
HG I . KAPITEL. D.W WELTBILD DER ALTEN.
den insularen Charakter der Oikuinene beibehielten und fiir denselben
nach Beweismonienten suchten. Die Fahrt des Skylax längs der
Persischen Küste, die angebliche l'mschit'lüng Libyens durch die
Pliöniker des König Necho mögen für den oceanischen Abschluss der
Oikumene nach Süden hin als beweiskräftig gegolten haben, während
für den Korden die Nachrichten vom Bernsteinlliiss Eridanos und
den Zinn-Liseln als Stützpunkte dienten, sowie nicht minder die vermutlich
schon damals aufgetretene Ansieht, dass das Kaspische Meer
ein Busen des offenen Oceans sei.')
Aber sehr bald laiid diese Art der Beweislührung ihre Gegner.
Zuerst war es Herodot, welcher die Beweiskraft der von den loniern
vorgebrachten Einzelthatsachen bemängelte, wenn er anderseits auch
die Annahme zu bühgen schien, dass die Erdscheibe durch den
umgebenden Ocean begrenzt werde, mithin eine Insel sei. Während
er zwar die Existenz eines Okeanosflusses ebenfalls zurückwies und
ihn tür eine Erfindung Homers oder eines der Imheren Dichter
hielt,-) während er ebenso die zirkelrunde Gestalt der Oikumene auf
der ionischen Erdkarte belächelte,») deutet doch Alles darauf hin.
dass er von ihrer Inselnatur überzeugt war. Die Skylax- und Necho-
Fahrt schien ihm durchaus glaubwürdig, und in seiner Beschreibung
der südlichen Erdhälfte nimmt er mehrliich auf die oceanischen
Küstenlandschaften Bezug.') Einen unverhohlenen Zweifel hegt er
aber gegen die unerwiesenen Mitteilungen über die Beschafi'enheit
des nördlichen Erdrandes. Wie er die Annahme des Kaspischen
iNIeerbusens verwirft, und mit ihr den Beweis für die dort vorbeistreichende
Oeeanküste, so erhebt er auch gegen die Erzählungen
vom Eridanos grosses Bedenken. »Das waren die äussersten Enden
der Welt in Asien und Libyen; über das Ende von Europa gegen
Westen kann ich aber nichts mit Gewissheit sagen. Denn ich nehme
nicht an, dass es da einen Fluss giebt, den die Barbaren Eridanos
nennen und der sieh nach Norden zu in das Meer ergiesst, von wo der
'} Hi e r ü b e r Be r g e r . \ \ ' i s s . Erdlul e . 1. 30.
=) He r o d u t II. 2 3 ; IV, 8, 45.
.Sein S p o t t ist n u r gegen die selieniatiscli g e z o g e n e Kr e i s l inie g e r i c h t e t , nicht so
gegen die im Al lgeme inen r u n d e b o rm d e r Er d s c l i e i b e ; (He r o d o t U' . 36 vgl. oben S. 13). Dass
e r eine länglich r u n d e Er d i n s e l a n g e n o n u n e n h ä t t e , ( F o r b i g e r . Ha n d b . I. 60) k a n n d u r c h nichts
erwiesen we r d e n ; da die von ihm gegebene n En t l e r n n n g e n e inz e lne r Pos i t ionen o h n e Zu s a n n u e n -
hang a u f g e f ü h r t we r d e n , k a n n ma n aus ihnen k e i n e .Schlüsse ziehen.
*) 1, 202 s agt er a u s d r ü c k l i c h : Da s Me e r , we l che s die He l l enen I j e f a h r e n . n n d da s
Meer j e n s e i t s d e r .Sänlen. we l che s da s . \ t l ant i s che h e i s s t . u n d da s Er y t h r ä i s c h e Me e r sind
alle n u r ein einziges Me e r .
IIERODOT S KRITIK DER IONISCHEN ANNAHMEN. 37
Bernstein hervorkommen soll, auch weiss ich nichts von Zinn-Inseln;
zudem habe ich trotz aller Mühe von keinem Augenzeugen erfahren
können, wie das Meer in jener Gegend Europa's beschaffen ist.«')
An einer anderen Stelle stellt er sogar die Möglichkeit hin, die wir
oben bereits berührt haben, dass der Norden Europa's sieh noch
weiter ausdehnen könne, als man vermute; dass es im Westen
und im Norden vielleicht garnicht vom Ocean umspült werde.
Macht diese Vermutung Herodot's zunächst nur den Eindruck einer
energischen Zurückweisung, indem er durch eine gegenteilige Behauptung
den Gedanken an die Möglichkeit der ionischen Annahme
von vornherein ausschliessen wollte, so scheint doch die Meinung,
dass sich die Oikumene an verschiedenen Stellen weiter ausdehnen
könnte, als man aus entstellten Nachrichten gemeinhin gefolgert hatte,
damals vielfach iiervorgetreten zu sein. Herodot hatte Libyen für
eüi umfalirbares Land erklärt, hatte also den kontinuirlichen Zusammenhang
zwischen dem Erythräischen und dem Westlichen
(Atlantischen) 3Ieere für erwiesen gehalten.") Aus einer Andeutung
im Periplus des Skylax geht jedoch hervor, dass diese Ansicht nicht
zu allen Zeiten Billigung gefunden hatte, wenn dieser ziemlich
zurückhaltend berichtet, dass es »einige Leute gäbe«, die von einem
zusammenhängendem Meer südlich des Aethiopenlandes sprächen und
Libyen für eine Halbinsel hielten.») Hierhin gehört ferner eine
Äusserung des Aristoteles, welcher es wie eine neu ermittelte Thatsache
hinstellt, dass das Erythräische Meer mit jenem ausserhalb der
Säulen des LIerakles wohl doch zusammenzuhängen scheine.') Zur
Zeit Alexander's des Grossen war man jedenfalls über die Frage nach
dem möglichen Zusammenhang beider Meere noch wenig schlüssig
geworden, und er selbst giebt dies mehrfach zu ei'kennen. Als er im
Indus Krokodile sah und am Akesines ägyptische Bohnen, glaubte er
die Quellen des Nil gefunden zu haben; denn der Indus durchfliesse
weiterhin eine grosse Wüste, wo er seinen ursprünglichen Namen
verliere (tccut^ ÜTTokXvovrx tov 'Iv^Ök to ovcua), um als Nil schliesslich
wieder in Ägypten zu erscheinen und in das Mittelmeer (k Tr,v hrag
') He r o d o t III. 115.
Herodot I \ - . 4 2 : \i3vy} aiv yces 8y?.6t loC-« TTE^ijDVrog.
Scyl. peripl. 1 1 2 : èï rii'sg rc-jrcvg rou'. Si^loTrac -ajYa
h'TsCSii' stg .At^oT-oc, ^icu SC'«! -VI' C*«/.f(77«i' J-^JI/Ey^^, èï SI
Berger I. 86.
Aristot. nieteor . I I . 1. 10: asi' Iji^c-j« (fjaii'erai y-a7a «ci