
42 I. ICAPITEL. DAS WELTBILD DER ALTEN".
Meeres verloren. Erst seit dem zweiten vorehristlielien Jahrhundert
findet dami die Bezeichnung Oc e an wieder Eingang und wurde als
solche sowohl auf das Atlantische, wie auf das Indische oder
Erythräische, und überhaupt auf das ausserhalb der bewohnten Erde
befindUehe Meer übertragen.') Eine gezmuigene und willkürliche
Maassnahrae war es aber, weim Eratosthenes und seine Anhänger'")
die Benennung »Atlantisches Meer« in diesem weiteren Sinne des
Weltmeeres fassen, während sie ihrer ursprünglichen Bedeutung nach
nur auf das Westhche Meer anwendbar war. Es lag hier die spezielle
Absicht vor, durch diese Verallgemeinerung des Namens die Annahme
eines kontinuirlichen Zusammenhanges der Meere, und somit
auch der insularen Gestalt der Oikumene, notwendig zu machen.
V. Vermeintliche Existenz noch anderer
Weltteile.
^ ie Frage nach der Beschaffenheit des äusseren Randes der
5 Oikumene hatte zu keinem Abschluss geführt. Die Nach-
I Prüfungen der Forschungsergebnisse konnten nur immer
j wieder che durchaus lückenhafte Kenntnis konstatiren, und
es war daher Sache einer ehrlichen Kritik, die Unmöglichkeit einer
endgültigen Lösung der Frage einzusehen. In den oben gedachten
Bemerkungen eines Skylax und Aristoteles, sowie in dem gelegentlichen
Einfall Alexander's des Grossen, von Indien aus zu Lande einen
Zug nach Agy-pten zu unternehmen, lassen sich schwache Spuren der
schon damals aufgetauchten Annahme kontinentaler Zusammenhänge
erkennen. Nicht immer aber wagte man, in schroffem Gegensatz zur
Lehre von der Erdinsel, die entgegengesetzte Ansicht zu behaupten.
') Die Be z e i c h n u n g «Ocean« f inde t sich zue r s t wi e d e r bei Ps e n d o -Ar i s t o t . de mu n d o c. 3;
vgl. me t a p h y s . I, 3; Ca e s a r , bell. Gall. III, 7: niare Oceanum; vgl. im Üb r i g e n Ki e p e r t , Le h r b .
S. 30 u n d F o r b i g e r I I , § 53. — Da s s ü d h c h von Asien ge l egene Me e r hiess f r ü h e r (He r o d o t ,
Strabo) s chl e chthin da s Sü d l i c he o d e r das Er y t i i r ä i s c h e (Rot e ) . De n Name n des Indi s che n
Meeres f ü h r t es e r s t seit d e r Ka i s e r z e i t (Pt o l ema e u s ) .
-) S t r a b o I, 5; XV, 6 8 9 ; X V I , 767 u n d öf t e r . Bei Cic. So n i n . Sc ipioni s 6: mare qmd
ÄtUinticum, quod magnum, quod Oceanum appellatis. Da g e g e n v e r s t e h e n Me l a u n d Pl inins
u n t e r mare magmim den At l ant i s chen Oc e an u n d He r o d o t ( I , 202) u n t e r s c h e i d e t zwi s che n
Atlantischem n n d Er y t b r ä i s c h em Me e r e . Vgl . noch Ov i d , 3I e t am. X^-, 8 3 0 : uterque Oceanus.
DAS WELTBILD DES PTOLEMAEUS. 43
sondern begnügte sich mit der zurücklniltenden, vorsichtigen Antwort,
dass die Frage noch nicht spruchreif wäre. Nur so können wir uns
das Verhalten Hipparch's erklären, der, weit entfernt, an Stelle
der von ihm widerlegten Hypothese der Erdinsel eine andere zu
setzen, sich mit dem schlichten non liquet beschied und folgerichtig
auch bescheiden musste, wollte er sich nicht desselben Fehlers
schuldig machen, den er an Anderen gerügt hatte. Man könnte in
Hipparch eher einen Anhänger der Lehre von der Erdinsel und der
Einheit des Oceans wiedererkennen, als ihn zum Vertreter, geschweige
denn gar zum »Vater« der Anschauung einer vermeintlichen
Trennung des Weltmeeres zu machen, wie dies vielfach geschehen
ist. Denselben Standpunkt vertritt der zeitgenössische Historiker
Polybius, der weder der einen noch der anderen Ansicht Geschmack
abgewinnen kann.')
Trotz alledem muss aber die vermeintliche Geschlossenheit der
Oceanbecken eine ernsthaft behandelte Frage gewesen sein, über
deren Vorgeschichte wir nur wenig wissen, die uns in systematischer
Durchbildung vielmehr erst aus einer Zeit vorliegt, als sie ihr
letztes Stadium erreicht hatte: in der Geographie des C l a u d i u s
Ptolemaeus. Indem er dem vorher erwähnten Grundsatz Strabo's
folgte, dass der Geograph sich nur mit den bekannten Teilen der
Erde befassen sollte, suchte er mit kritischem Takt die Grenze des
thatsächlich Erforschten oder doch annähernd Bekanntgewordenen
und des völlig Unbekannten, der Terra incognita, im Einzelnen zu
hestimmen. Während das Meer im Westen der Oikumene eine
natürliche Grenze bildete, deutete nach Ptolemaeus' Meinung Alles
darauf hin. dass das Land nach Norden, Süden und Osten sich
weiter ausdehnen müsste, als man gemeinhin annahm. Da, soweit
die Kunde nach diesen Richtungen hin reichte, niemals eine beglaubigte
Nachricht eingetroffen war, dass an irgend einer Stelle das
Jleer erreicht worden wäre, so hielt er es nicht für gerechtfertigt, in
ganz willkürlicher Weise einen oceanischen Abschluss anzunehmen
und die Erde so zu einer Insel zu machen, sondern liess vielmehr
jenseits der Grenzlinie des Erforschten die Erde sich bis ins Unbekannte
fortsetzen. Das Weltbild, welches er aufbaute, war durchaus
symmetrisch angelegt, macht aber gerade deshalb den Eindruck des
Gezwungenen und absichtlich Konstruirten. Während er in ost-
') Po l y b . I I I , 3 8 , I: Kk ^ c c t t s j Se ^a) r r c r r ? Aißvv^g, y.ctSc
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