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2 9 4 IV. K.\PITEL. DAS VELTBILD ZUR ZEIT DES COLU.AIBUS.
imd erhabene Lage des Paradieses zieht, sind ähnheh den Erzähhmgen,
welche einst J o h a n n v o n Ma r i g n o l a von demselben
gemaclit liatte, der es in der Nähe von Ceylon getumden zu haben
wähnte. »Wir gelangten«, sagt er, »zu dem berühmten Äfo/is Seißnnus,
dem Paradies gegenüber, welches, wie die Eiuwoluier nach Überliefenmg
ihrer Väter erzählen, nur vierzig itahenische Meilen davon
entfernt ist, so dass mau die Wasser rauschen hört, die aus der
Quelle des Paradieses herabstürzen. Es ist aber das Paradies ein
vom ostlichen Ocean umgrenzter Ort, jenseits des Cohmibinischen
Lidiens dem Möns Seyllanus gegenüber, und um so viel höher als die
Erde, dass es, wie Johannes Scotus bezeugt, bis au die Mondscheibe
reicht.«')
Die I'bereinstimmung mit der Bibel-Exegese ist in deji Anschauimgen
des Colnmbus nur üisoweit vorhanden, als dieser die hohe Lage des
Paradieses nach den von ihm beobachteten Terra in-Verhältnissen für
erwiesen erachtete. Hingegen hält er es für um-ichtig, wenn man es
auf einen steilen, miersteigharen Berg verlegt; vielmehr sei diese
hergartige Erhöhung nur als eme saiift ansteigende, kaum merkliche
Anschwelhmg des Erdkörpers zu dcidcen, für deren Vorhandensein
eine Reihe von astronomischen und physischen Beobaehtmigen
sprechen. Freilich sagt er uns nicht, welche Bedeutung er dem
Orinoko als Pai'adiesfluss beilegt, da er doch, wie es allen Anschein
hat, die Identifizirung der vier Flüsse des Gartens in Eden mit dem
Euphrat, Tigris, Ganges und Nil zu billigen schciiit.
Das Weltbild des Cohimbus erweist sich seiner ganzen Anlage
nach als eüi luftiges, auf den irrigsten Voraussetzungen sich gründendes
Phantasiegebilde. In der Meimmg, seine Ansichten stets durch ein
umfangreiches, exaktes Beohachtungs-Material gestützt zu hahen, gegen
welches, wie er wähnte, die Gelehrten seiner Zeit niemals würden
Eüispruch erheben können, scheute er sich nicht, die kühnsten
Systeme aufzubauen, die er üher ihren hypothetischen Charakter
hinaus zu wissenschaftbch unantastbaren Axiomen erhohen zu haben
glaubte. Um sie auch vor der traditionellen Wissenschaft, in welcher
j a auch er noch ganz befangen war, zu rechtfertigen, versah er sie
') Johnnn von Marignola wa r Bischof von Bysinia in Calabrien. Im J a h r 1339 von
Benedikt XI I . als Gesandte r nach Cambalu geschickt, stattete er auch dem Paradies einen
Besuch ab. Vgl. seine Keise nach einem Pr a g e r ]Manuskript, herausgegeben von D o h n e r in
Monumenta historiae Boemiae 17G8, t. I I , sowie bei de G u b e r n a t i s , Storia dei viaggiatori
italiani nelle Indie Orientali, Livorno 1875,
COLU.MBUS' WELTANSCHAUUNG, 2 9 5
übertlies mit einem Ballast gelehrter Beminiscenzen, die er sich aus
den entlegensten AVinkeln zusammenlas, sobald sie nur seine Theorie
zu stützen geeignet waren. Sein T.'orgefasstes Urteil liess ihn üljerall
das sehen, was er vorfinden wollte, und er war gegen seine Zeitgenossen
streng genug, ihnen seüie spitzfindig ausgeklügelten Pliantasmagorien
aufzudrängen. Mit seüien -wmiderlichen Anschauungen über
die Deformation der Erdkugel hat er wenig Glück gehabt; denn
auch seinem Freunde Petrus Martyr schienen sie doch etwas allzu
fabiihsa zu sein.')
Es entsprach auch ganz seinem selbstbewrsstcn Wesen, wenn er
seine Thaten mit einem geheimnisvollen Zauber umgab, wenn er sich
als das auserlesene Werkzeug Gottes ausspielte, welches der erhabenen
Aufgabe gevüirdigt sei, die P r o p h e z e i u n g de s J e s a i a s zu erfüllen.
»Der Herr hat mich zu einem Botschafter eines neuen Himmels uud
einer neuen Welt gemacht, einer Welt, die schon dm-ch den Mund
des Propheten Jesaias und durch den heiligen Johannes ijr seiner
Apokalypse verkfmdet worden war.« »Zur Ausführung meiner That
haben Verimnftsschlüsse, Mathematik und Weltkarten mir jtichts
vcrholfcn. Es ist eüifach in Erfüllung gegangen, was da Jesaias
prophezeit htU.«
Kein Wmtder, wenn gegenüber diesen phantastischen Schwärmereien,
tlieser anmaassenden Sprache, mancher Zweifel laut wurde!
Kein Wunder, wenn man ihn für einen aufgeblasenen Grosssprecher
hielt, da die angebliche Entdeckung der Gold- und Gewürzländer den
gestellten Erwartungen incht im Entferntesten entsprach, indem die
geruigfügigen Proben von Gold den Heissluutger idcht zu befriedigen
vermochten imd die vermeinthch kostbaren Gewr z e sich als wertlose
Körner erwiesen. Die wmiderlichen Deutimgen, die er den eüizelnen
Objekten zu Teil werden liess, waren nur dazu angethan, die Bedenken
') Pe t rus IMartyr. Dec. I, cap, 6, S, 65: Compertum est. polarem illam stellam, quam
nautae nostri Tramontanam vacant, non esse arctici polt punctum, .super quo cadorum axis vertatur.
Hierauf folgt eine Beschreibung seiner Bewegung, Sect quomoelo ßeri possit, ut primo noctis
crepusculo in ea regione quinque tantum gradus tempore .lunii eleuetur, stellis autem discedentihus,
ohuenientes solares radios sumpto eodem quadrante quindecim, non intelligo: nec rationes quas
ipse adducit, mihi plane nec ulla ex parte satisfaciunt. Inquit enim, se orbem terrarum
non esse sphaericum coniectasse, sed in sui rotunditate tumulum quendam eductum, cum crearetur
fuisse: ita quod non pilae aut pomi, ut alii sentiunt, sed piri arbori apensi, fcrrmam sumpserit,
Pariamque esse regionem, quae super eminentiam illam caelo viciniorem possideat. Unde in trium
illorum culmine montium, quos e cauea speculatorem nautam a lange vidisse memorauimus,
paradisuni esse terrestrem asseveranter contendit, rabiemque illam aquarum dulcium,
de sinu et faucibus praedictis exire obuiam maris ßuxui venienü conantem, esse aquarum ex ipsis
montium culminibus in praeceps descentium. De his satis cum fabulosa mihi videantur.
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