
26 I. KAr iTEL. DAS WELTBILD DER ALTEN. KENNTNIS VON AERIKA.
III. Die Grenzen der Terra cognita.
(ie alten Geographen waren bei der Darstellung ihres Welt-
I bildes weiter gegangen, als der Bestand ihrer naehweis-
'1 baren Kenntnisse von der Erdoberfläche zunächst zuliess.
^ Unsichere, vielfach auch gefälschte Nachrichten trugen das
Ihrige dazu bei, die Anschauungen zu verwirren und kühne Hypothesen
entstehen zu lassen, die zwar teilweise den wahren Verhältnissen
Rechnung trugen, aber für die damalige Zeit dennoch unbewiesene,
willkürliche Annahmen waren. Die Umschilfbarkeit Libyens
war für das Altertum ebenso wenig giaubwiü'dig begründet, wie die
gegenteilige Ansicht des Ptolemaeus zu verwerfen wa r , wenn dieser
für den Süden Afrikas noch keine absehbare Grenze ansetzte. Dass
zuweilen das Richtige getroffen wurde, begegnet uns auch in anderen
Kapitehi der Geschichte der Kartographie: auf einigen Karten des
XVI. Jahrhunderts tinden wir die Magalhäes- und Behringsstrasse
schon früher verzeichnet, als sie thatsächlich entdeckt waren. —
Wenn wir im Folgenden das g r i e c h i s c h - r ömi s c h e We l t b i l d auf
seiner höchsten Entwickelungsstufe darzustellen versuchen, so werden
wir zunächst von den spekulativen Erörterungen der Alten über die
Verteilung von Wasser und Land auf der Erde ihre positiven
aus der Erfahrung gewonnenen Kenntnisse von der Erdoberfläche
scheiden müssen; und daher wird es erforderlich sein, die äusserste
Grenzlinie der bis zum Ausgang des Altertums bekannt gewordenen
Oikumene zu bestimmen.
Beginnen wir mit Af r i k a , welches schon den Alten als der
geheimnisvolle, rätselhafte Kontinent galt, von wo, wie Aristoteles
sagt, stets Neues zu berichten war.') Die atlantische Westküste von
den Säulen des Herakles an südwärts wa r kaum bis auf ein Drittel
ihrer Erstreckung bekannt geworden. Sehen wir von den angeblichen
Fahrten der Phöniker Necho's und des Eudoxus von Kyzikos
ab, so ist als die einzige glaubhafte Quelle nur der Reisebericht des
Hanno zu bezeichnen, auf welchen sich alle späteren Geographen
angewiesen sahen; denn auch noch für Ptolemaeus wa r der südlichste
bekannt gewordene Küstenpunkt das Theon ochema, der ^Monte
Sagres.') über den hinaus erst im Jahre 1461 die Portugiesen weiter
vordrangen. Wie mangelhaft aber die Alten über die Westküste
noch unterrichtet waren, beweist die Thatsache, dass die bis zum
Kap Verde im Allgemeinen südwestlich verlaufende Küstenliiiie von
ihnen stets als südöstliche gedacht wurde.")
Ungleich schwieriger lässt sich die durch das afrikanische
Binnenland gehende Südgrenze der bekannt gewordenen Oikumene
bestimmen. Hier setzte die grosse Wüste eine schwer zu bewältigende
Schranke; aber gleichwohl hatte man einige, allerdings nur dürftige
Kunde von ihrem unzugänglichen Imieren, ja sogar noch von den
weiter südlich liegenden Aethiopenländern, erhalten. Ein i'ömischcr
Kaufmann. Septimius Flaccns, war auf einer dreimonatlichen Reise
weit nach Süden vorgedrungen, und ein anderer, Julius Maternus,
hatte von Leptis aus nach vier Monaten Ag i s ymb a , das Land der
Aethiopcn, erreicht.") Ptolemaeus setzt es zu weit südlich, noch unter
den Äquator, während wohl nur die angebaute und reichlich
bewässerte Niederung des Tsad gemeint sein kann.') Auch der nächst
dem Nil bedeutendste Strom Nord - Afrikas, der Ni g e r , scheint
bekannt geworden zu sein. Die Erzählung Herodot's von den fünf
nasamonischen Jünglingen, die durch die Wüste in der Richtvuig
nach Sonnenuntergang zogen und an einen grossen Strom kamen,
der von Abend nach Sonnenaufgang floss und Krokodile beherbergte,
deutet zuerst darauf hin.') Bestimmter tritt der Niger erst bei Ptolemaeus
wieder auf, der unter diesem Namen (NiVsif) allerdings mir
seinen Oberlauf verzeichnet.®) Eine heillose Konfusion entstand aber,
') Pt o l ema e u s ( IV, 6, 9) setzt den Be r g u n t e r 5" n ö r d l . Br . an.
-) So bei St rnbo , Pt o l ema e u s , Me l a , Pl inius . Na e b He r o d o t (II, 32) s t r e i c h t die Kü s t e
von den Säul en des He r a k l e s an zue r s t na ch We s t e n , so dass Ka p Soloeis (Cap Cant in) d e r
westlichste P u n k t i s t , rsM\jTa jaZ-ct rrg Xißv-/]^. Vo n hi e r an we n d e t sich die Kü s t e na c h
Süden ( n ' , 43). .^uch bei Ha n n o ist die Kü s t e von Th ymi a t e r i o n bi s Ka p Soloe i s eine we s t -
östliche, e b e n s o , we n n es im Pe r i p l u s des Sivylax h e i s s t : ccvi%st aaXiTTa rci'
vivrov. — Vgl . E. G ö b e l , die We s t k ü s t e . \ f r i k a ' s im Al t e r t um, Le i p z i g 1 8 8 7 , S. 67 1'.
und H. E n t z . ü b e r den P e r i p l u s des Ha n n o , P r o g r . Ma r i e n b u r g 1884.
Ptol. I, 8, 5: Se M«7-EDI'C1' TOK «770 XiTZTSW^ TYfi WE')'«?.^]»,', «770
TZTJ-ccjyn' ätpiüiyhai EiC ri^i' 'Ayl^vußcc yw^cci' TMD AIBIOTT'M', ei'5-ce o'i f!|>0^£0W7E? J-vi'iOy^ci'TCit.
•') Pt o l ema e u s ( IV, 8, 5) lässt .Agisymba u nmi t t e l b a r an die T e r r a incogni t a g r e n z e n ,
und da er ( IV, 8, 7) di e s e v o n d o r t bis z um S ü d p o l auf 74 Gr a d e s c h ä t z t , so mü s s t e
.-Vgisymba u n g e f ä h r u n t e r d em 16. Gr a d südl. Br . liegen. — K i e p e r t (Le h r b . S. 2 2 3 ) hä l t
es f ü r die Ts a d n i e d e r u n g .
») He r o d o t I I , 32.
") Ptol . IV, 6, 14. — Er bi lde t einen k l e i n e n S e e : Nigr i t i s Limn e .