Die nicht sehr hohe Küste ist ziemlich einförmig und meist mit
sparrigem Strauchwerk bedeckt, aus welchem stellenweise zahlreiche,
schlanke Oelpalmen emporragen. Gelegentlich sieht man
auch einzelne oder gruppenweise beisammen stehende, breitkronige
Wollbäume, die dem Seefahrer als Wahrzeichen dienen und, da
sie sehr alt werden, in Ermangelung von bessern Kennzeichen
selbst in die englischen Seekarten aufgenommen sind. Solche
Bäume sind so gut wie unfehlbare Beweise von dem Vorhandensein
eines Negerdorfes, und ohne auf andere Kennzeichen zu achten,
weiss jeder Küstenfahrer schon von Weitem an der Gestalt des
Baumes das darunter oder daneben liegende Negerdorf zu erkennen.
Da diese Küstenfahrer dafür sorgen, dass sie das Land nicht aus
den Augen verlieren, wissen sie sich auch ohne Compass,
Sextant und Chronometer jederzeit zurechtzufinden. Eine tagelange
Fahrt in einem einfachen Segelboote rief mir stets die
kühnen, karthagischen Argonauten ins Gedächtniss, die schon
um 600 vor Christo mit ebenso geringen nautischen Hälfsmitteln
diese Küste entlang fuhren und, ohne die genaue Lokalkennt-
niss meiner schwarzen Mannschaft zu besitzen', ihre drei Jahre
dauernde, abenteuerliche Reise rundum den schwarzen Welttheil
ausführten.
Etwa 5 englische Meilen unterhalb Bassa Point liegt Tobac-
canneei), ein grosses Dorf, in welchem die meisten der in den
Faktoreien von Fishtown arbeitenden Kruneger ihren Wohnsitz
haben. Wie Fishtown, so liegt auch dieser Platz an einer durch die
Meeresströmung gebildeten Bucht, welche durch den westlich
vorspringenden, felsigen Tobaccannee Point und die diesem vorgelagerten,
rundum Von der Brandung umspülten Tobaccannee
Rocks beschützt wird. Dieser Ort wird unter demselben Namen
(Tabe Kanee) schon von Dapper auf p. 426 seines Buches erwähnt.
Südwestlich von diesem Vorsprung liegt weit draussen im
Meere der sogenannte Devi l Rock, ein riesiger, etwa 40 Schritt
langer, etwa 10' über das Wasser emporragender und von schwerer
Brandung umtobter, schwarzer Felsbuckel, welcher bei den
Küstenfahrern in schlechtem Rufe steht. Die Neger vermeiden
*) Sprich Tobäkkenih, mit starkem Accent auf äk.
es ängstlich, beim Vorbeifahren über diesen Felsen zu sprechen,
da ihnen sonst, wie sie glauben, ein Unglück zustossen würde.
Zwischen dem Devil Rock und der felsigen Küste, sehr nahe bei
ersterm, durchfahrend, erreichten wir New C e s s mit kleiner
Flussmündung, etwas später das von Bassanegern bewohnte
Dorf Trade Town1). Um 5 Uhr kamen wir an die etwa 60
Schritt breite Mündung des L i t t le Cul loh Ri ve r der Seekarten,
hier aber „Little Colah”
genannt. Die Flussmündung
wird zu beiden
Seiten durch hohe Felsmassen
flankirt, und die
Einfahrt ist der schweren
Brandung wegen sehr
gefährlich, zu gewissen
Zeiten sogar unmöglich.
Dank der Geschicklichkeit
des „Captains” und seiner
Der Little Culloh River. Mannschaft passrrten wir
jedoch, nachdem der Er-
stere zum Opfer etwas Branntwein in die hoch rollende Brandung
gegossen, in einem günstigen Augenblicke den Engpass und befanden
uns nun auf dem spiegelglatten, durch eine, breite Sandbank
beschützten Flusse, der unmittelbar hinter der Mündung nach
Osten abbiegt. Etwa eine halbe Meile ostwärts biegt der Fluss,
' der hier ungefähr 100 Schritte breit ist, nach Norden ab oder
kommt, richtiger gesagt, von Norden her. Er soll ziemlich weit
landeinwärts fahrbar sein. Wir aber folgten, unsern östlichen Kurs
fortsetzend, einem von Osten herkommenden, breiten Seitenarme
dieses Flusses, bis derselbe,.wie die beigefügte Skizze zeigt, etwa
•) Hier hatte zu Ende der dreissiger Jahre, während' links und rechts die
americo-liberianischen Niederlassungen Sinoe und Bassa schon längst bestanden,
der in der Geschichte des Sklavenhandels wohlbekannte Kapitän Ca n o t eine
grosse Sklavenfaktorei , wahrscheinlich eine der letzten in Liberia. Dieselbe
wurde, nachdem' sie von englischen Kreuzern lange Zeit blokirt worden
war, im Jahre 1841 aufgehoben. Siehe: Kapitein Ca n o t , o f twintig Jaren uit
het leven van een Slavenhandelaar, tweede deel, hoofdstuk XH—XVHI,