
OG II. K.APITEL. AVELTBILD DES M1TTEL.\LTERS.
legte Kosmas das Paradies, dessen vermeintlielie, noeli gegenwärtige
Existenz im ganzen Mittelalter allgemein angenommen wiu'de. Dort
war der Aufenthaltsort der ersten Menschen bis zu Noah's Zeit, dort
im östlichen Teil befand sich aueli das Paradies. Die Menschen aber
setzten, als die Sintflut eintrat, auf wunderbare Weise in der Arche
nach dieser Erde über den Ocean und gelangten so zuerst nach
Persien, wo sieh die Arche auf dem Gebirge Ära rat niederliess. Auf
der Karte des Kosmas sehen wir ferner im Osten ein längliches
Wasserbecken, welches mit einigen Liseln erfüllt ist, und von tliesem
gellen vier Flü.sse aus, welche das trans-oceanische Festland durchlliessen,
um dann in den Ocean zu münden. Es ist dies die getreue
Wiedergabe des Bibelberichtes; deim jenes Wasserbassm ist mchts
Anderes als der Strom ui Eden, und die vier Flüsse süid der Pischon,
Gihon, Hiddekel und Phrat, welche von ihm ausgehen.') Da nun
dieselben mit dem Ganges, Nil, Tigris und Euphrat identificirt wmrden,
so leitete man sie vielfach in weiten hypothetischen Läufen nach
unserer Erde herüber. Bei Kosmas strömt der Phisoii durch den
Ocean nach dem südöstlichen Teil der Oikumene hinüber, wo er m
den Persischen Golf mündet; der Nil dagegen durchfliesst erst noch
ein beträchtliches Stück des jenseitigen Landes, um dann in gleicher
Weise über den Ocean hmwegströmend in Ägypten wieder aufzutauchen.
Schwieriger aber wa r es, beim Euphrat und Tigris einen Zusammenhang
mit den Paradiesflüssen nachzuweisen, da man mit
deren wahren Quellverhältnissen in Armenien annähernd bekamit war.
Man Avusste sich aber in geschickter Weise zu helfen, indem man
sich den Oberlauf derselben im Paradiese mit dem Fnterlauf auf der
Erde durch euien unterirdischen Kanal verbiuiden dachte. So stellt
es auch Kosma,s dar, wenn er beide Flüsse nach dem Nordosten der
Oikumene hinüberleitet, sie dann aber nach einer kurzen Strecke im
Erdboden verschwinden lässt, aus welchem sie schliesslich in Armenien
wieder hervorquellen.-) — Diese so enifach angelegte Karte der Erde
hatte nach seiner Meinung ihre getreue Nachahmung in dem Tisch
der Stiftshütte gefimden. Nicht nur, dass bei diesem die Maasse im
A'erhältnis übereinstimmten, auch die übrigen Einzelheiten desselben
AsyouB'Oy T^c y^g) Tclg 'P.ysai'ov ycu Tfcvr^i' yyj', olyoCusv
rii'SjCLi-ci, y.uy.sti'Yif . . . . Yj y.a\ yvy.?~ot tqv 'P.yscivav, r,r ttots wyovr usi' Ol «.S'JiUTTOt yrtrü
'I Ub e r die De u t u n g di e s e r F l ü s s e na ch d e r .Anschauung des Bi b e l - E r z ä h l e r s s e lbs t vgl.
F r d r . D e l i t z s c h ; Wo lag da s P a r a d i e s ? Le i p z i g 1881.
-) Ub e r die La g e des Pa r a d i e s e s bei d e n mi t t e l a l t e r l i chen Ko smo g r a p h e n u n d den
u n t e r i r d i s c h en La u f d e r Pa r a d i e s t l ü s s e h a b e ich e i n g e h e n d g e h a n d e l t in d e r Ph y s . E r d k d e .
im Mitl., S. 7 8—9 1 .
