
82 II. im' I T E L . DAS WELTBILD DES I)UTTEL.U.TERS. KENNTNIS VOM NORDEN EUROPA'S. S3
II. Die Grenzen der Länderkunde.
i s kann hier der Ort nicht sein, eine eingehende Schihlernng
jder einzehien Entdeckimgsreisen zu geben, welche im Ver-
Uauf des ganzen Mittelalters zur Erweitermig der Länderbeigetragen
haben; es wird aber gerechtfertigt sein,
den Fortschritt zu beleuchten, welchen die mittelalterliche Läiiderforscluuig
gegenüber der alten aufzuweisen hat, da das AVeltbild
durch sie zwar keine völhge Umgestaltung, aber doch eine bemerkenswerte
Ausgestaltmig erfuhr.
Die Kenntnisse der Alten vom Norden Europa's Avaren, A\-ie Avir
gesehen haben, noch durchaus lückenhaft. Die Ausbreitung des
Christentmns, mid mit ihr die Ubertragimg frischer Kultur-Elemente
nach dem Germanischen Norden zu, mussten ui der Folgezeit
begreiflicherweise auch die Kenntiüs des iieugeAvonneneii Bodens
fordern. Drangen zwar die christlichen Glaubensboten nicht bis zum
höchsten Norden A'or, so kamen ihnen doch mancherlei Nachrichten
durch gelegenthchen Verkehr mit normannischen Seefahrern zu, die
jene GeAvässer naeh allen Richtmigen hui kreuzten. Gegen Ende des
IX. Jahrhunderts hatte der Normamie Ot h e r e bereits das Nordkap
umfahren, eine Entdeckung, die, Avie manche andere, späterhin unbeachtet
blieb.') Am ausführlichsten unterrichtet uns über den Stand
de Ptoléniée, réproduction piiotolith. du manusc. grec du monastère de A'atopedi au Alont
.Athos, Paris 1867. — J a cobus .Angelus widmete seine Ubersetzung Paps t Alexander
Der Dr u c k derselben (A'icenza 1475) erschien noch ohne Karten. Nächs t der Römischen
Ausgabe durch Buckinck (1478) und der Bologneser dur ch de Lapis (1482), mit Ka r t en in
Kupferstich, ist dann die Ulme r von 1482 he rvor zuheben, für welche Nicolatis Ge rmanus
eine neue , bessere Ube r s e t zung mit Karten in Holzschnitt geliefert hatte. Über seinen
Beinamen Donis, entstellt aus Dominus , vgl. S. R ü g e , ein Jubi l äum der deutschen Ka r tographie,
(Globus , Bd. 60 No. 1). Na chdem 1486 ein Wi e d e r a b d r u c k der Üh n e r hergestellt
worden wa r , folgte dann 1490 die Römische Atisgabe von Pe t rus de Tu r r e mit Kupfertafeln,
wesentlich eine Reprodukt ion der ersten Römischen von 1 4 7 8 .—Di e s e s sind alle Ausgaben des
XV. J a h r h u n d e r t s , die auch sämtlich noch vor der En t d e c k u n g Amerika's erschienen; in
die späteren wu r d e n dann die neugemachten Entde ckungen vielfach aufgenommen und den
Tafeln auch die Ka r t en von Amer ika einverleibt. Übe r diese vgl. unten. A'gl. im Allgemeinen
L e l e w e l , Géogr aphi e du moyen âge , Brüssel 1852, § 178 —1 8 3 ; J. AA'insor , Bibliography
of Ptol emy' s Geo g r ap h y, Cambr idge , Mass. 1884; und besonders K o r d e n s k j ö l d , Facsimile-
Atlas 1889.
Begierig zu wi s s en, wie weit sich das Land nach Norden erstrecken möcht e, segelte
er in dieser Richtung der norwegischen Küste ent l ang, bis das La n d nach Osten hei-umbog.
der Kenntnisse von jenen Gegenden das vierte Buch der Ilamburgischen
Kirchciigeschichte Ad am' s A'on Br eme n (XI. Jahrhundert), des ausgezeichneten
Erforschers der Geschichte der Baltischen Lande, Avelche
er grösstenteils aus den mündlichen Berichten des Däiienkönigs SA^CII
Estrithson schöpfte.')
Die Erkeimlnis, dass die Ostsee einen Meerbusen bildet, können
Avir füglich als den bedeutsamsten Fortschritt in der nordischen
Länderforschung bezeichnen, so Aveit A'ielfach auch die Ansichten über
Grösse und Richtung desselben auseinander gingen. Ob bereits Othere
auf den Zusammenhang SkandinaA'iens mit dem Festland geschlos,sen
hat, lässt sich nicht entscheiden. Jedenfalls Avar Einhard, der Biograph
Karl's des Grossen, mit der jMeerbusennatur der Ostsee bekaimt. »Wemi
aber Einhard,« schreibt Adam, »das Baltische Meer einen Busen v o n
noch u n e r f o r s c h t e r L ä n g e nennt, so ist das neuerdings bestätigt
worden durch die Geschicklichkeit zweier tapferer Männer, des Ganuz
Wolf, Befehlshabers der Dänen, imd Ilarald's, des Königs der
Normannen, die auf einem mit grosser Mühseligkeit A-erbundenen
Wege, und mit vieler Gefahr für ihre Gefährten, den Umfang dieses
jMeeres durchforschend, zuletzt durch doppelte Verluste, Avelche sowohl
Avidrige Winde als Seeräuber ihnen drohten und zufügten, in ihrem
ihit gebeugt luid überwiniden, heimkehrten. Die Dänen aber versichern.
di e Lä n g e d i e s e s Sl e e r e s sei h ä u f i g u n d A'on Me h r e r e n
u n t e r s u c h t Avorden, und Einige seien mit glücklichem Winde in
einem Monat A'on Dänemark nach Ostrogard in Rus.sien gelangt.'-)
Die Breite aber giebt er so an, dass sie nirgends 100000 Schritt
übersteige, an manchen Stellen aber noch enger zusammentretend
befunden werde. Dies ist an der ^lündung jenes jMeerbusens zu
beobachten, dessen Eingang A'om Oeean her zwischen Alaburc, dem
Vorgebirge Dänemarks (Kap Skagen), und den Klippen Nordmanuiens
so eng ist, dtiss in einer leichten Uberßihrt Segelböte in einer Nacht
Nach viertägiger Fa h r t nahm die Küs t e eine südliche Richtung a n , die er weiter verfolgte, bis
er in einen Aleerbiisen und an die Alündung eines Flusses gelangte (vermutlich die Dwina).
Der Bericht tindet sich in der angelsächsischen Ubersetzung des Orosius dur ch König Alfred
von Engl and; vgl. besonder s J. Bo swo r t h; King Alfred's Anglo Saxon version of Orosius,
London 1855, 8.3911'. — Die Entde ckung ging wieder ve r lor en, und erst im J a h r e 1553
wurde das No r d k a p von Engl ände rn zum zweiten Mal umfahren.
Das vierte Buch ist der Beschreibung der Nordl ande g ewi dme t : Descriptio insularum
Aquilonis; Ausgabe von La p p e n b e rg 1876 mit den Schoben der späteren Br eme r Domhe r r en.
A V a t t e n b a c h : Deutschlands Geschichtsquellen im Jlittehalter, Berlin 1886, H, 7 1—7 4 .
Der Scholiast zu .Adam, No. 116, fügt hinzu: Ruzzien wi r d von den Barbaren Ostrogard
genannt, weil es im Osten gelegen ist. Es wi rd auch Cbiingard genannt , weil dort zuerst
der Sitz der Hunnen w-ar.
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