
54 I. KAPITKL. DAS WELTBILD DER ALTEN. ANNAHME NOCH ANDERER KONTINENTAL- INSELN. 55
macheil und diesen geeignete Namen beizulegen. Die vier Kontinentalinseln
des Krates forderten hierzu naturgemäss auf, wenn sie nicht,
was auch wahrscheinlich ist, erst zu diesem Zwecke konstruirt worden
sind.') Man unterschied zwischen Antöken (Antichthoiien) oder Gegenwohnern
(unter gleichei- Länge und entgegesetzter Breite unserer
Oikumene), Periöken oder Nebenwohnerii (in gleicher Breite, aber entgegengesetzter
Länge) mid Antipoden oder G egenfüsslern (in entgegengesetzter
Länge imd Breite). So finden wir sie ausführlich dargestellt
bei Geminus und Macrobius, durch die sie dann eine weite Verbreitung
fanden.-) Jedenfalls hatte man sich in der Antipodenfrage
sehr bald verständigt, und wo der erfahrimgsmässige Beweis fehlte,
führten teleologische Reflexionen dazu, nach denen ein in der
Natur tief begründeter Trieb das Bestreben zeige, an allen Stellen der
Erde, wo sich Gelegenheit bietet, Leben zu entfalten.")
Hiermit hatte die Frage nach dem vermeintlichen Vorhandensein
anderer Weltteile eine wissenschaftliche Unterlage gefunden, und es war
nunmehr ausschliesshch das Werk gelehrter Spekulation, einzelne Anhaltspunkte
zu gewinnen, die auf die Verteilung und Gestaltung neuer
Kontinente schliessen Hessen. Die Inselgestalt der Oikumene, bedingt
durch die Einheit eines umgebenden Oceans, legte den Gedanken
nahe, dass auch die anderen Festlandsmassen die Inselnatur zeigen
dih-ften, — ähnlich, wie die weitere Ausdehnung der Oikumene zur
Annahme geschlossener Meeresbecken geführt hatte. In dem pseudoaristotehschcn
Buche: »Von der Welt« wird diese Auffassung vertreten.
»Allgemein«, heisst es dort, »teilt man die Oikumene in Inseln
und Kontinente ab, ohne zu wissen, dass sie im Grossen und Ganzen
eine vom Atlantischen .Aleer umgebene Lisel selbst ist. Es ist sogar
sehr wahrscheinlich, da ss es f e r n von i h r , u n d d u r c h Meerest
e i l e g e s c h i e d e n , noch viele a n d e r e d e r a r t i g e I n s e l n gi ebt ,
t e i l s g r ö s s e r e , t e i l s k l e i n e r e , die a b e r a l l e von uns noc h
') W. i chsmi i th, De ("ratete J l a l l o t a , .s. 2 3 ; MüllenliolT, De u t s c h e Al t e r t i imskde . I, 2471'.
Geminns, isag. c. 50 tl. Cicero in .Somn. .Scipionis ap. J l a c r o b . I I , 5 u n d de s s e n
Ivominentar. Kam si nohü ninendi facultas est in hac terrarum parte, quam cniimj/s....
cur uott et illic a/iquos viverc credamus, uhi eadem Semper impromptu sunt Si mim
nnhis, quod asserere genus ioci est, deorsum habetur ubi est terra, et svrsvm übt est coelum:
ilUs quoque snrmm- erit, quod rle inferiore suspicient etc. Im - \ n s c l d u s s an Cicero bezeiclinet
e r die ve r s chi edenen Er-dljeivoliner im \ ' e r h ä l t n i s zu uns als obliqui, transversi u n d adversi.
Ulier die . \ n t i p o d e n l e h r e d e r .-Vlten vgl. F o r b i g e r , Un n d b . I, 3 6 4 ; Pa u l y ' s Re a l -En c y l d o p a e d i e
d. klass. -Altert, s. v. . ^ n t i p o d e s ; s owi e Ke r g e r , Er a t . S. 80, 8 6 ; Wi s s . E r d k d e . II 15
35. 44, 83, 135 ; I I I , 3, 68.
ä) Cl e ome d . cycl. theor . me t eor . I, 2, S. 15.
nicht g e s e h e n wo r d e n sind. Denn wie sich die Inseln unserer
Oikumene zu den Meeren verhalten, in denen sie liegen, so verhält
sich auch die ganze Oikumene zum Atlantischen Ocean'); so verhalten
sich auch die übrigen Kontinente zu dem gesamten AVeltmeer.
Denn auch diese sind Inseln, die von grossen Meeren euigeschlossen
werden (yjicot ixzy^.Xoic; Tici TTspiy.Xv^oatvu-t TTsActyeö'd')«.") Zu einer solchen
Auflassung gaben verschiedene Momente die Veranlassung. Strabo
verhält sich derartigen Untersuchungen gegenüber immer reservirt, wed
sich der Geograph nur mit dem von uns bewohnten Stück der Erde
beschäftigen solle. Von den beiden gemässigten Zonen der Erdkugel
befindet sich unsere Oikumene auf der nördlichen. Sie ist aber von
der südlichen getrennt; »denn es sind grosse Ströme dazwischen, vor
allen der Ocean und die heisse Zone«. In ganz analoger Weise hatte
sich bereits Ar i s t o t e l e s die Verteilung von Land und AVasser vorgestellt;
denn auch er nimmt auf der südlichen Erdhälfte eine der
unseren vollkommen ähnliche Oikumene an; und nicht anders urteilt
Krates von Jlallos, der die heisse Zone dem Ocean zuerteilt, welcher
beide Festländer von einander scheide; auf die heisse folge dann die
gemässigte Zone, sowohl auf unserer als auf der entgegengesetzten
Seite. In kühner AVeise weiss er auch dem Homer diese Ansicht
unterzulegen, indem er die »doppelt geteilten« Aethiopen, von denen
die einen beim Aufgang, die anderen beim Niedergang der Sonne
wohnen, auf beide Oikumenen verteilt; denn da sie die äussersten,
am weitesten nach Süden und am Ocean wohnenden Menschen sind,
so müssen einige von ihnen auch auf der anderen Seite am Ocean
wohnen. Nur so sei der Ausdruck »geteilte« recht verständlich, nur
so auch ihre Lokalisirung am Aufgang und Niedergang, weil der
vom Himmel auf die Erde übertragene Tierkreis (Ekliptik) in seiner
sc.hrägen Richtung nicht über beide Aethiopenlandschaften hiiiaiisreiche,
und weil die Sonne ihren AA^eg auf dieser Strasse mache,
— »mit den verschiedenen Auf- und Untergängen gemäss der A'^erschiedenheit
ihrer Lage«.')
Diese Auffassung fand ihre Fortsetzung bis zum Ausgang des
Altertums. So finden wir das postulirte Australland als den Sitz
der Antichthonen auch bei P omp o n i u s Mela vor, welcher deshalb
die Quellen des Nil, für welche auf der nördlichen Hälfte kein
') Üb e r die Au s d e h n u n g di e s e r Be z e i c h n u n g auf da s die Oi k ume n e e ins chl i e s s ende
Meer vgl. oben S. 41. f.
Pseudo-Aristot. de mu n d o c. 3.
») S t r a b o I, 31.
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