
diesen Fällen von der Störung oder Unterdrückung einer
kritischen Ausleerung, als für welche er die Geschwüre
und Läusebildung am behaarten Theil des Kopfes ansah,
und glaubt, dass die ersten zwey Kranken an einem, auf
solche Art hervorgebrachten, serösen Schlagfluss gestorben
seyen. Auch kann seiner Meinung zufolge, abgesehen
von der genannten Störung einer kritischen Ausleerung,
das blosse Abschneiden der Haare nach einer hitzigen,
gefährlichen Krankheit dadurch nachtheilig, ja
selbst gefährlich werden , dass man der Natur zur
Erreichung nützlicher, uns vielleicht unbekannter Endzwecke
dienliche Organe entzieht, und besonders die Einwirkung
der Luft auf das Gehirn begünstigt.
Diesen gewiss sehr merkwürdigen Fällen fügten L e -
mercier und T h i e u l e n t noch folgende zwey andere hinzu:
Ein Factor von 17 Jahren hatte, nachdem er ein leichtes
rheumatisches Fieber überstanden hatte, seit vier Monaten
die Haare voll Ungeziefer; es wurde ihm also der Kopf rasiert,
worauf, nach Verlauf von zwey Stunden, Schauer und Angst,
später Hitze, Fieber, ein starker Kopfschmerz und wüthendes
Delirium eintrat. Zwölf Stück Blutegel an die Jugularvenen,
Blasenpflaster im Genick, und schweisstreibende Ptisanen wurden
umsonst angewandt. Im Verlauf des dritten Tages entstand
lethargische Schlafsucht, und am vierten Tag erfolgte
der Tod aus Schlagfluss. Bey der Section fand man die Seitenkammern
des Gehirns sehr ausgedehnt, und mit drey Löffel
voll Serum angefüllt. —
Der zweyte Fall betrifft einen 60jährigen Mann, dem man
gleicher Ursache halber die Haare abschnitt. Zwey Tage darauf
zeigte sich hinter jedem Ohre ein phlegmonöser Absatz
von krankhafter Materie, der jedoch späterhin heilte. —
V i 11 e rm e hörte manchmal Reconvalescenten durch
2— 3 Tage über Gesichtschmerz und Angst klagen, da man
ihnen den sehr lang gewordenen Bart abgeschoren hatte; und
Duc ha te au sah einigemal Scheintod, Fieber und nervöse
Symptome fast unmittelbar auf das Rasieren im Anfänge der
Reconvalescenz erfolgen. Dr. Vassal erzählt sogar einen Fall,
in welchem auf das Rasieren nach einer acuten Lungenentzündung,
bey noch*sehr geschwächten Kräften, der Tod binnen
l \ Stunden erfolgte.
Dass aber dasllaarabschneiden selbst während der Krankheit
auch bedenkliche Folgen haben könne, findet sich ebenfalls
in der Erfahrung bestätiget. So sah Vi l l e rmö ein
Kind an der acuten Hirnwassersucht sterben, welchem man
drey Tage vor der Erscheinung der ersten Symptome unvorsichtigerweise
die Haare abrasiert hatte, um den Kopf von
Läusen zu befreyen.—Auch hat die Sage tiefen Grund: Dass
man die Haare der Ki n d b e t t e r i n n e n nicht anrühren soll,
indem selbst das Kämmen nachtheilig werden kann.
§. 202-
Eine besondere Erwähnung verdient in der nämlichen
Beziehung d a s Ras iere n, oder auch nur das Ab s c h n e i den
des Bartes. Bekanntlich steht' dieser mit der Entwicklung
der Geschlechtstheile in der genauesten Verbindung, in
auffallender Sympathie, und es ist ausser allem Zweifel, dass
das frühzeitige Cultiviren und Hervorlocken des Bartes die
Zeugungstheile sympathisch zu einer grossem Thätigkeit errege,
und so höchst wahrscheinlich durch absichtliche oder
zufällige Beförderung der Pubertät nicht selten den Grund
zur Onanie, oder überhaupt zur Wollust und frühzeitigen Verschwendung
des Samens lege. Schon Hospinian*) erkannte
die frühzeitige Beschleunigung des Bartwuchses durch öfteres
Rasieren für ein Mittel zur Erweckung des Geschlechtstriebes,
da es die Congestionen nach dem Halse und den Geschlechts-
theilen befördert. Abgemergelte Wollüstlinge lassen sich gern
kurz vor der Feier ihrer Orgien rasieren, um den erloschenen
Geschlechtstrieb wieder rege zu machen. — Mehr darüber
findet sich bey Edmu n d Bar ry**) , ferner in H u f e l
a n d s Journal ***), von Wi l h e lm Ha s k e , ****) von
Wes t p h a l e n •{•) und von Mathäi .
Ein Rückblick auf die früher angeführten geschichtlichen
Thatsachen belehrt uns, dass dieser Gegenstand schon unter
unsern ältesten Vorfahren Anlass zu besondern Gebräuchen, ja
*) Ranguis de capillamentis Cap. IX. 7.
**) A treatise on the tree different digestions and discharges of thc
human body etc. Lond. 1759 , p» 222*
***) XXVstpr Bd. 2tes Stück.
■?***) Daselbst IVler Bd. 8tes Stück,
y) Daselbst XVItcr Bd. 3les Stück.