
1 1 0 II. K.VPITEL. D.\S V\T:i.TIiILD DES JIITTEL.M.TERS.
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Zwar ist der Erdraiul iioeh mit dem Zirkel gesehlagen, nnd ebenso
sind die inneren Partien trotz aller Individualisirimg durch schnurgerade
Linien bestimmt; aber das Ganze trügt doch schon wegen der
auflallend südöstlichen Kichtnngs-Axe des Mittelmeeres ein anderes
Aussehen. Freilich tritt auch eine entscliiedene rnkenntnis des Verfassers
liervor. wenn er den Nil in denselben östlichen Busen des
Oceans münden Uisst, welcher aucli den Euphrat imd Tigris aufnimmt.')
Ausserilem aber sehen wir noch in Libyen ein zweites
Eluss-System, welches wir ebenfalls auf den Nil deuten müssen, schon
wegen der beiden charakteristischen Quelltlüsse (form nihti, fons darda),
die in einen See mit Lisel (Jleroe) münden.')
Neben der grossen Karte des He i n r i c h v o n Ma y e n c e , des
Kanonikus der dortigen Kirche St. Draria.') ist nocli die, ebenfalls dem
XII. Jahrhundert angehörige, Karte L amb e r t ' s v o n S a i n t Ome r
hervorzuheben.') welche in der Ausführung der Küstenlinie und
besonders des äusseren Oceanrandes schon erhebliche Fortschritte aufweist.
Aber auch auf diesen noch ist das Grundschema klar erkennbar;
ja in Rücksicht auf dieses steht der Kartenzeichner nicht an. manche
A'erschicliungen und Verzerrungen in der Länder- mid Küsten-
Konfiguration vorzimehmen, trotzdem er vielfiich besser über diese
unterrichtet gewesen sein mag. So bat es stets schwer gehalten, die
ganze Mittelmeer-Küste Europa's dem Schema entsprechend der
geraden ost-wesrlich verlaufenden Teihingslinie anzupassen. Griechenland,
Italien und Spanien sind daher immer noch zu imgestaltcten
Landniasscn breit gec[uetscht. so inhaltsreich sie auch hinsichtlicli der
Topographie zu werden anfangen; dies tritt z. B. auffallend bei jener
Karte Lambert's hervor. — Aber auch das nachfolgende XHl. Jahrhundert
liat sich von diesen Gezwungenheiten noch nicht frei zu
machen gewusst. Die E b s t o r f e r We l t k a r t e ' ) zeigt dieselben steifen
') Seinen I r r tum scheint er li.ild eingesehen zu iiaben. denn er zog naclUräghch vom
>'il einen Verhindungs-.Arni nach dem Mittehneer liinülier.
-1 I.elewel's ^Meinung, dass dieses System dem Niger angehör e , ist unzulässig.
' ) Die Iv.arte gehör t zu einer Chronik, welche bis auf Heinrich IV. her.abgeht. Es
heisst d o r t : anno ah incarnatione Do/nin/ miUesimo ceniesimo ei fWimo, quo anno Uber isießnitur.
[sie Ifrnriril.s fjui hunc iibrurn eäit fuit Canoniais ecdesiae Sanctae Jlariae civitafis Jlayo/itiae. —
Vgl. die Karte bei Santai-em und Jouiard. Im Übrigen vgl. San t a r em, E.ssai I I I . 463 ff.;
Lelewel. Geogr. II § ]05.
r b e r Lamb e r t , den Kanonikus der .\brei St. Bertin bei St. Omer. vgl. unten S. 131.
Die in Frage kommende Kai-re entstammt einem Kodex der Bibliothek von Gent.
