bedeckte Wogenmeer. Mühelos drängt ihr Fuss sich unter das
Schiff,- das sich hinten hoch aufbäumt und seinen Bugspriet
vorn in ein tiefes Wellenthal taucht, als sollte es kopfüber zur
Tiefe gehen. Im nächsten Augenblicke aber sitzt es schon oben
auf dem Rücken der bleiernen Woge, und man sieht hinter sich
tief hinunter in ein weites Thal, hinter welchem sich aufs Neue
drohende Wellenberge aufthürmen. Doch ehe man sich’s recht
versieht, hat sich schon der Koloss, der eben noch das Fahrzeug
auf seinem Rücken getragen, unter demselben durchgedrängt und
schlägt brüllend an seinen Flanken empor, dass der Gischt hoch
in die Raen hinaufspritzt. Zugleich beginnt der Bug sich zu
heben, während der Stern tief im nachfolgenden Wellenthale
steht und von einem nachstürzenden Brecher für einen Moment
begraben wird. Diese Brecher gewähren einen wundervollen
Anblick, nicht allein durch ihre Grossartigkeit und wilde Kraft,
sondern auch durch ihre Farbenpracht, indem die schaumgekrönten,
durchsichtigen Wasserwände das prächtigste Seegrün zeigen.
Obwohl mit dem Morgen des 28. November der Sturm sich
gelegt hatte, wollte das Barometer noch nichts von Steigen
wissen und blieb hartnäckig auf seinem niedrigen Standpunkte
stehen. Im Laufe des Vormittags hatte sich der Wind völlig
gedreht und wehte nun aus W. N. W., während der Himmel
den niedrigen Stand des Barometers zu'rechtfertigen schien. In
der Höhe zeigte er zwar das schönste Blau, doch der westliche
Horizont war mit kleinen grauen Wolken umzogen, die nichts
Gutes prophezeiten. Den Tag über folgte auch ein Gewitter-
sturm dem ändern. Wir segelten nun mit halbem Winde, d. h.
dieser fiel im rechten Winkel zu unserm Kurse ein, doch kamen
wir nicht rasch vorwärts, da man es bei der schwachen Bemannung
des Schiffes nicht wagen durfte, mehr Segel beizusetzen.
Die heftigen, unerwartet ankommenden Ruckwinde (Böen, holl,
buien) sind nämlich dem Schiffer weit gefährlicher, als schwerer,
aber anhaltender Wind.
Merkwürdig war das Schauspiel , das nun die See darbot. Bis
in bedeutende Tiefen1) aufgewühlt, konnte sie nur langsam zur
’) Mar hat berechnet, dass die Wogen nach der Tiefe hin das 350fache
ihrer Höhe betragen sollen.
Ruhe kommen, ja die Wogen nahmen, nachdem der Sturm sich
gelegt hatte, längere Zeit noch an Grösse zu. Wohl begann
nach und nach der Westwind auf die Oberfläche seinen Einfluss
geltend zu machen, aber in der Tiefe wälzten sich nach wie vor
die Wogen westwärts. Die Erschütterung, die das Schiff durch
das Aufeinanderprallen derselben erlitt, glich heftigen elektrischen
Schlägen und machte es in seinen Grundfesten erzittern.
Trotz der von heftigem Regen begleiteten Gewitterstürme,
die uns Sturzsee auf Sturzsee über Deck sandten, begann während
der Nacht das Barometer merklich zu steigen, und am
nächsten Tage, dem 29'. November, hatte sich das Wetter bedeutend
aufgehellt. Die See beruhigte sich weit schneller als wir
erwarten durften, da wenigstens an der Oberfläche die Kraft der
von Osten anrollenden Wellen durch den Westwind etwas gebrochen
wurde. Dessenungeachtet fühlte man noch tagelang die
heftigen unterseeischen Stösse von Osten her an die Schiffswand
schlagen. Wir hatten nun die Höhe von Lissabon einerseits und
der Azoren anderseits erreicht, und die Luft war bedeutend milder
geworden. Während beim Auslaufen aus dem Kanal zahlreiche
Schiffe in Sicht kamen, worunter mir ein kolossales englisches
Segelschiff mit 4 Masten besonders imponirte, hatten'
wir in den letzten Tagen nur eine oesterreichische Barkex) gesehen
, die, mit uns gleichen Kurs haltend, uns bald überholt hatte.
Am 30. November um die Mittagszeit, auf 19°19' w. L. und
35°51' n.Br. von Greenwich, kam-eine gewöhnliche Ohreule (Otus
vulgaris) an Bord geflogen. Sie schien nicht besonders ermüdet zu
sein, machte ab und zu eine kleine Tour um das Schiff und setzte
sich dann wieder für eine Weile in die Takelage. Es war dies
eine eigenthümliche Erscheinung, denn unser damaliger Abstand
von Madeira betrug 45, derjenige von der portugiesischen Küste
100 geographische Meilen. Am Abend flog die Eule weg, ohne
wiederzukehren.
Am Morgen des ersten Dezembers kam im Osten, auf etwa 13
geographische Meilen Abstand, die Insel Madei ra in Sicht, doch
‘) Ein Schiff mit 3 Masten, wovon nur die zwei vordem mit Raen
(Querstangen) versehen sind.