
84 II. KAPITEL. DAS WELTBILD DES MITTELALTERS.
liüiüberkomineii. Elieiiso dehnt sich thissellie Meer, sobald es
über das Gebiet der Danen hniaustritt, weithin aus, zieht sich aber
den Gothen gegenüber wieder zusammen, üarnacli strömt es, je
weiter es ins Innere vordringt, desto weiter nach beiden Seiten auseinander.
«') Durch den Landzusammenhang Schwedens mit dem Festland
werde es denn auch ermöglicht, dass man von S c hwe d e n aus
zu La n d e n a c h Gr i e c h e n l a n d r e i s en könne.-) Aber man ziehe
den Weg zu Schiff vor, weil der Reisende auf dem Lande von
barbarischen A'ölkern belästigt werde!')
Normannien o d e r No r g v e g i e n ist da s ä us s e r s t e La n d de r
Welt, es erstreckt sich bis m die äusserste Kordgegend, woher es
auch den Namen hat. Es begumt bei den Klippen des Baltischen
Meeres, »biegt dann den Rücken zurück nach Norden vmd erreicht
endlich in den Rhipäischen Bergen,') wo a u c h de r Er d k r e i s
ermattet e n d e t , seine Grenze.«^) Hier war denn auch noch Raum
für Fabeln inid Phantasiegebilde, welche man im Anschluss an
Martianus und Solhius in jene Gegenden verlegte.")
Über Normaimien hinaus, nach Norden zu, giel)t es keine Wohnplätze
mehr, sondern x\lles bedeckt der Ocean. Tiefer Nebel vuid
Finsternis herrschen dort.') Das berüchtigte Le b e r i u e e r der Sage ist
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Adam, Gesta Hamaburg, IV, 11.
Adam IV, 15. — Saxo Grammaticus (XIII. J ahrhunde r t ) Ili-st. Dnnica, ed. Müller,
Havniae 1839, I, 1 8 : Inter Grandvicum et meridianum pelagus breve contijientis spatium
(Grandvik = Weisse s Meer).
G i e s e b r e c h t hat auf Gr imd dieser Notiz aul" die vermeintliclie Existenz einer
Durchfahrt von der Ostsee nach dem Schwarzen Meer j^esclilossen. Auch H e l m o l d
(Chronica Slavorum I. 1) b eme r k t , das Baltische Me e r erstrecke sich bis nach Griechenland
hinein, und nach A d a m 1) fuhr en Schilfe von Schleswig nach Griechenland. Vielleicht
spielt nur ein I r r t um mit u n t e r , da Adam (IV, 20) behaupt e t , dass die A l t e n die Ostsee
mit ve r ände r t em Namen Skytisches oder M ä o t i s c h e s Gewässer n e n n e n , — wie er denn auch
vielfach Russia als Graecia, d. h. die griechisch-katholische Christenheit, bezeichnet. Vgl.
D i e t r i c h : Die geographischen Anschauungen einiger Chronisten des XI . und XI I . J ahr -
hunderts; Pr o g r . des Kaiserin Au g u s t a -Gymn . , Char lot tenburg 1884, S. 27.
Über die Rh i p ä e n , am No r d r a n d e d e r Er d e , nach Ansicht der Alten und des Mittelalters,
Vgl. meine Phys . Erdkde . , S. 129—131.
s) Adam IV, 30.
*) Es sollten dor t Amazonen (Adam, IV, 19) haus en, Al anen, blutgierige \"ielfrasse, die
mit gr auen Ha a r en geboren we r d e n . Hus en, grünf a rbige langlebige Mens chen, Kyklopen,
Anthropophagen, Troglodyten n. a. m. Ub e r diese vgl. K o h l : Die erste deutsche Entde ckungsreise
zum Nordpol (Bremisches J a h r b u c h des Künstlervereins. 1870; V, 174—191); "We i n h o l d ,
die Polargegenden Eu r o p a ' s nach den Vorstellungen des deutschen Mittelalters (Sitzber. d.
phil.-hist. Kl. d. Akad. d. Wi s s . zu Wi e n 1873, S. 783).
