
und endlich auch bey dem Menschen, und zwar in allen ihren
naturhistorischen und anatomischen Beziehungen zu untersuchen,
um so endlich auf ihre physiologische Bedeutung zu
kommen, stehe ich jetzt daran, das Resultat dieser Untersuchungen
auf die Menschenhaare zu übertragen, und namentlich
eine vollständige Uebersicht des überall Zerstreuten
und hierauf zu Beziehenden zu liefern. Obgleich ich nun in
dieser Beziehung den Leser vorhinein bitten muss, keinen zu
grossen Hoffnungen Raum zu geben, so glaube ich ihn doch
durch die Versicherung, dass er das Buch nicht ganz unbefrie-
digt bey Seite legen werde, zum genauen und aufmerksamen
Studium desselben aufmuntern zu dürfen. _
Bevor ich jedoch etwas über die Functionen der Haare sage,
will ich zuerst ihre organische Ausbildung, d. i. ihr Entstehen
und Wachsthum, ferner alle jene ihnen oben zugeschriebenen
Eigenschaften, in so fern diese nämlich mit der organischen
Entwicklung in ursächlichem Verhältniss stehen, auf bestimmte
Gesetze zurück zu führen, und auf solche Art also zu
erklären versuchen, wobey ich mich bemühen werde, die
wichtigsten Meinungen und Ansichten aller Zeiten über die betreffenden
Gegenstände jederzeit einzureihen, um so dem Ganzen
eine umfassende und gründliche Ausdehnung zu geben. —
E r s t e s H a u p t s t ü c k.
lieber die verschiedenen Ursachen der organischen
Eigenschaften der Menschenhaare.
§• 126.
a) Entstehung des Haars.
Es versteht sich wohl von selbst, dass hier nicht sowohl
davon die Rede seyn kann, die Entstehung der Haare in anatomischer
Beziehung zu untersuchen, denn das wäre eine unnütze
Wiederholung; sondern es handelt sich zunächst darum,
den schon seit Jahrtausenden bestehenden Streit zu schlichten,
der sich über d ie Mate r i e , aus we l c h e r das Haa r geb
i l d e t we r d e , erhoben hat. Zu diesem Ende muss ich nun
sogleich in das graue Alterthum zurückgehen. Nach Hi ppo-
c r a t e s * ) wird zur Bildung der Haare ein klebricher Stoff
und Wärme benöthigt: „Ubicunque in corpore glulinosum exi-
stit, ibi pili a calore gignuntur.“ An einem andern Orte**) setzt
er die Bildung der Haare besonders mit der Dünnheit der Oberhaut
in Verbindung: „Pffi maximi et plurimi nascuntur, qua
summa corporis cuiicula rarissima est, et ubi pilus moderalum
habet humorem, quo nutriatur.u Höchst sonderbar, und wohl
häufig der Erfahrung zuwider ist sein übrigens fast 1000 Jahre
gültig gebliebener Ausspruch: Ubi glandula, ibi pilus *** *).
Dieser Ansicht zufolge schien ihm die Natur die Haare dess-
halb in die grossen Höhlen des Körpers vertheilt zu haben, um
gemeinschaftlich zu bewirken, dass nämlich die Drüsen die
Feuchtigkeiten ansaugen, und die Haare den Ueberfluss dieser
Feuchtigkeiten zu ihrer Nahrung erhalten sollten: Natura si
quidem glahdulas et pilos creat, ambo ejusdem utililatis gratia.
Illos quidem, ut quod inßuit, excipiant, pilos vero, ut ex glan-
dulis opportunitatem nacti, producantur et augeanlur, quodque
in extremas partes redundat et expellitur, colligant. — Wäre
der erhabene Mann in dem Besitze unsrer heuttagigen anatomischen
Kenntnisse gewesen, wahrlich, ich zweifle keinen Augenblick,
auch die Natur der Haare hätte ihren Meister gefunden
!!
A ris to te le s * * ’"*) beobachtete eine Art Keim, der an
der Wurzel des Haars sitzt; er hatte nämlich bemerkt, dass
die Wurzel des Haars von einer dicken Flüssigkeit so umgeben
ist, dass sie einen leichten Körper, den man in ihre Nähe
bringt, in die Höhe ziehe, sobald man sie wegziehen will.
Uebrigens nahm er zuerst an, dass die Haare aus überflüssigen,
und dem Körper sonst unnützen Theilen entstehen. — Der
Abgang anatomischer Kenntnisse der hieher gehörigen Theile
brachte den grossen Ga l e n auf starke Irrwege in seinen physiologischen
Ansichten über die Haare; worin er sich so weit
verstieg, dass er sogar gegen seine sonstige Gewohnheit von
Gott Erwähnung machte, und seine Allmacht und Weisheit zu
*) Opp. omnia. De carnibus p. 252.
De natur. pueri p. 2^0.
***) De glandulis p. 271.
****) Histor. lib. III. c. 11.