
II. K.\PITEL. D.AS WELTBILD DES MITTEL.U.TEES.
ORIENTIRUNC» DER WELTK.\RTE. 103
leiiser Mönch Tr a Mau TO die ScliAviei'ig'keit zu überwinden, wenn er
sagt: »Jerusalem befindet sich zwar im Mittelpunkt der Welt, soweit
es die Breite anbetrifft, hingegen liegt es hinsichtlich der Liingenerstreckung
der Lestlandsmasse weiter vvestlich vom Mittelpunkt derselben
ab. Lud doch lasse sicli auch liier jener Ausdruck halten,
sofern man in ihm einen Llinweis auf die Bewohnerschaft der Erde
sehe; deini die ganze westhche Hälfte, luid besonders Europa, sei
unverhältnismässig dichter von Menschen bewohnt, als die ganze,
umfongreichere Osthälfte, welche von Asien eüigenommen vvird.
Jerusalem hege also im 31ittelpunkt der Erde, zwar nicht dem Räume,
aber der Bewohnungsdichtigkeit nach«.') — Noch mehr tritt diese
Verschiebung auf anderen Karten hei-vor. Auf der sogenannten
Genuesischen Weltkarte von 1447 (vgl. Atlas. Tatel H. No. 5),-) welche
von elliptischer Gestalt ist, nimmt Asien mehr als zwei Drittel der
gesamten Längenerstreckung ein, so dass dadurch Jerusalem ganz erhebhch
nach Westen verrückt wird, und auf der von einem Itahener
in Portugal um 1489 gezeichneten Weltkarte, welche Kohl im British
Museum entdeckt hat.') entftülen auf Asien nicht weniger als drei
Viertel der west-östlichen Erstreckung.
Eine besondere Beachtung verdient aber noch die verschiedene
O r i e n t i r u n g des mittelalterhchen Weltbildes, welches erst sehr v-iel
später, in der zweiten Hälfte des Mittelalters, dieselben Richtungsvcrhältnisse
zeigt, we unsere Karten, wo der Norden sich am oberen
Rande der Karte befindet. Statt dessen finden wir auf einigen mittelalterlichen
Weltbildern vielmehr das umgekehrte A''erhältms, dass der
Süden nach oben, der Norden dementsprechend nach unten u. s. w.
verlegt ist. Die Gründe, die zu einer solchen Darstellung die Veranlassung
gaben, haben wir bei den Alten zu suchen. Sind ims
auch keine Karten von ihnen erhalten, so müssen wir doch aus gelegentUchen
Andeutungen über dieselben schliessen, dajss dieselben
schon süd-nördlich orientirt gewesen sein müssen.') So hat sich
') Zm-la, j r appamoiulo di Fr a 5Iaiii-o No. 25 citirt Ibisende bei .lenisaleni anl' der
Karte stehende Legende : llieriisalem e in me::o thlla terra habitalik, secondo la lafiludine de
la terra habitabile, hendie in ordine la lonyetudine la sia piit occidentale: rna perche la parte pik
omdenta! e piit habitata per /'Europa, per ho, le in rnezzo anchora secondo la lonyetudine: non
con-üderando el ^paio de la terra, nia la moltitudinc di liabitanti.
-) unten S. 118. — Vgl. Fi s che r : Sanniilung mittelall. Kart. S. 158.
ä) \'erötlentlicht in Zeitschr. f. allg. Erdkde . , Berlin 1856, Bd. I. Tal'.VII: vgl.ebend. .S.447.
•') Hi e r für konunt uns j en e vorher genannte .-Vbhandlung von E l t e r (vgl. 8. 100 Anm. 1)
zu Hül l e , welchei- mit beivundernsivertem .Scharfsinn die fj-agmentarischen Xachricliten über
die Or i ent i rung der alten Karten verwertet hat.
neuerdings herausgestellt, das der berühmte sogenannte KapitoUuiscbe
Plan der Stadt Rom eine im Allgemeinen südliche Orientirung anlweist,')
und auch die von Augustus vorgenommene Einteilung der
Stadt in vierzehn Regionen lässt aus der Reilicnfolge ihrer Aufzählung
auf die Vorlage einer südlicli gerichteten Plankarte schliessen. Dass aber
diese A^orstelkuig sogar Iiis in die ältesten Zeiten zurückreicht, können
wir daraus entnehmen, dass in älinliclier Weise auch die uridten vier
römischen Tribus so angeordnet wai-en. indem die Zählung mit den
beiden südlichen Tribus (I luid II) begann luid hierauf erst die beiden
nördlichen (III und IV) folgten.'-) Audi die alten Karten von Italien
müssen in dieser Stellung angelegt gewesen sein; beim Geographen
von Ravenua wird Ober-Italien durch llalia inferior bezeichnet'), und
Mela neimt die Ostküste von Italien die linke Seite, die Westküste die
rechte.') Die wenig wissenschaftliche Ausdrucksweise von rechter und
linker Seite ist nur unter Voraussetzung einer südUch orientirten Karte
verständlich. Aber auch die We l t k a r t e n de r Röme r müssen .so
gestellt gewesen sein, wie man aus der eigenartigen Reihenfolge in
dem römischen Provinzeiu-erzeiclmiss der Notitia dignitatiim ersiebt,
wo mit der südöstlichen Ecke der Karte (Ägypten) als No. I
angefangen und mit der nordwestlichen Ecke (Britannien) als No. XHl
geschlossen vvird.
Einen Nachklang dieser Oricntiruiigsweise finden wir. wie gesagt,
auch noch im Mittelalter vor, nnd zwar nicht nur auf Karten der
älteren Zeit; selbst solche des XV. Jahrhunderts weisen dieselben
auf Neben der Weltkarte des Era Manro suid ferner diejenigen
eines Genfer Sallust-Kodex, die der Karte Borgia und jene des Andreas
Walsperger liesonders hervorzuheben, auf welche wir später noch
') Der aus der Zeit des Septimius Severus (HL J a h r h u n d e r t n. Chr.) s t ammende Stadtplan
(jetzt im Kapitolinischen î l u s e um) wa r in der Nähe des F o r ums , an der No r dwa n d
des Templum sacrae urbis, zur otVentlichen Benut zung ausgestellt. \'gl. R i c h t e r , Topogr aphi e
von Rom (Müllers Handb. der klass. Altertumswiss. Bd. HI, S. 1 fl'.).
'-) Elter a. a. 0. .Abhdlg. I I , S. I I I IT-, X; XXL .Anders dagegen P h i l i p p i : Zu r
Rekonstruktion der We l t k a r t e des Ag r i p p a , 1880.
Geogr. Rjiv. S. "25'2; ad partem inferiorem Italiae sunt civitates . . Comum, Verona,
Cremona, 3îantua\ S. 255: ab ima Italia inclioemus i. e. a civitate Arsiae, quae finitur inter provinciam
Lilnirniam et Istriam.
Pomp. Mela H, 58: Italia. . . inter Superum mare et Iti/erum excurrit diu solida . . .
sinistrum partem Garni et Veneti colunt. tum Picentes Frentani Dauni Äpuli Calabri Sallentini.
ad de.vtrani sunt Litjures Etruria Latium Vnlsci Campania et .mper Lucaniam Ilruttii. •urbium
ad sini.stram Patarium Mutina et Bononia, ad dextram Capua et Koma. — V'gl. im Übr ige n
Eiter 11. XV. wo Kartenskizzen in s ü d - n ö r d l i c h e r Orientirung von Rom. Italien und dem
Oi'bis t e r r a rum beigegeben s ind; vgl. S. 1\', X, XU' , X X X U ' .
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