DIE VIERECKIGE WELTKARTE.
waren ein symbtilisches Alibild der Erde. So sollte die Hohlkehle,
die um den Tisch herumlief, den Ocean andeuten, und der goldene
Kranz um jene das jenseits des Oceans gelegene Land, die ^IJ Trefixv TOO
wy.eavou, eVS-ä wpa TcC y.xr'Jiy.om oi öii'S'pctiTrot.')
Das Grundschema eines v i e r e c k i g e n We l t b i l d e s hatte sich aber
auch in den nächsten Jahrliiuiderten noch forterlialten, und wir luiden
es selbst auf einigen Karten des Abendlandes A-or, wo es — offenbar
ganz unalthängig von der Karte des Kosmas entstanden — weit verbreitet
gewesen sein innss. Wenig glaubhaft scheint mir die Aiuiahme,
dass die ältesten christlichen Weltkarten vorübergehend auch von d r e i -
e c k i g e r Ge s t a l t gewesen sind, wie man aus einer Stelle in den
Historien des Orosius wohl schliessen könnte. Der Ausdruck triquedrus
scheint mir nur eine verderbte Lesart für tripartitus zu sein, zumal da
in der fälschlich dem Aethicus Ister zugeschriebenen Kosmographie,
deren zweiter Ted wesentlich aus Orosius entlehnt ist, sich die riclitige
Lesart findet.') Der Hinweis auf die übliche Dreiteilung der Erde in
xVsia, Europa tind Afrika, ist überdies nichts Auffallendes, wohingegen
die Anlage einer dreieckigen Karte völlig unverständlich bleibt.
Während die AVeltkarte des Kosmas, wie sie sich im Codex Laurentianus
findet, mit linear-geraden Linien die im Text geschilderte Erde
graphisch Aviedergielit, zeigen andere Karten sclion mehr das Bestreben,
das zu (n-unde gelegte Schema auszugestalten und die Küsten-Konfiguration
zu modellireii. Von der Karte, welche der heilige Gallus
(VII. ,lalu-liundert) besessen liat, ist wenig mehr als eine kurze Notiz
erlialten.") und kaum besser sind wir über die vielgenannte Karte
Karl's des Grossen unterrichtet. Einhard, der Biograph KaiTs, spriclit
von drei silberneu Tischen, von denen der eine, von viereckiger Form,
einen Plan von Konstantinopel enthielt, eui anderer, von runder Gestalt,
die Stadt Rom, und ehi dritter, von besonders kunstvoller Arbeit
Wt t
1) Üb e r den Ti s c h vgl. E x o d u s ' 2 5 , 23 — 25.
Paulus Or o s i u s s c h r i eb um 417 n. Chr . Se ine Ko smo g r a p h i e bi lde t da s 2. Ka p i t e l
dos 1. Bu c h e s d e r I l i s tor i a e ndve r sus p a g a n o s . Do r t heisst es am An f a n g (bei A. l l i e s e .
(ieographi Intini niinon^s, He i lbron n 1 8 7 8 . S. 5G): Jlaiot-es ywstri orhcm iotius terrae oceani
Umbo circuin.'^r'ptnin triquedrun) stafucre eiusque tres partes Asiam Europam et Africam vocaverunt.
Dagegen in d e r a n o n yme n Kos ni ogr apl i i e (de r en er>ter Teil aus J u l i u s Ho n o r i u s , d e r e n zwe i t e r
aus Oros ius slaiunit) bei Kiese S. 9 0 : llanc quodripartiiam totius terrae continenfiam
maiores nostri Ir/pert it am rrpiitari dpfinierunt, incestiyantes universvm arhem oceani maris
Umbo circumdatiim, fasque tres partes A^am Eurnpam et Africam reputarunt. — Di e Be z e i c h n u n g
triquedrus i inde t sich noch e i nma l l>ei Al c u i n . Ca rm. 13.
Hndliertu.s, de casilnis .^t. Galli c. X : Inter hos (lihros) etiam unam- ^lappam rnundi
snhtiU op'-re patravit quam inter hos quofpie libros communeravit.
K r e t s c l , n i i T . Kiitdcekuns Auienk;rs. 13
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