
Ernährung des Haars in der engsten Beziehung steht. Man
wird sich nämlich erinnern, dass die Thier- und Menschenhaare,
so sehr sie es für den ersten Augenblick auch scheinen,
dennoch nichts weniger als ganz glatt sind, sondern
dass ihre Oberfläche gleichsam wie mit feinen Schüppchen
mehr oder weniger bedeckt sej. Man würde sehr irren
, wenn man diese Schüppchen in demselben Verhältnisse
zum Haare dächte, als z. B. die Schuppen der Fische
zu ihrer Haut sind; denn sie gehören an und für sich gar
nicht zur Integrität der Haarorganisation, sondern sind lediglich
als Producte der an der Haaroberfläche fortwährend
stattfindenden Excretion, als wahre Auswurfsstoffe zu
betrachten. Doch werden sie keineswegs als solche Schüppchen
ausgeschieden, sondern im Zustande einer schleimähnlichen
Materie, die alsbald durch den Zutritt der atmosphärischen
Luft erhärtet, und diese Schüppchen bildet.
Derselbe Process also, welchen wir an der ganzen
Oberhaut des Körpers vor sich gehen sehen, und der bey
den Schlangen und andern Thieren unter der Form der
Häutung und des Harens im Grossen statt findet, zeigt sich
auch an der Oberfläche der Menschenhaare, die in ihren
ganzen Baue der Oberhaut ohnehin so nahe stehen.
3) Ist der Organismus, oder näher gesagt, sind die Haare
nicht'vermögend, diese genannten Stoffe in der Art und
Menge ab- und auszusondern, wie wir sie z. B. bey einem
erwachsenen gesunden Menschen finden; bringt es der ei-
genthümliclie Lebensprocess der Haare zu keiner so voll-
kommnen Bildung, sondern bleibt diese auf einem sehr
niedern Grade stehen, und ist diese qualitativ niedrig stehende
Bildung mit Uebermass in Bezug auf die Menge — also
mit Wucherung — gepaart; dann verliert der in zu grosser
Menge ausgeschiedene Stoff schnell seine eigenthümliche
vitale Natur, und tritt unter die Herrschaft der allgemeinen
Nalurkräfte, die ihn in seine Elemente zerlegen, und aus
diesen schnell eine neue Schöpfung hervorrufen — es entsteht
Generatio aequivoca, es erzeugen sich Läuse, und im
höhern Grade die Läus e s uch t . Auf diese Art wird man
sich jetzt die schnelle Vermehrung dieser Thiere im kindlichen
Alter, ihre fortwährende Erzeugung bey scrophulösen,
rhachitischen Menschen, und ihr Erscheinen in allen Atrophien
, Schwindsüchten und Colliquationen erklären können.
Oder sollte das Ganze nur auf antagonistischer Steigerung
des Lebens behaarter Theile beruhen ?
A n m er k u n g . 1. Ich habe im vorigen Paragraph behauptet, dass durch
das K r a u e n der Haare demjenigen, der gekrauet wird, elektrische
Materie m itg e th e ilt, oder wenigstens in seinen Haaren stärker erregt
werde. Pagegen wollen einige aus dem Vergnügen, welches
mancheMenschen im K äm m e n der H aare Andrer linden, und aus
dem Einschlafen der Gekämmten den Schluss ziehen . dass unter
diesen Umständen den Haaren E le ctricität genommen, nicht aber
gegeben werde. Die angeführten Thatsachen sind richtig ; denn es
gibt Beyspiele, dass sonst ganz wohlgebildele moralische Männer
das grösste Vergnügen daran fanden, die Haare eines schönen
Weibes zu kämmen. So lese ic h * ) den F a l l , dass sich ein Engländer
bloss zu diesem Zwecke eine reitzende Maitresse u n te rh ie lt,
wobey weder Liebe noch Treue in Betrachtung kam , und er bloss
mit den Haaren zu th u n h a tte , welche sie in den ihm gefälligen
Stunden enluadeln m u sste , damit, er d arin mit seinen Händen
wühlen konnte. Diese Operation verschaffte ihm den höchst möglichsten
Grad körperlicher Wollust. — ln F rankreich soll diese Art
von Wollust u n te r den höhern Ständen ehemals sogar gemein gewesen
seyn. J a h n erzählt ein ähnliches Beyspiel von einem E ng.
länder ', den er selbst k a n n te , und dessen Freude bey diesem Vorgänge
um so grösser war, wenn ihm verstauet wurde, so lange
d a rin fortzufahren , bis der Schlaf den gekämmten Kopf überwältigte.
E r soll sich diesen Genuss in Ermanglung von tr e u n d in -
nen sogar mit zwey Ducaten für die Stunde von Dienstmädchen e rkauft
haben. — Es scheint demnach w irk lic h , als wenn in solchen
Fällen dem Gekämmten die belebende electrische M aterie entzogen
würde. Dagegen fehlt es nicht an Beyspielen , wo auch der
umgekehrte Erfolg e in tritt, und wo der Kämmende vor dem Gekämmten
einschläft. Dieses , und der Umstand , dass Mütter , die
ihre Kinder lieber durch Krauen als durch Wiegen einschläfern,
wenn sie diese niederlegen, meistens selbst neben ihnen einschla-
fen , oder wenigstens starke. ^Neigung dazu fühlen , macht es wahrscheinlich
, dass es sich bey Bestimmung des Erfolgs dieser Operationen
auf der einen und auf der andern Seite hauptsächlich
um das gegenseitige Wechselverhältniss der beyden Organismen
h an d le , woraus sich sodann ergeben w ird , welches der positive,
und welches der negative Pol od e rF a c to r dieses dynamischen Con-
flictes , wer demnach der Leben ausströmende, und wer der zu belebende
sey. — Im Ganzen beweist die Sache n u r , dass auf die
genannten Arten sowohl electrisches Fluidum m itg e th e ilt, als auch
entladen werden könne.
*) H. G. H o f f ’s Sammlung von Tugenden und L a ste rn , Sitten und
Eigenheiten der Engländer, 1. Band,