
A n m e r k u n g . 2. F ü r die Beh au p tu n g , dass der ungehinderte Haarwuchs
, wenn sonst das Abscbneiden gebräuchlich war , alle Thä-
tigkeiten im Körper vermehre , un d den Menschen kräftiger und
ausdauernder mache, scheint auch die Geschichte der Völker einige
Belege zu liefern. So finden wir häufig bey manchen Nationen den
Gebrauch, dass grosse Männer bey schwierigen Unternehmungen
g e lo b ten , das Haar nich t eher zu schneidan, und den Ba rt nicht
zu ra sie ren , bis die T h a t vollständig gethan sey. So liess C ä s a r
nach seiner C l a d e s T i t u r i a n a Haare und Ba rt wachsen, bis
er sich gerächt hatte*). Und von dem batavischen Anführer Ci-
r 111 s sagt X a c i t u s : » B a r b a r o v o t o p o s t c a p t a a d v e r -
s u s R oma n o s a r m ä , p r o p e x u m r u t i l a t u m q u e c r i n e m ,
p a t r a t a d e m u m c e d e l e g i o n u m , d e p o s n i t . " — Nach
dem Gesetze L y c u r g ’s durften die Lacedämonier ih r Haar, sobald
sie gegen den Fein d ausgezogen, nicht weiter mehr schneiden.
A n m e r k u n g . 3. Umgekehrt finden wir da und dort Beyspiele, welche
darzuthun scheinen , dass das ungewohnte Schneiden der Haare
M u tlo s ig k e it, Mangel an Kraft und Ausdauer zur Folge habe.
So ist es einigermassen auffallend, dass das tägliche Rasieren zu
Rom gerade damals in die Mode kam, als der Grund zum Verfall
des Reichs gelegt w u rd e , nämlich 454. n. E. R.
A n m e r k u n g . 4. Eben darum, weil die Haare Zum Theil das Geschäft
der Ausdünstung übern ehmen , können sie auch die Träger eines
Contagiums se y n , das zudem uoch lange Zeit an ihnen haften
und dennoch wirksam bleiben kann. Hieraus erklärt sich die
grosse Wachsamkeit, welche man bey ansteckenden Seuchen stets
auf die H a a re , Pelze, Felle u n d Wolle zu verwenden p f le g t.__
Nach H i l d e n b r a n d t **) tragen die Haare zur Leitung der
Ansteckungsstoffe wahrscheinlich, auf eine positive oder negative
A rt, bey. Bekanntlich geschieht die venerische Ansteckung nur
durch unbehaarte T h e ile , die herpetische hingegen n u r durch
behaarte. Letzteres gilt auch vom Grinde. Bey typhösen und überh
au p t exanthematischen , ansteckenden Fieberkrankheiten scheinen
nach H i l d e n b r a n d t die weniger und unbeträchtlichen
unbehaarten Theile zu geringfügig , als dass n u r durch sie eine
so häufige und so allgemeine Ansteckung Statt haben könnte,
u n d es wäre allerdings zu v e rm u th en , dass obschon die Haare
keine vortheilhaften Leiter des "Wärmestoffes sind , die gewöhnliche
Fieheransteckung doch grösstentheils durch die behaarten
Theile geschehe, oder von diesen eigentlich der Ansteckungsstoff
aufgenommen werde.
*) S u e t o n . Vit. Ju l. Caes. p. 67.
**) ln dem Werke über den Typhus p. 131.
§• 135.
Von der electrischen Spannung in den
H a a r e n .
In den zwey vorhergegangenenParagraphen wurde zu wiederholten
Malen der el ec t r is c h en Erscheinungen gedacht,
welche sich durch die Haare kund gehen, und zufolge welcher
man nicht zweifeln kann, dass die Haare die Eigenschaft besitzen
, durch Reibung negativ-electrisch zu werden, überhaupt
aber das electrische Fluidum, wo sie es finden, aufzunehmen,
und in sich zu concentriren, dass sie mithin als wahre Conde nsatoren,
und als s c h l e c h t e L e i t e r derElectricität zu betrachten
seyen. — Insofern nun aber die Electricität, sey sie im
eigenen Körper erzeugt, oder befinde sie sich in der diesen umgehenden
Luftart, bekanntlich einen sehr wichtigen Antheil an
der Unterhaltung und Modificirung des ganzen Lebensproces-
ses, und namentlich des Athmungsprocesses unsres Organismus
hat, insofern spielen die Haare gewiss eine weit grössere
Rolle, als man ihnen bisher zugetheilt hat. Ich will jedoch
damit keineswegs behaupten, dass diess der einzige oder auch
nur der wichtigste Weg sey, auf welchem die Electricität auf
den Körper wirken könne, sondern möchte die Aufmerksamkeit
der Physiologen und Pathologen nur wieder auf einen
Gegenstand, hinwenden, der selbe im hohen Grade verdient.
Schon die eigenthümliche Form der Haare in Verbindung
mit ihrem Standpunct macht sie zu wahren Blitzleitern unsres
Körpers; spitzig und abgerundet, wie sie sind, ragen sie vorzüglich
auf dem höchsten Puncte des Körpers in die Höhe,
um ihn zunächst mit der Aussenwelt in Verbindung zu setzen;
ihre chemischen Bestandtheile, worunter ich vorzüglich den
Schwefel und das Eisen nenne, machen sie noch tauglicher zu
allen electrischen Processen , die an der Oberfläche unsres Körpers
, wie man sagt, durch die Epidermis vermittelt werden.
Wenn man diess aber von der Oberhaut zugibt, warum sollte
dasselbe nicht in weit höherem Grade von den Haaren gelten,
sie, die im Grunde nur eine höher gestellte Epidermis sind ?
Ich werde mir in der P a t h o l o g i e Mühe geben, die
Wichtigkeit dieser Lehre bey gewissen Krankheiten in ein klares
Licht zu setzen, und vielleicht einigen, mit Unrecht in Ver