D a die Aufstellung des Begriffes der „systematischen Einheit“ oder „A r t “ einem „ u n a
b w e i s b a r e n p r a k t i s c h e n B e d ü r f n i s “ entsprungen, da dieser Beg riff „ein unentbehrliches
technisches Hilfsmittel für die Wissenschaft“ darstellt, so muß auch der p r a k t i s c h e n
A n w e n d b a r k e i t d e s s e lb e n in e r s t e r L i n i e R e c h n u n g g e t r a g e n w e r d e n ; d. h. wir
dürfen zur Charakterisierung einer A r t nur solche Merkmale heranziehen, welche bei jedem
Individuum von n o rm a lem E r h a l t u n g s z u s t a n d sich feststellen läßt. Unter „normalem
Erhaltungszustand“ ist aber keineswegs etwa stets eine absolute Intaktheit zu verstehen,
sondern vielmehr d e r Zustand, in welchem die Individuen für gewöhnlich in unsere Hände
gelangen. Die Mehrzahl der Tiere kommen ja gewöhnlich in einem annähernd intakten Zustand
in unsere Hände; bei manchen Formen aber gelingt es trotz aller Vorsicht bei der
Konservierung nicht oder nur ganz ausnahmsweise, alle Eigenschaften des unverletzten lebenden
Tieres zu erhalten, indem eben gewisse Charaktere so empfindlich und zerbrechlich sind,
daß sie durch die zum Sammeln und Konservieren notwendigen Manipulationen oder auch
durch die Konservierungsflüssigkeiten fast regelmäßig zerstört werden.
Zu solchen empfindlichen Formen gehören die L e p ism a t id e n ! Es sind bei diesen
hauptsächlich zwei Charaktere, welche bei fast allen konservierten Individuen mehr oder weniger
verletzt und unvollkommen sind: nämlich die B e s c h u p p u n g und d i e F ü h l e r u n d
C e r c i . Unter den vielen Hundert von Exemplaren, die mir Vorlagen, war das Schuppenkleid
nur bei einigen wenigen intakt und zwar nur bei solchen, welche eben vor einer Häutung
standen. B e i allen übrigen Exemplaren aber waren die Schuppen zum größten T e il ab gefallen.
Und ebenso waren auch die Fühler und Cerci nur in einem geringen Prozentsatz unverletzt,
indem gewöhnlich die letzten Glieder abgebrochen waren. —
Diesen Umständen mußte ich natürlich Rechnung tragen, d. h. ich durfte, wenn anders
meinem System nicht der Vorwurf der Unbrauchbarkeit gemacht werden sollte, den g e nannten
Charakteren, d. i. dem Schuppenkleid und der Län ge der Fühler, nicht allzuviel B e deutung
einräumen oder wenigstens sie nicht als einzige und entscheidende Charaktere für
eine A r t annehmen. Der „normale Erhaltungszustand“ der Lep ism a tid en ist eben bezüglich
des Schuppenkleides und der Fühler und Cerci der verletzte, und mit diesem müssen wir
in der Praxis rechnen.
Allerdings können wir in manchen Beziehungen aus dem verletzten Zustand auf den
intakten mit einiger Sicherheit schließen, so z. B. aus den Resten des Schuppenkleides auf
die Form und A r t der Schuppen, aus dem Bau und der D icke der stehengebliebenen Fühlerund
Cerci-Fragmente auf die ungefähre wirkliche Län ge derselben ü. s. w. — Ich habe dies
auch, wie aus dem folgenden hervorgeht, in reichlichem Maße getan.
