S i e b e n t e s B u c h .
Er s t es Kapi tel .
Reise durch den Sertdo von Bahia nach Joazeiro,
am Rio de S. Francisco.
J3 ie Dampfböte, welche gegenwärtig- Bahia mit den Hauptorten an
der Küste des Reconcavo in Verbindung setzen, waren zwar zur Zeit
unserer Abreise von dieser Stadt bereits im Baue begriffen, jedoch noch
nicht vollendet, und w ir schifften uns daher, am 18. Febr. 1819, in einer
der gewöhnlichen Zuckerbarken nach der V illa de Cachoeira ein,
wo w ir gegen Mitternacht ankamen. Die neue Anordnung unserer Kara-
vane war hier mit Schwierigkeiten verbunden, weil der Binnenhandel
durch Maulthiere fast ausschliesslich von den Sertanejos betrieben wird,
und diese gegenwärtig, wegen andauernder Dürre, nicht eingetroffen waren.
Es kostete uns viele Mühe, die nothwendige Zahl von Maulthieren
zusammenzubringen. Diese Thiere, welche aus den Provinzen Rio Grande
do Sul und S. Paulo in grossen Haufen, und zwar gewöhnlich längs
dem Rio de S. Francisco, in die Provinz von Bahia getrieben werden,
sind, theils wegen der Anstrengung einer sp langen Heise, theils wegen
der Einflüsse eines ganz verschiedenartigen Klima, hier viel schwächer, als
in südlicheren Gegenden. Eine gewöhnliche Ladung wiegt deshalb nicht
sieben Arrobas' wie in S. Paulo, sondern nur vier. In Chili und Buenos
Ayrés trägt ein gutes Maulthier vier Quintales, so dass die Muskelkraft
dieses, in Südamerica so verbreiteten und nützlichen, Thieres von höheren
Breiten aus gegen denAequator bedeutend abzunehmen scheint. Die Leitung
der von Neuem organisirten Karavane übergaben wir einem Mulatten aus
S. Paulo, der als Arieiro im Gefolge des Hrn. Conde de Palma (D. F rancisco
de Assiz Mascarenhas ist der vollständige Name dieses durch die glückliche
Administration mehrerer Provinzen ausgezeichneten Staatsmannes) gedient
hatte, und von diesem zu unserm Dienste abgeordnet worden war. E r gehörte
unter die colossalsten und stärksten Männer, die w ir in Brasilien sahen,
und Niemand durfte vermuthen, dass er das erste Todtenopfer sey, welches
von unserer Reiseunternehmung würde gefordert werden. Während
solcher Vorbereitungen hatten w ir Gelegenheit, unseren Aufenthaltsort etwas
genauer kennen zu lernen. Die V illa de Cachoeira geniesst eines
beständigeren und gesünderen Klima’s, als die benachbarte Hauptstadt. Obgleich
auch hier die Seewinde fühlbar sind, so leidet man doch nicht von
dem dort so nachtheiligen Wechsel der Temperatur. Die Luft ist trock-
ner, heisser und ruhiger. W i r beobachteten während unseres Aufenthaltes
am Morgen zwischen 6 und 7 Uhr eine Temperatur von 17 bis 19 ° R . ,
um 10 Uhr von 21 bis 23° R ., um Mittag von 25° R ., und bei Sonnenuntergang
von 21 ƒ330 R. Wechselfieber, Diarrhöen, Gicht und Wa s sersucht
sind die herrschenden Krankheiten 5 jedoch rühmt man den Ort
im Allgemeinen wegen seiner gesunden Lage, und besonders die Neger
sollen hier sehr fruchtbar, seyn. Der grösste Theil der Bevölkerung trinkt
ohne Nachtheil das Wasser des Peruaguagü, welches nur nahe an dessen
Ursprünge Fieber hervorbringen soll. Die gesellschaftlichen V e r hältnisse
und die Civilisation in dieser reichen Villa gleichen denen von
Bahia, da sich unter den Einwohnern viele Portugiesen befinden. Die lateinische
Schule bildet gute Zöglinge. Zur Gründung eines Waisenhauses
war von den mildthätigenEinwohnern der bedeutende Fond von 22,378,000
Rëis subscribirt worden. In die Zeit unserer Anwesenheit fiel das Came-
val (Entrudo), welches, nach portugiesischer Sitte, die gesammte Bevölkerung
in Bewegung setzte. Man sah zwar hier keine jener grottesken
Maskeraden des römischen oder venetianischen Carnevals, aber das schöne
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