
haften Vergrösserung aller Zweige der Hell wissenschaft genommen
hat! Aber nicht genug, dass ich zu diesem niederschlagenden
Bekenntnisse gezwungen bin, sagt mir ein aufmerksamer
Vergleich auch, dass wir in mancher Hinsicht so-
gai einen Bückschntt gemacht zu haben scheinen, Diess gilt
besonders von der Behandlungsart der verschiedenen Krankheiten
der Haare, die b e j unsern heutigen Pathologen mit ein
paar Seiten abgethan ist, während sie wenigstens bey den Alten
mehrere Kapitel befasste,— Namentlich ist das k ü n s t l i che
F ä r b e n der Haare gegenwärtig und seit langer Zeit
ein Gegenstand der Charlatanerie geworden, und aus den Händen
der verständigen Aerzte in die rohe Behandlung unwissender
Marktschreyer und Vagabunden, ja sogar in die Verderben
schwangere Praxis alter 'Weiber übergegangen; und
>ch kann mich wirklich nicht genug darüber wundern, dass
nachdem wir doch an Sorgsamkeit für den Haarputz unsern alten
Vorfahren durchaus nicht nachstehen, wir dennoch, vorausgesetzt,
das in den Schriften jener Enthaltene bewähre sich als
richtig, die Kunst, Haare nach Belieben zu färben, weit weniger
verstehen, als sie.— Nichts desto weniger muss zu unsrer
Beruhigung doch zugegeben werden, dass, so wie die Pathologie
überhaupt in unsern Tagen philosophischer behandelt
wird, auch die Art und Weise, wie man jetzt die Krankheiten
der Haare abzuhandeln pflegt, zu unsern Gunsten sehr von
jener abweicht, die zu jenen alten Zeiten, und überhaupt;, so
lange die G a le n ’sche Lehre Gültigkeit hatte, gang und gebe
war. Die später anzuführenden Arten der Eintheilung der
verschiedenen Krankheiten, welche die Haare befallen, wird
davon einen hinlänglichen Beweis liefern. Auch werden wir
uns überzeugen, dass, so wie die Hautkrankheiten überhaupt
von den Pariser Aerzten mit vorzüglicher Sachkenntniss beobachtet
und dargestellt wurden, diess wohl auch in Bezug auf
die Krankheiten der Haare von letztem gesagt werden könne. Auf
diese Art hat also unsre Zeit das an innerm Gehalt in der Lehre
von den Krankheiten der Haare einigermassen ersetzt, worin sie
der Vorzeit an Ausdehnung und Weitläufigkeit nachsteht. —
Obgleich übrigens schon zu wiederhohlten Malen und an verschiedenen
Orten von den Lehrstühlen herab dazu aufgemuntert
wurde, den Haaren auch einen Tbeil jener besondern Aufmerksamkeit
zu schenken, welche man auf das Auge, das Ohr,
die Haut überhaupt, auf die Zähne, ja sogar auf die Hühneräugen
verwendet h a t, so ist doch bis auf diesen Augenblick
in dieser Hinsicht wenig oder nichts von Bedeutung geschehen
; denn theils wurde die Sache nur oberflächlich behandelt,
theils bloss auf den Gewinn an Geld abgesehen, daher
wir zwar viele Schriften über die Krankheiten der Haare, aber
wie gesagt, meist nur oberflächliche oder sogenannte populäre
Anleitungen besitzen: wie man am sichersten und schnellsten
diesen oder jenen Fehler an den Haaren zu verbessern imStande
sey; einer ausführlichen wissenschaftlichen Bearbeitung hatte
sich bisher dieser Gegenstand nicht zu erfreuen. —Obgleich ich
nun das Bedürfniss unserer Zeit in dieser Hinsicht wohl fühle,
und auch den Wunsch in mir trage, demselben in etwas abzuhelfen,
so bin ich doch weit entfernt, zu glauben, dass ich
im Stande sey, diesen Gegenstand erschöpfend zu bearbeiten.
Diess wäre offenbar zu viel von mir gefordert, indem es gerade
eine Sache betrifft, in der ich selbst gewissermassen als Neuling
auftrete. Nichts desto weniger soll meine Arbeit nicht ohne
Früchte seyn, und ich schmeichle mir wenigstens, durch wissenschaftliche
Zusammenstellung desjenigen, was hierüber vom
Anbeginne unserer Wissenschaft bis auf die gegenwärtige Zeit
Bemerkenswerthes geschrieben wurde, und durch Anreihung
einiger eigener Erfahrungen, die ich mir theils auf dem Wege
der Beobachtung, theils durch Versuche zu verschaffen wusste,
dem Ganzen eine sichere, haltbare Basis zu geben, und so für
eine weitere Vervollkommnung dieses Zweiges unserer Wissenschaft
die nöthige Bahn zu brechen.
Mit diesem Wunsche will ich zuerst nach Samu el Got t l
ieb Vogel’s Vorgang *) etwas über die d i a g n o s t i s c h e
Wü r d e der Haare sagen, und dann zu den eigentlichen
Krankheiten derselben übergehen.
§. 145-
Von der diagnostischen Würde der Haare.
So wie jedes Organ des menschlichen Körpers, so lassen
sich auch die Haare in Bezug auf ihr pathologisches Verhält-
niss auf eine doppelte Art betrachten. Denn entweder sind sie
das Hauptsubject der Krankheit, also an und für sich selbst er*
) In H e c k e r’s literarischen Annalen der gesammten Heilkunde. 3ler
Bd. p. 385 — 410.