
I. KAPITKL. DAS WELTBILD DER ALTEN.
DIE ERDME,SSLING. 63
äussersten Ostküste Asiens (Indien) auf dem Landwege wäre, da aus
ilir, im Zusammenliang mit der ermittelten Grösse der gesamten
Erdkugel, sieh ein Sehluss auf die Breite des Atlantisehen Oceans
zielien liess. Denn je grösser che Oikumene in ihrer Längenersh
eckung (in ost-westlicher Richtung) war, um so weiter gi-ift' sie
hufeisenförmig um die Erdkugel herum; um so kleiner war dann
aber auch die Entfernung Iberiens und Indiens auf dem Seewege
Diejenigen, welche den Zwischenraum zwischen diesen beiden Küsten
sehr klein ansetzten, hessen ihn für den verhältnismässig nur
schmalen, kanalartigen Atlantischen Ocean frei. Jene hingegen die
Ihn grösser wähnten, schoben einen neuen Kontinent ein, und ihnen
fiel der Ruhm des ersten, allerdings ja nur hj^othetischen Hinweises
aut die neue Welt zu.
In den uns von den Alten überlieferten Messungen der Erdkugel
hegen uns unzweifelhaft Resultate griechischer Wissenschaft vor')
Dass die Griechen nach Erkenntnis der Erdkugelgestalt sehr bald
auch auf die Frage nach der Grösse dieser Kugel verfallen mussten
ist mit Sicherheit anzunehmen. Während die älteren Philosophen
die Grösse der Erde nur im Verhältnis zu den übrigen Weltkörpern
besonders der Sonne und des Mondes, zu bestimmen suchten =)
scheinen doch schon die Pythagoräer selbst an eine zahlenmässige
Berechnung des Erdumfanges gedacht zu haben. Denn dass man sich
frühzeitig an eine solche gewagt hat, ja dass bereits zur Zeit des
peloponnesischen Krieges (also gegen Ende des V. Jahrhunderts) das
Problem dieser Untersuchung bekannt war, zeigt jene Stelle in den
..Wolken« des Aristophanes, wo der Bauer Strepsiades die wunderlichen
astronomischen und geometrischen Gerätschaften im Hause des
Sokrates anstaunt, die ihm dessen gesprächiger Schüler als zur Erdmessung
notwendig erklärt; und auch die von Horaz uns übermittelte
Nachricht, wonach der Tarentiner Archytas eine Erdmessung
vorgenommen habe, gewinnt hierdurch an Wahrscheinlichkeit.')
n • Gelehrten vertretene Hypothe s e eines in gr aue r Vorzeit im
Onent lebenden „Urvolhe s - , welehes vermöge he r™r r . ,gende r astronomisehe r und mathemabseher
Kenntnisse die ersten Gr adme s snngen vorgenommen un d diese den Grieehen überhefert
habe , dart heutzutage für ü b e rwu n d e n gelten. Hiergegen t r a t besonders M a r t i n
„ . ™ memoire pos thnme de M. Le t ronne , in Revue areheol. X, 672 720-
X I , 2o, 89, 129. ' '
') Fo r b i g e r . Handb. d. alt. Geogr. I, 522 f
') -Ws tophan. nubes v. 2 0 0 - 2 0 4 ; Horat. earm. I. 28, 1 - 6 . - Im Allgemeinen
vgl. Uber die Erdme s snngen der Alten: A b e n d r o t h Darstellung und Kritik der ältesten
Gradmessnngen (Progr. der Kr euz s chul e , Dr esden 1866); M ü l l e n h o f f , Deutsehe Altei-
Die älteste ziffernmässige Angabe von der Grösse des Erdumfanges
liegt uns bei Aristoteles vor. Hatte dieser schon, wegen
der auffallend raschen Horizontveränderuiig für den auf einem
Meridian sich fortbewegenden Beobachter, auf eine verhältnismässig
nur geringe Grös,se der Erde geschlossen, so behielt er doch, den
Berechnungen älterer Mathematiker folgend, das zu grosse Resultat
von 400 000 Stadien bei.') Freilich ist uns das Verfahren dieses
Erdmessungsversuches nicht näher bekannt; aber der Gang der Berechnung
kann nicht sehr verschieden gewesen sein von einer
anderen, welche uns von Kleomedes mitgeteilt wird, und die auf
noch sehr primitiven astronomischen Bestimmungen beruht. Die
Stadt Lysimachia am Hellespont lag nach Meinung der Alten auf
demselben Meridian, wie Syene in Ober-Ägypten. Man hatte nun
beobachtet, dass im Zenith von Lysimachia der Kopf des Drachen
stehe» in jenem von Syene der Krebs, und der Bogen zwischen
diesen beiden Positionspunkten am Himmel wurde hiernach als der
fünfzehnte Teil eines grössten Himmelkreises gefunden. Da nun
dementsprechend das Bogenstück auf der Erde: Lysimachia bis Syene
ebenfalls ein Fünfzehntel des grössten Erdkreises (Meridians) betragen
muss, und da ferner die Entfernung beider Orte auf 20 000 Stadien
geschätzt wurde, so gab man der Erde einen Umfang von
300 000 Stadien.-) Die unvollkommenen Mittel aber zur Bestimmung
des Erdbogens, und besonders die Mängel bei Ermittelung von Entfernungen
auf der Erde, waren doch zu augenscheinlich, als dass
schon die Alten die Zahl 300 000 lür mehr als emen Näherungswert
angenommen haben können, welchen sie um so bereitwilUger aufgaben,
als eine neue, kritischer durchgeführte Erdmessung vorlag.
Eine solche rührt von E r a t o s t h e n e s her. Man war der
Meinung, dass die Stadt Syene in Ober-Ägypten auf dem Wendekreise
läge; »ein Brunnen«, hiess es, »würde dort am Mittag des Solstitialtages
vollständig bis unten auf dem Wasserspiegel erleuchtet;
tuinskimde (Berlin 1870. I. 259—296) ; S c h ä f e r . Entwi cke lnng der .•\nsicbten übe r Gestalt
nnd Grösse der Er d e (Gymn. Progr.. Insterbiirg 1868); Be rge r , Wiss. Er d k d e . 1, 139;
11, 45- -47, 90- 97; I I I . 44 — 4 6 . 79 -87; Berger. Eratosth., S. 99 fl'.
Das "Wort j-va^iwi' felilt zwa r , doch ist an keine ande r e Maassbezeicbnung zu
denken (Aiistot. meteor. I I , 14, 13. 16). Berger (Wiss. Erdkde . I I , 91) macht es wa h r -
scheinlich, dass Eudoxns , einer der berühmtesten Matliematiker des IV. J ahrhunde r t s , .\nteil
an dieser IMessung gehabt haben müsse.
-) Cleoined. cycl. theor. meteor. I, 8. Dieselbe Zahl 300 000 nimmt auch Archimedes
an (Arenar. 8 in Archinied. opp. ed. He i b e r g , Leipzig 1881, VI, 246). — Be rge r schreibt'
die Erdmessiing aus guten Gründen dem Dikäarch zu (Wiss. Erdkde . I I I , 44).
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