
22 I. KAPITEL. DAS AVELTBILD DEK ALTEN. EÜATOSTHENES, KRATES LND IIIPPARCH. 21!
die durch die Periplen htterarisch verbreitet wurden.') Um vieles beaclitenswerter
für die Wissenschaft, und besonders tür die GeogTaphie,
ist aber die rege Thiitigkeit, welclie sich am Hofe der Ptolemäer
entfaltete, die eine Schar liervorragender Gelehrter um sicli versammelten;
Al e x a n d r i a wurde der Mittelpunkt der Wissenschaft,
die Alexandrinische Bibliothek die I-undgiiibe aller Gelehrsamkeit.
Aus ihr ging auch jener Mann hervor, der an der wissenschaftlichen
Bearbeitung der Geographie den vornehmsten Anteil hat:
E r a t o s t h e n e s . Er heferte das erste systematische Lehrgebäude der
Erdkunde, in welchem er die Ergebnisse der bisherigen Forschung
kritiscli behandelte und ein neues me t h o d i s c h d u r c h g e f ü h r t e s
W e l t b i l d entwarf, Avelehes noch lange Zeit, trotz der abweisenden
Kritik, die es bald darauf erfuhr, bestehen blieb.") Mit dieser Arbeit
hat er mehr geleistet, als irgend euie Entdeckungsfahrt zu seiner
Zeit hätte bieten können.
Während Eratosthenes aber in nüchterner, objektiver Weise die
Grundlagen und iMaterialien der wissenschaftlichen Erdkunde vorurteilslos
prüfte, suchten die Anhänger der Stoa in ihrer übertriebenen
Vorliebe lur Homer das mythische Weltbild im Ganzen
und im Einzelnen festzuhalten und die neuen Resultate der Forschung
demselben unterzuschieben oder mit ihm in Einklang zu bringen, ein
Verfahren, wie wir es ähnlich bei den Bibelexegeten des fmheren
Mittelalters finden. Aus dieser Richtung ging Kr a t e s von Ma l los
hervor, welcher am Hofe der Attaliden zu Pergamon, einem zweiten
Sammelpimkte gelehrter Forscher, gegen die Mitte des II. J a h r -
h u n d e r t s V. Chr. seine Lehrthätigkeit entfaltete. Als Grammatiker,
der geographischen Fachwissenschaft etwas ferner stehend, schreckt er
vor den kühnsten Hypothesen nicht zurück und fiült über die
schwierigsten Probleme ein Urteil, zu welchem es jedem besonnenen
Forscher an Mut gebrach. So weiss er der Odysseus- und Menelaos-
Fahrt in der homerischen Odyssee eine neue interessante Seite abzugewuinen,
mdem er diese in das äussere Weltmeer verlegt imd sie
als Umschiffimgen ganzer Kontinente erklärt.") Nur er konnte es
') Un t e r diesen ist besonder s der allerdings nur fragmentarisch erhaltene Periphis
des Timosthenes zu nennen. Übe r ihn vgl. E. A. W a g n e r , die Erdbeschr eibung des T.
von Khodus , Leipzig 1888.
Seine Geographie behandelt das grundl egende We r k von Hu g o B e r g e r : die
geographischen Fr agment e des Er a t . (Leipzig 1880) und desselben Wi s s . Er d k d e . (III, 67—112).
') Aul. Gellius, noct. Attic. XIV, 6, 3. Das Laistrygonenland Home r s , wo zu
gewissen Zeiten die Nacht nur wenige Stunden wä h r t , so dass der eintreibende Hirt dem
auch wagen, ein Gesamtbild der Erdkugel-Oberfläche zu liefern,
hidein er zum e r s t en Wale einen Erd-Globi i s konstruirte und
denselben neben unserer Oikumene auch auf den drei übrigen Erdviertehi
mit neuen Kontinenten versah.')
In besonders scharfem Gegensatz zu Krates von Mallos mid seiner
Arbeitsweise steht sein grosser Zeitgenosse, der grösste Astronom, den
das Altertum hervorgebracht Hi p p a r c h von Nicaea. Li einer
wahrhaft \ ernichtenden Kritik gegen Eratosthenes und die damaligen
Geographen überliiuipt, weist er die Unzulänglichkeit des Materials
nach, mit Hülfe dessen jene die Weltkarte entworfen hatten. Gegenüber
den begreiflicherweise nur aproximativen Ortsbestimmungen nacli
terrestrischen lUaassen bei Eratosthenes, forderte Hipparch eine streng
mathematische Grundlage und Vorkeimtnis und wollte alle auf der
Karte verzeichneten Puidite nur nach astronomischen Längen- und
Breitenbestinimungeu eingetragen wissen. Während er daher alle
Euizelheiten der Eratosthenischen Karte für verfehlt hielt und das zu
erstrebende Ideal einer auf astronomischer (imndlage konstriiirten
AVeltkarte der Zukunft anheimstellte, sah er sich doch veranlasst,
die meisten Berechnungen seines Gegners, unter ihnen auch die Erdniessung,
in Ermangelung besseren Materials vorläufig im praktischen
Gebrauche beizubehalten, riet jedoch, unter den kartographischen
Darstellungen des We l t b i l d e s sich besser der älteren, also voreratosthenischen
Karten zu bedienen.") Strabo sagt mit einem Scheine
des Rechts, Hipparch biete keinen Ersatz für das, was er aufhebe.
Freilich hat er keine neue Weltkarte zu liefern vermocht; aber in
nüchterner Kritik und strenger Methode hat er die Wege gewiesen,
die allein zu dem erstrebten Ziele führen konnten.
austreibenden begegnet, deutet er auf das nördliche Britannien, tmd in dem jenseits des
Oceans liegenden Lande der in ewiger Finsternis wohnenden Kimme r i e r wollte er die
Gegenden der Polarzone mit der sechsmonatlichen Nacht wi ede r e rkennen. — Vorzügliche
Monograjjhien übe r ihn schrieben W a c h s m u t h (De Gratete Mallota, Leipzig I860) ; L ü b b e r t
(Zur Charakteristik des Krates Mallotes, Rhein. Museum XI , 428) ; Müllenhoff (Deutsche
Altertumskde. I, 247 ff.); Berger (Wiss. Er d k d e . HI , 113—129).
Der Er d -Gl o b u s des Krates von Mallos wi rd von Strabo ( I I , 116) un d Geminus
(isagoge 13) e rwähnt . Strabo e rkennt die Vorteile eines Globus a n , da dieser in den Verhältnissen
der Wa h r h e i t am nächsten komme . Um aber auch unsere Oikumene , welche
nur einen kleinen Teil der Erd e ausmache, dem Beschauer möglichst deutlich auf demselben
darzustellen, sei es erforderlich, dass der Durchmesser der Kugel wenigstens 10 Fus s betrage.
Im Ermangelungsfalle einer solchen Kugel müsse man die Ka r t e auf einer F l ä c h e entwerfen,
welche aber auch nicht kleiner als 7 Fuss in der Länge sein dürfe.
Strabo I I , 7 1 , 90. \ 'gl . B e r g e r , die geogr. Fr agment e des Hi p p a r c h , Leipzig
1869, S. 76.
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