, die diese Orientirung zeigen, können
Avir füglich Abstand nelunen. da zu ihnen, aligeseheit AOU den wenigen
südlich gerichteten, die :Mehi'zahl gehört. Einer anderen Kategorie
sind die nördlich orientirten Kompass-Karten zuzuzählen, über die
unten zu sprechen seht Avird.
Noch erübrigt es. neben der r u n d e n Ge s t a l t der mittelalterlichen
Weltkarte, ihrer ö s t l i c h e n l)eziehmigsweise s ü d l i c h e n Or i e n -
t i r u n g und der c e n t r a l e n Lage v o n J e r u s a l em, als viertes
Avcsentlichcs Charakteristikum derselben die E i n t e i l u n g des inneren
Bildes der Karte zu betrachten. Auch hieiin lelnUe man sich ausscldiesslich
an antike Vorlagen an und behielt dieselben auch dann
noch bei, als sicli der geographisclie Horizont nicht unerheblich er-
Aveitert hatte. Die an und für sich schon
scheniatisii'te Gestalt einer tadellos kreisrunden
Erdiläche hatte eine el)eiiso schematische
Einteihmg derselben im Weiteren zur
Folge. Ein Diameter teilte diese Kreistläche
ni zwei Hälften, von denen die ehie
durch den Radius, der senkrecht auf jenem
Dtu'chmesser steht, in zwei Quadranten zerfällt.
Die ungeteilte östliche Hälfte sollte
Asien umfassen, der eüie Quadrant der
Avestlichen Hälfte Europa, der andere Afrika. Diesem Einteilungs-
Schema liegt die Annahme zu Grunde, dass Tanais und Nil, als
zwei meridional verlaufende Flüsse, in direkt nord-südlicher Richtung
gegenüber ins :\Ieer münden tuid Avegen ihres eigenartigen, genau
die Linie des Durchmessers hme haltenden Laufes als geeignete
Teilungsgrenzen benutzt Averden konnten, Avähreud anderseits das
Jlittelmeer mit seinei- im Allgemeinen ost-Ave.sthch verlaufenden Längsaxe
die Scheide zAvisclien den beiden Avestlichen Vierteln. Europa und
') Über die Paradies-Legende vgl. meine Phys. Erdkde . im Mitt., .S. 7 8—8 1 . 1 3 0—1 3 1 ;
ZGckler. Gesch. der Beziehungen zwischen Theologie und Naiurwissensch. . Bd. 1. 130 ff.;
Jlarinelli. Erdkde . bei den Ki r chenvä t e rn. Leipzig 1884, S. 19 ff. — Nach Genesis ( I I , 8)
iwu-de der Garten in Eden stets nach Osten versetzt, wie es ausnahmelos sämtliche Exegeten
niederholten. Der Geograph von Uavenna giebt als Gr u n d hieriur a n . dass die Lände r im
Osten d.is Heimatland duf t ender .Spezereien seien, imd be sonde r s j ene Provhr z , welche dem
Paradiesgai-ten am nächsten liege, weil dort der aus dem Paradiese we h e n d e Wi n d unmiltelbar
seine wohltbätige Kr af t auf die Bäume des Lande s ausübe und aromareiche Früchi e
an ihnen hervcu-spriessen lasse, ähnlich wie erst der Liiftzng den Blütenstaub von den männlichen
Palmen auf die weiblichen zu tragen vermöge. B"