Dicht am Ufer des Stromes bezogen w ir die Fazenda Capäo, um
das zahlreiche Gepäcke unterzubringen, bis Mittel geschafft waren, es
überzusetzen. W i r glaubten uns hier in ein ganz fremdes Land versetzt.
Statt der dürren,*blattlosen Waldungen oder der Campos des hochliegenden
Sertäo sahen w ir uns rings umgeben von saftiggrünenden Wäldern,
welche ausgedehnte Fischteiche umsäumen. Als w ir gegen Abend einen
dieser Teicbe beschlichen, — welch’ sonderbares Schauspiel stellte sich da
unseren Blicken dar. Hunderte der rosenfarbenen Löffelgänse (Platalea
A ja ja , L .) standen in langen Reihen, gleichsam Compagnien weise vereinigt,
längs den Ufern hin, und wadeten, mit dem Sahnabel emsig im
Sumpfe umhersuchend, langsam vorwärts. Tiefer im Wasser schritten
gravitätisch einzelne grosse Störche, die Jaburüs und Tujujus (Ciconia
Mycte ria Temm. , Tantalus L ocu lator, L .) einher, mit ihren langen
Schnäbeln die Fische verfolgend. Auf einer kleinen Insel immitten des.
Teiches waren dichte Schwärme von Enten und Wasserhühnern (Anas
brasiliensis, Anas viduata, Anas moschata, L . und Gallinula galeata,
LAchtenst^) gelagert, und zahlreiche Kibitzeji umkreissten im schnellen Fluge
die Ränder des’Waldes, auf der Jagd nachlnsecten geschäftig. Hier herrschte
endloses Geschnatter, Geschrei und Gezwitscher der mannichfaltigsten
Vögelgeschlechter, und je länger w ir das seltsame Schauspiel betrachteten
, worin die Thiere mit aller ihnen innwohnenden Selbstständigkeit und
Lebendigkeit allein die Rollen ausfüllten, um so weniger konnten w ir es
über uns gewinnen, durch einen feindseligen Schuss die Behaglicheit die-
des Naturzustandes zu stören. W i r sahen hier gewiss mehr als zehntausend
Thiere nebeneinander, welche, jedes nach seiner W e ise , den ange-
bornen Trieb der Selbsterhaltung verfolgten. Das Gemälde der ersten
Schöpfung schien vor unsern Blicken erneuert, und dieses so überraschende
Schauspiel hätte noch angenehmer auf uns wirken müssen, wäre
nicht das Resultat unserer Betrachtungen der Gedanke gewesen, dass
Krieg und ewiger Krieg die Losung und die geheimnissvolle Bedingung
alles thierischen Daseyns sey. .Die unzählbaren Arten von Sumpf- und
Wasservögeln, welche hier, unbekümmert um einander, ihr Wesen treiben,
verfolgen jede ihre eigene Beute an Insecten, Fröschen und Fischen,
so wie jede von einem andern Feinde heimgesucht wird. Den mächtigen
Störchen, welche sich als die Könige dieses ’Wasserreiches betrachten,
stellen die grossen Adler und die Onzen nach, den Enten und Löffelgänsen
die Fischotter, Vielfrasse, Tiegerkatzen und Geier, den kleineren Wa s servögeln
stärkere Nachbarn; allem diesen beweglichen Gefieder aber wird
die Herrschaft über die abgelegenen Gewässer durch die Kaimans, die
Riesenschlangen und den fürchterlich gefrässigen Fisch, die Piranha, streitig
gemacht. Diese Vögel wohnen in der Nähe des Flusses, sie nisten im
Schilfe und im sumpfigen Ufer der Teiche, oder auf den überhängenden
Zweigen des Alagadisso, vollenden ihre Brütezeit während der trockenen
Monate, und ziehen, wenn die Ueberschwemmung eintritt, nach den höheren
Gegenden des Ufers, zum Theil auch, gleich unseren Zugvögeln,
gegen die Meeresküste hin. (6 .)
Nachdem w ir eine Skizze von diesem seltsamen Reiche der Vögel
entworfen hatten (S. den Atlas), führte uns Senhor N o gue ir a auf einem
andern W eg e gen Capäo zurück. W i r vertieften uns in das Dickicht eines
verwachsenen Walde s, und waren kaum eine Viertelstunde lang darin fort-
gegangen, als sich die Aussicht auf einen andern Teich eröffnete, der,
von dichtem Gebüsche überhangen, vom Schein der untergehenden Sonne
geröthet, still und melancholisch vor uns lag. Während das grelle Geschrei
jener geselligen Bewohner der Luft noch in unseren Ohren tönte, waren
w ir , wie durch Zauberei, in ein Land des Todes versetzt. Kein Vogel
zeigte sich,'die Gegend schien wie ausgestorben, selbst die schwüle Luft,
welche geheimnissvoll über der Tiefe des dunklen Gewässers ruhte, bewegte
keinen Zweig, kein Blatt. Verwunderungsvoll an unsern Führer gewendet,
wurden w ir von ihm bedeutet, dies sey blos der Aufenthalt zahlloser
Kaimans und der gefrässigen Piranha. Indem wir diesen grauenvollen
Oft mit D a n t e ’s Höllensee verglichen, streckten mehrere jener geschuppten
Ungeheuer schnarchend und spritzend ihre Rachen aus dem
Gewässer hervor, und es fielen uns die Worte des Dichters ein:
Che sotto Vacqua ha gente che sospira,
E fanno pullular q u e s f acqua al summo.
W i r * zählten mehr als vierzig solcher Kaimans, die theils am Ufer
lagen, theils allmälig, wahrscheinlich durch unser Geräusch veranlasst, auf