Die f rü h e r dem Benedikt ine r innen-Klos t e r Ebstorf (in der Lü n e b u r g e r Heide) angehörige
Karte besitzt seit 1S45 der Historische \ ' er ein für Ni ede r -Sa chs cn in Hannover. Sie
ist aus dreissig I'ergamentblättern zusammengesetzt und 3.58X3,.56 m gross. Aus den
WELTKAU'I EN DES XIII. .lAHRIIUNDKRTS. I I I
Formen, so selir ancli der Zeichner das Bestrelieii zeigt, durch tief
einschneidende Jh^erbu.sen die Küste zu modelliren. Die Einzwängung
Euro])a's z. B. in den nordwestlichen Erdquadranten liatte die.se
X'uebenheiten für den genannten ICrdteil notwendig zur Folge. —
ÄliiiUclie Züge in der Gesamt-Anlage wie auf der Ebstorfer Karte
trelfen wir ferner auf jener des Ri c l i a r d v o n l l a l d i n g b am aus der
Kathedrale von Hereford an") (vgl. Atlas. Tafel lU, No. 8). Die Fülle
des einzuzeichnenden Materials maclite maiLciierlei Al)weicliuiigeii notwendig.
Jerusalem liegt zwar im ^Nbttelpunkt der Ei-de; hingegen ist
Europa auf ein noch kleineres Feld beschränkt. Die Missverhältnissc
des euifachen Schema's mas.sen jedenfalls schon damals fühlbar geworden
sein; so war u. A. für die scharf ausgeprägte Gestalt der
kleinasiatischen Halbinsel auf den älteren Karten kein Platz vorbanden.
Wollte der Zeichner diese als llall)insel hervortreten la.ssen, trotzdem
aber auch die nord-südliche Teihingslüue des Scliema's hmehalten, so
konnte er sie, wie dies Richard that, nur durch zwei lief einschneidende
Meerbusen zum Ausdruck bringen, wurde hierdurch aljcr auch
gezNvungen, die südhch sielt anschliessende Syrisch-Palästinensische
Küste ebenfalls halbinselartig heraustreten zu lassen.
Was den Umf a n g des g e s amt e n E r d b i l d e s anbetrill't, so lässt
sich auf den l)i.sher genannten Karten ein Fortschritt noch niclit
bemerken. Sind die älteren ICartiui an und für sicli schon inlialtsärmer
wegen ihres kleinen Maassstabes, so bieten zwar die grösseren
ein umfassenderes Material dar, aber .sie beschränken sich docIi meist
nur auf die Ijckanutesten Angalien der römischen Schnlschriftsteller, liesonders
des Plinins, und auf die Bibel. Als das östlichste Land finden
wir regelmässig Indien verzeichnet, wo ui der äussersten an den Ocean
greiizeitden Gt'gend auch des Paradieses gedacht wird. Die östliche
Lage Indiens hatte die nachteüigc Folge, dass auch der Araliische
und Persische Busen nach Osten sich öfliieten, Arabien erscheint nur
als eine schmale Landzunge, und die zu grosse Entfernung des
Arabischen Busens vom Mittelmeer verwischt die scharfe Trennung
zwischen Asien und Libven vollständig; der Isthmus bei Suez fehlt
Einzelheiten der Darstellung ist ersichtlich, dass sie in der Gegend von Rraunscinveig und
Lüneburg gemacht i.st. Ebs tor f , welches auf der Ka r t e noch in der älteren Fo rm Ebbekestorii
verzeichnet ist, ist erst von einer späteren Hand nachgetragen. Eine vorzügliche Publikation
hat neuerdings der Historische A'ei ein vorgenonnuen: Die Ebs tor f er AVeltkarle, herausgeg.
von E. Sonune rbrodt , Hannove r 1891; vgl. desselben: .Vfrika auf der ICbstorfer We l t k a r t e ,
Gyum. Progr . , Hannove r 1885.
') Publikationen von .lomard (6 Blatt); llavergal 1872; Kiepert 1885 (nicht im
Handel). Vgl. Sant a r em, Es s . a i l l , 288 — 434; Le l ewe l , Geogr. I I . § 105.