Mit absoluter Sicherheit können wir einen solchen Rückschluß bei einem anderen
Merkmal, nämlich bei der B e b o r s t u n g , machen. Die Borsten sitzen, vor allem auf dem
Rücken, nur ziemlich lose in der Cuticula und fallen deshalb sehr leicht ab, wenn auch nicht
in dem Maße, wie die Schuppen. Do ch sind mindestens bei der Hälfte aller konservierten
Individuen wenigstens ein T e il der Borsten verloren gegangen. Wenn ich nun trotzdem so
g roßen W ert auf die Stellung und Zahl der Borsten legte, so konnte ich dies deshalb mit
gutem Recht tun, weil wir e in u n t r ü g l i c h e s Z e i c h e n d e r a b g e f a l l e n e n B o r s t e n in
den P o r e n besitzen, indem wir aus der Stellung und Zahl der letzteren die Stellung und Zahl
der ersteren vollkommen sicher eruieren können. —
D ie in dieser Arbeit aufgeführten und beschriebenen Lepismatiden-Arten stellen in der
Hauptsache s c h a r f a b g r e n z b a r e , f o rm e n a rm e A r t e n dar. Nur in ganz wenigen Fällen
haben wir es mit formenreichen Arten zu tun, d. h. mit Reihen oder Gruppen von verschiedenen
Formen, welche ohne scharfe Grenze ineinander übergehen, und sich deshalb nicht
wie verschiedene Arten, sondern w i e A r t u n d V a r i e t ä t e n zueinander verhalten. D e n n
A r t e n u n t e r s c h e id e n s i c h n a c h D ö d e r l e in v o n V a r i e t ä t e n n u r d a d u r c h , d a ß
s i e s c h a r f s i e h v o n e in a n d e r a b g r e n z e n la s s e n .
Solche formenreiche Arten haben wir z. B. in Ctenolepisma d lia ta Duf., lineata Fb.
und grandip alpis n. sp. vor uns, und da gerade diese Arten einige von den wenigen sind,
von welchen ein reichhaltigeres Material studiert werden konnte, so liegt der Schluß nicht
allzuferne, daß d ie F o rm e n a rm u t d e r m e i s t e n L e p i s m a t i d e n w e n i g e r in d e n
A r t e n s e lb s t , a l s v i e lm e h r in d em g e r i n g e n M a t e r i a l u n d d e n u n z u r e i c h e n d
e n K e n n t n i s s e n b e g r ü n d e t is t .
D a ß unsere Kenntnisse bezüglich der A rten der Lepismatiden noch g a n z im A n f
a n g s s t a d iu m stehen, davon ist wohl niemand mehr überzeugt als ich selbst. Und sollte
auf Grund dieser Arbeit vielleicht dieser Familie mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden,
so wird das Bild, das ich im folgenden entworfen, wohl bald sehr wesentlich verändert
werden. W ir stehen, glaube ich, noch nicht einmal auf der zweiten der von D ö d e r l
e i n angenommenen Stufen, sondern eher erst aüf dem W e g e von der ersten zur zweiten
Stufe.
W a s nun endlich die M e r k m a l e betrifft, welche z u r A r t u n t e r s c h e id u n g in B e tracht
kommen, so gibt es deren nicht allzuviele, und wenn in manchen Gattungen trotzdem
eine g ro ß e Zahl von Arten Vorkommen, so beruht dies lediglich auf d e n v e r s c h i e d e n e n
K o m b in a t io n e n d i e s e r w e n i g e n M e r k m a le . Als die hauptsächlichsten Artmerkmale
seien folgende genannt:
1. Z a h l u n d S t e l lu n g d e r B o r s t e n r e s p . B o r s t e n b ü s c h e l .
(Ob je i oder 2 Paar oder noch mehr auf jedem Tergit, ob nur auf dem Abdomen,
oder auch auf dem Thorax, ob auf den Bauchschienen einzelne Borsten oder
Kämme stehen und wie groß ihre Zahl ist, und ob endlich die ventralen Borsten
gleich oder verschieden sind u. s.-w.||p|
2. F o rm d e r T e r g . X.
(Ob länger als breit und umgekehrt, ob trapez- oder halbkreisförmig, ob an der
Spitze ausgeschnitten oder gerade, etc.^-?^:'
3. Z a h l d e r S t y l i .
(Ob 1, 2, 3 oder mehr Paare, ob in beiden Geschlechtern die gleiche Zahl oder
verschieden.)
4. F o rm d e r G e n i t ä l a n h ä n g :e (P a r am e r e n u n d O v ip o : s i t o r | f^
5. F o rm d e r G o n o c o x i t e , b e s o n d e r s d e s M e d i a n f o r t s a t z e s v o n G o n o c . IX.
6. F o rm d e s E n d g l i e d e s d e r L ip p e n t a s t e r .
7. A l l g e m e i n e K ö r p e r f o rm .
(Ob parallelseitig, ob nach hinten verengt, ob der Thorax viel breiter als das Ab-
dornen u. s. w.)