'') Adam IV. 3 8 : »Ha r a ld, der König von Norwegen«, heisst e s . »versuchte in die
dunklen Gebiete an den Enden der We l t einzudringen, doch entging er kaum den Tiefen der
KENNTNIS VOM OSTEN ASIENS. 85
von Eisbergen oder Sclilnmm erfüllt, welcher die Schiffe aTifliält;')
aber niicli Magnetberge,-) reissende Meeresströmungen und Meeresschhinde
geben den niclits nlinenden Schiffer dem sicheren Tode preis.
Jedenlalls hatte die nord-eurox^äischc Länderkunde eine erhebliche
Bereicherung erfahren, so sehr sie andererseits noch durch sagenhafte
Züge getrübt wu-de. Aber ungleich bedeutendere Resultate hat die
Länderforsclmng gegen Osten hin aufzuweisen. Die umfassenden
Reisen quer durch das Lniere Asiens bis an die Küsten des östlichen
Oceans — teils aus religiösen, teils aus Handels-Interessen unternommen
— bilden eine der glänzendsten Perioden in der Geschichte
der Entdeckiuigen aller Zeiten. Freilich hatten auch die geschichtlichen
Verhältnisse das Vordringen nach dem fernen Osten nicht
unwesentlich begünstigt mid gefördert. Mit dem rasclien Aufblühen
der Mongolen-Herrschaft daselbst seit der ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts,
deren äusserste Westgrenze bereits die Gebiete christlicher
Herrsclier berührte, entwickelte sich auch ein reger Verkehr zwischen
diesen und den mongolischen Gross-Khanen. Die keineswegs von
fanatischem Glaubenshass erfüllten, im Gegenteil den Lehren des
Christentums vielfach zuneigenden Völker wurden von den abendländischen
Machthabern auch für pohtische Literessen ausgenutzt;
denn man gewann in ihnen die thatkräftigsten Bundesgenossen gegen
Al)gründe". Ähnlich ist die Er z ählung des Erzbischofs Adalbert (IV, 39) . wonach friesische
öchitier in den finsteren Nebel des erstarrten Ocean eindrangen und dur ch eine St r ömu ng in
einen tiefen Schlund hinabgerissen wu r d e n , in welclien der Sage nach alle Meeresströmungen
verschlungen und wieder ausgespieen we rden.
') Die Sage vom Lebernieer be ruht nicht auf alter deutscher Sa g e . sondern ist erst auf
gelehrtem We g e nach Deutschland gekommen. Vgl. oben S. 34 von der Meerlunge des
Pytheas. — Bei I s idor , Etymol. XIV, 6, 4: T//y/e ultima insula Occani inter s^ptaitrionalem
ei occidentalem playam ultra Britanniam a sole nomen habem qtiia in aestivuin so/stititim sol facit
et nidlits ultra eani est dies; unde et pigrum et concretum est mare. — Der Scholiast, No. 144,
zu Adam (H' , 34), berichtet , dass das Me e r um die Orkaden so verdichtet und vom Salze so
dick sei, dass die Schilfe nur mit Hülfe sehr heftiger Wi n d e vorwä r ts k omme n , unde
etiam vtdgariter ideni salum lingua nostra Ubersee vocatur. Au d i in der orientalischen Sage
findet es sich, bei B e n j a m i n v o n T u d e l a in seiner 1173 verfassten hebräisclien Reisebeschreibung.
— In der deutschen Poesie k ommt es zuerst im M e r i g a r t o v o r , wo ein
Abschnitt rfe lehirmere-, — ferner im deutschen L u c i d a r i n s (XII. Jnhr l iunde r t ) : bcliherte mer\ —
im Orendel (XII. J a h r h u n d e r t ) : Klevermere. l ' b e r die Entwi cke lung der ganzen Sage bis
in die spätere Zeit vgl. besonders K. B a r t s c h : Herzog Ernst , S. CXLV. Nach K o h l (a. a. 0 . )
gerät das ]\Ieer, ehe es ge f r i e r t , in ein Übergangsstadium zwischen Starrheit und Flüssigkeit;
durch die Masse kleiner Eiskristalle wird es dicktlüssig, o d e r , wie es im Niederdeutschen
heisst, "libberig". also ein Eismorast.
Uber die ebenfalls im Orientalischen vertretene Sage von Magne tbe rgen , welche alle
mit Eisen beschlagenen Schilde in einem Umkr e i s e von dreissig Meilen an sich ziehen vgl.
Bartsch, Herzog Er n s t . S. CXLVI l l ff.
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