
4G I. KAPITEL. DAS WELTBILD DER ALTEN.
nahmen naturgemäss ihren Ausgang von den Fragen naeh der Grösse
der Erdkugel und der Grösse der Oikumene und lührten zu dem
Ergebnis, dass das von uns bewohnte Land doch nur einen kleinen
Teil der gesamten Oberfläche ausmachen könne. Es drängte sich
somit die weitere Frage auf, von welchem Charakter dann die
übrigen Flächen der Erdkugel seien, wie die Vei-teilung von Wasser
und Land auf diesen vermutlich sein könne, und ob dieses oder
jenes vorherrsche. Da die endgültige Lösung dieser Probleme nur
auf empirischem Wege möglich war, so sah man sich zunächst auf
Hypothesen angewiesen, die indessen nicht völlig aus der Luft
gegritien waren, sondern auf streng wissenschaftlicher Grundlage
aufgeführt wurden. Einmal suchte man aus den allerdings nur
mangelhaften Kenntnissen über die fernsten Teile der Erde einzelne
Sti'itzpunkte zu gewinnen, sodann aber strebte man auch auf Grund
geophysikaUscher Reflexionen eine Lösung der Frage an.
Wir haben gesehen, wie verschiedenartige, zum Teil widersprechende
Anschaimngen über die Oikumene im Umlauf waren,
indem ihr Emige einen insularen Charakter zusprachen. Andere mit
peinlicher Kritik einen solchen in Frage stellten, oder direkt die gegenteilige
Behauptung äusserten imd eine absehbare Grenze des bekannten
Landes noch nicht anerkennen wollten. Im Anschluss hieran, scheinen
deim auch die Ansichten über die vermutliche Beschaffenheit der drei
übrigen Erdquadranten zwei verschiedene Wege gegangen zu sein.
Entschied man sich für die Inselgestalt unserer Oikumene, so lag
nichts näher, als auch die übrigen möglicherweise existirenden Kontinentalmassen
sich als Inseln im weiteren Sinn, also durch den
Ocean abgeschlossene Erdteile, vorzustellen. Vertrat man hingegen die
andere Auffassung und führte sie systematisch weiter, so musste man
notwendig zu einem grossen, über die ganze Erdoberfläche ausgebreiteten,
aber vollkommen zusammenhängenden System von Kontinenten
gelangen, welche an einzelnen Stellen zwar nur durch
schmale, isthmusartige Länderbrücken mit einander verbmiden sind,
aber doch ein einziges kontinuirliches Festland bilden und die
zwisehenliegenden Oceane trotz ihrer Grösse zu Binnenmeeren abschliessen.
Man hat dieses Problem kurz als die Oc e a n f r a g e
bezeichnet; man könnte es auch die Ko n t i n e n t a l f r a g e nennen.
Es wäre wohl angemessen, beide Bezeichnungen neben einander zu
gebrauchen und sie für die beiden Ansichten dahin zu speziahsiren,
je nachdem der Ocean oder der Kontinent als das bestimmende
Element angesehen wurde, indem der postulirte einheitliche Ocean
KONTINENTALER ZUSAMMENH.^-NO DES GESAMTEN LANDES. 4/
die Konthiente zu Liseln zergliederte, ein einheitlicher Kontinent
dagegen die Oceane in Bumenmeere schied.
Was das letztgenannte System anbetrifft, so können wir uns
allerdings nur aus vereinzelten Andeutungen ein Bild von demselben
machen; es lag jedenfalls im Geschmack der für Hypothesen leicht
empfänglichen Zeit.') AVir greifen hier auf Ptolemaeus zui-ück, bei
dem die Auffassung von geschlossenen Meeresbecken besonders ausgebildet
hervortritt. Ihm sind nur drei von solchen Meeren (rm Si
vzpiKa.fxßa.voiiivm vtto rij« oi'zouf/En)5 SctAatro-wK) bekannt: das Indische Meer,
das Mittelineer mid das Kaspische Meer. Er führt auch das Mittelmeer
unter diesen auf, weil die schmale Meerenge bei den Säulen, welche
es mit dem offenen Ocean verbindet, ohne grosse Bedeutung im A^ergleich
zu der gewaltigen Ausdehnung zu sem scheine.') Auch spielt
hierbei eine früher geäusserte Ansicht mit, welche die einstige
Geschlossenheit des Mittelmeeres voraussetzte. »Denn es ist nicht
miglaublich«, sagt Strabo, »dass auch das ganze Mittelländische Meer
vormals em einfacher See gewesen ist, welcher erst im Laufe der
Zeit dm'ch das zufliessende Wasser der Ströme überfüllt und schliesslich
durch die Meerenge bei den Säulen, gleichvde eni Wasserfall,
hinausgestürzt ist. Dadurch nahm das äussere Meer immer mehr
und mehr an Umfang zu, bis es mit dem ursprünglichen Biimenmeer
einen gleich hohen Wasserspiegel erhielt.«') Auch das Kaspische
Meer, welches von den Alten wegen seiner imponirenden Grösse stets
für ein Meer, niemals für einen See gehalten wurde, führt Ptolemaeus
deshalb in der Reihe der geschlossenen Meerbecken mit auf
Über die hypothetische Verbindung Ost-Afrikas mit Ost-Asien und
die hierdurch bedingte Binnennatur des Indischen Oceans ist oben
(S. 45) gesprochen worden. Afrika ging somit, nach Süden zu, unverhältnismässig
in die Breite, mid diese ptolemaeische Ansicht stände
dann emer anderen bei Strabo genaimten entgegen, welcher nur von
einem schmalen Isthmus spricht.') »Denn Alle«, hiess es, »welclie auf
dem Ocean um Libyen herum fahren wollten, sei es vom Roten Meer
oder von den Säulen des Herakles aus, sind nur bis auf eme gewisse
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') Be r g e r , Er a t o s t h . S. 90.
") Ptol . VI I , 5, 3: ^ u-iv x a ä - ' r u ä t ( S ó ^ . u r r a )
aovov -oü HO««?.eiou ttcd^UOU.
ä) S t r a b o I, 52.
Vgl. f e r n e r den Komme n t a t o r Ol ymp i o d o r zu Ar i s tot e l es Me t e o r o l . ed. I d e l e r I , 2 5 2 :
^E^w Sa?.«T-T«r ry.f 'E^u^^ccv Stet To tJ.V] e%sii' ttë^«?. TrXrr i'vv IXSf (pyjTif ort Er Tti't TOTTtw tTTiv
itS^uoc trui'ftffTtuf Tti^ Svo ^jrst'^ovf.