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(Hessen scheinet. Als w ir auf die Westseite des Berges herabstiegen, begegnete
uns eine Heerde von dreihundert Ochsen, die, von Piauhy herkommend,
bereits einen W e g von hundert Legoas zurückgelegt hatte,
und nach Bahia bestimmt war. Die Führer klagten, seit dem Uebergange
über den Rio de S. Francisco kein reines Wasser getroffen zu haben,
und unsere Nachrichten von dem Zustande des Landes setzten sie in Verzweiflung.
Sie beschlossen, von dem W e g e , welchen w ir genommen
hatten, abzuweichen, und entweder am Rio Itapicurü öder über das Ar-
raycd de Serrinha zu reisen, denn'in diesen beiden Richtungen führen
die sogenannten Viehstrassen (Estradas do Gado),. welche alle mit der
von uns eingeschlagenen in verschiedenen Entfernungen von Cachoeira
Zusammenkommen. Obgleich die Rinder dieser Heerde schon grossen
Wassermangel erduldet hatten, war doch die Mehrzahl kräftig und gesund,
weil sie immer noch Früchte vom Joä- und bnbübaumc, und an
vielen Stellen Salzlecken gefunden hatten. Ueberdieses kömmt den wandernden
Heerden noch insbesondere der Reichthum dieser Gegenden an
Cactusbäumen zu Statten. Diese seltsamen, blattlosen Gewächse, mit
einem besondern Vermögen ausgestattet, die atmosphärische Feuchtigkeit
anzuziehen und zu binden , dienen den durstigen Thieren zum Labsal. Das
Rindvieh entblösst mit den Hörnern oder mit den Zähnen einen Theil der
Oberfläche, und saugt den schleimigen und etwas bitterlichen Saft aus,
der selbst während der trockensten Jahrszeit in diesen sonderbaren vegetabilischen
Quellen enthalten ist. Bei diesem Geschäfte verwunden sich
die Thiere nicht selten an den langen Stacheln oder an den reizenden
Haaren, womit die Cactus bewaffnet sind, und man bemerkt bisweilen
Individuen, deren Schnautze entzündet oder sogar brandig geworden. Deshalb
ist es den Sertanejos eine Angelegenheit des Mitleids mit den durstenden
Heerden, diesen den Zugang zu dem Cactussaite zu erleichtern,
und sie pflegen im Vorüberreiten die Stämme mit ihrem Waldmesser
durchzuhauen, oder seitlich zu verwunden. Die Früchte der Cactus werden
zum Theile ebenfalls gegessen, jedoch nicht so häufig, als diess selbst
im südlichen Europa der Fall ist. (Vergl. S. 28.) W i r stiegen von der
Höhe des Gebirges bis zu der Fazenda Tapera herab, welche in einem
kesselförmigen Thale an massige Granitberge angelehnt ist, (man vergleiche
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die Ansicht -..Theil der Serra de Tiuba“ im Atlas) und in ihrem geräumigen
Wohnhause eine bequemere Herberge bot, als man hier zu erwarten.
berechtigt ist. Die- ruhige Zurückgezogenheit der Familie während
der trocknen Jahrszeit erinnerte .an das Stillleben unserer Landleute
im Winter. Auch hier erzählte ,man uns viel von klingenden Steinen und
von Bergkuppen in d e r j tä h e , worin von, Zeit zu Zeit ein donnerndes
Geräusch gehört werde. Die. Felsen ersterer A rt, welche ich sah,
waren abgerundete, auf einer schmalen Unterlage ruhende Granitblöcke
von grauer Farbe, welche durch starken Hömblendegehalt in Sienit übergehen.
Am 10. März, erreichten wir die Ebene westlich von der Serra
d e Tiuba, und in,ihr, bei der Fazenda Boa V is ta , auf einem -isolirteü
Hügel, einen herrlichen Standpunct, um den Verlauf jenes Gebirgszuges,
in. einer Ausdehnung yon zwölf und mehr Legoas, zu überblicken. Von
hier aus gesehen s<pt die Serra de Tiuba die im AtlasKyvieder gegebenen
Umrisse dar. Sie erscheint als ein abgerissener Gebirgszug, indem
ihre südlichsten Ausstrahlungen von mehreren vörUegenden nahen Hügeln
bedeokt-werden, und die nördlichen sich nach Osten gegen den Monte
Santa* hinwenden und verästeln. Nach Westen hängen die äussersten
Züge mfeäen Gebirgen int der Nachbarschaft der V illaN o va daRa inha
zusammen;**« dass man bisweilen den ganzen gramtischen Gebirgsstock
in diesem nstÄffiSstlichen Winkel der Provinz Bahia mit dem gemeinschaftlichen.
lSam«£r der Serra de Tiuba bezeichnet. Eine starke Tagereise
brachte -uns vom-hier, aus, durch ein ausgebranntes Terrain, nach unserem
ersteh Ziele . auf "dieser mühevollen und gefährlichen-Reise, der
y llla Nova da Rainha. Zwar versagten die Thiere, eines nach dem andern,
den Dienst an diesem letzteren Tage, so dass w ir stets zu thun
hatten, die niederliegendenJaufeubringen, die verwundeten zu erleichtern,
und die hungrigen, welche im Dickicht dem grünen Laube nachsetzten,
wieder auf die Strasse zurückzuführen; doch durften wir uns glücklich
schätzen, bis hierher, durchgedrungen zu seyn, wo wir hoffen mussten,
uns und die Karavane zu erfrischen, nähren und stärken zu können.
Diese Hoffnungen gingen nun freilich hier nicht in Erfüllung, denn
die V illa Nova da Rainha* oder gewöhnlich Jacobina Nova genannt,
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