
1 0 1. KAPITEL. DAS Wia.TlSILI) DKR ALTEN. DAS WELTBILD DES SECHSTEN JAIlUnUNDEKTS V. CIIU. 11
reiclitcn jedeiiralls weiter, als das oben darge.stellte honierisehe Weltbild
schliessen läs.st. Einen unwiderleglichen Beweis hierfür haben
neuei'dings die Schlieinann'schen Ausgrabungen gebracht. In den
Schachtgräbern zu Mykene fanden sich Bcrnsteinperlen, von Halsketten
herrührend, die nach cheniischer Untersuchung als aus der
Ostsee .«tainmend erwiesen wurden.') und auch die langen Tage und
Nächte in der Laistrygonen-Fabel deuteii auf eine entfernte Kenntnis
des hohen Nordens hin, lür welche allerdings auf der hoinerischen
Weltkarte kein Raum mehr bleibt.
Behielten zwar die Dichter der Folgezeit noch bis zum V. Jahrhundert
das alte homerische Erdbild bei, so ilochten sie doch schon
neuerworbene Kenntnisse mit ein, ohne aber auf die richtige Einordnung
dieser hnmer bedacht zu sein.") Der alhunllutende Okeanos
land noch lange Zeit sehie Vertreter, und noch zu Ilerodot's Zeiten
iiielten die Griechen am Pontos an der Existenz desselben fest.')
die Erzählung des Eiiiiiaios, der als Ivn.nbe von Pliünikern gerjliilil und nach Itliaka aLs
Skhive verkauft wurde. (XV, 415 11'.). .\uch die .Sikeler, unter denen wir wohl nur in Sieilien
ansässige t'liüniker zu verstehen haben, werden einnnd als Sklavenhändler geTiannl, (XX, 383).
Die chemische .\nalyse von O. Helm in Dan/.ig ergab, dass dieser mykenisehe
Bernstein nicht dem sieilischen oder oberitalischen, sondern dem von der Ostsee verwandt
ist; denn der sicilische hat gar keine Bernsteinsäure, nur der Ostsee-Bernstein enthält solche
zu 3 bis 7 Procent. Die mykenisehe Bernsteinperle wies einen Uehalt von 8 t^rocent auf nnd
dürfte also sicher von der Ostsee stammen; denn es ist bisher nicht bekannt geworden, d.nss
ein dem baltischen Bernstein chemisch und physikalisch gleiches Produkt noch an anderen
Orlen sich gefunden [lätte. Schuchhardt a. a. O. '223 1'. Dass \'erbindnngen zwischen
der Ostsee nnd dem Ktdturkreise von Mykene bestanden haben müssen, ist hiernach Thatsache.
A. v o n G n t s c h n i i d (Kleine Schriften, Leipzig 1890; II, 55) meint, dass der Bernstein
nicht zu Schifi", sondern auf dem Landweg entweder nach dent .\dri.^tiscben ^leere
oder den Rhein aufwärts und den lihone abwärts gesch.TtVt wnirde.
Uber Ilesiod, die Kykliker imd Tragiker vgl. Forbiger Mandb. 1. 21 — 41. l ' b e r
den Umfang ihrer Länderkunde würden uns die in ihren Diclitungen sich tindenden
geographischen Episoden manchen .\ufschluss geben, wenn eine befriedigende Deutung
derseüjen bisher gelungen wäre. B e r g e r . Liesch. der wissenschaftlichen Erdkunde der
Griechen, Leipzig 1887, I. 5.
Bei Aeschylus wird der Okeanosstrom noch ganz in derselben AV'eise geschildert,
wie bei Homer. — Die Ansicht der pontischen Griechen hält Herodot (H", 8) für w-enig
glaubwürdig.
II. Die Entwickelung des geographisclien Horizontes.
1. Die lonier und Herodot.
, ber allmählich erweiterten sich die geographischen Kennt-
• nisse. Die in tiefes Dunkel geln'illten, in fabelhafter Ferne
' liegenden Länder rückten näher und näher und gewannen
Gestaltung, und über den Anfangs nocli so engen Horizont
schweifte das Auge in neue unabsehbare Fernen hinaus. Der Fortschritt
in der Länderkunde konnte niclit ohne Einlluss auf die Vorstellung
vom Gesamtbilde der Erde bleiben, und so war eine
Umgestaltung des alten mythischen Erdbildes unausbleiblich. Bereits
im VII. Jahrhundert finden wir die fridiesten Versuche einer solchen
vor. denn um diese Zeit hatte in lonien die wissenschaftliche Behandlung
der Erdkunde begonnen.
Angchiclits eines inselcrfüUten Meeres, wo sich die nati'irlichen
Verkehrstrassen dreier Konthiente kreuzen, mit wenig Rückhalt an
das asiatische Hinterland, war den loniern der Gang ihrer politischen
Fortcntvvickelung von vornherein vorgezeichnet. Die koloniale Ausbreitinig
i'iber das ganze Jlittelmeergebiet — jene kulturgeschichtlich
so iiberaus folgenreiche Thatsache — ging in erster Reihe von ihnen
aus ruid legte den Grund lür die ganze spätere Machtentwickelung
des Griechentums.') Allen anderen Städten voran, war es Milet,
welche ihre Handelsnetze nach allen Gegenden ausspannte und zahlreiche
neue Pllanzstädte gri'uidete. Durch LIandel und Verkehr eröffneten
sieh neue ungeahnte Quellen; neben dem materiellen Gewinn nahm das
geistige Leben einen neuen Aufschwung; fremde Anschauungen und Erfahrungen
fanden Eingang, und es bezeugt den tief hn Nationalcharakter
der Griechen wurzelnden Trieb individueller Bethätigung, dass sie
sich ihr so gewonnenes Wissen in eigener Weise ausgestalteten. Milet
wurde die Wi e g e de r e u r o p ä i s c h e n Wi s s e n s c h a f t , z u n ä c h s t
der Wi s s e n s c h a f t vom Kosmos , als der ä l t e s t e n Fo rm de r
I^hilosophie. Dort war daher auch der günstigste Boden gegeben.
') l' b e r die Ergebnisse der griechischen Kolonisation vgl. B u s o l t , Griechische
Geschichte, Gotha 1885, I, 170 — 360.
I i i n u u m u i i u n i m t u ,