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steter Berücksichtigung der angeführten Hauptanzeige die pas-
sendenNervina in Gebrauch gezogen. In solchen Fällen will
J. Fr a n k Pillen aus 1 Theil E x tr. hellebor. oder ciculae, und
2 Theilen Schwefelblumen, dreymal täglich zu Q Gran genommen,
sehr wirksam gefunden haben. Wird der Kopf zu stark
ergriffen, dann pflegt ein Senf- oder Blasenpflaster in dem
Nacken von vorzüglichem Nutzen zu seyn. Bey noch stärkerer
Aufregung des Hirn- und Bückenmarksnerven-Systemes
mag immerhin das von J. F r a n k empfohlene Pflaster aus
Empl. de Galban. crocato, Pech, oder aus 2 Drachmen Empl.
cicutae und fo e tid um , und 6 Drachmen Emplast. cantharid. über
die ganze Länge des Rückgrathes gelegt, gute Dienste leisten.
Sind aber die Erscheinungen von der Art, dass man bey
vollkommener Ueberzeugung von der Richtigkeit der Diagnose,
vermuthen muss, die Natur reiche nicht hin, jene Ablagerung
des trichomatösen Stoffes auf eine günstige Weise zu bewerkstelligen,
so ist es Pflicht, sie in diesem Geschäft noch
kräftiger zu unterstützen. Diess geschieht nach Sc h l e g e l
am besten durch den fortgesetzten Gebrauch der Dampfbäder,
und nutzen diese nichts, durch fliegende Blasenpflaster
und warme Senfteige auf den Kopf, die man noch durch Einreibungen
der Cantharidentinctur, Bedeckung des Kopfs mit
einer Kappe aus Taffet, und durch den Gebrauch von flanel-
lenen Westen und Hosen zweckmässig unterstützt. Ein solches
Verfahren wird um so nothwendiger seyn, wenn die Vorboten
in gefahrvollen Affectionen des Gehirns, der Lungen, der
Sinnes- und anderer Organe bestehen, also schleunige Hülfe
erfordern.
Selbst an v e rme i n t l i c h e n s p e c i f is c he n Mitteln
fehlt es in dieser Krankheit nicht. So spielt unter dem gemeinen
Volke in Pohlen das schon durch seinen Namen: Herba
plicaria, Hexen- oder Trudenmehl ausgezeichnete Lycopodium
Selago (nicht clavatuin) eine Hauptrolle, indem es als eines der
vorzüglichsten Mittel gegen den Weichselzopf betrachtet wird,
obschon sein innerer Gebrauch wegen der Brechen- und Durchfall
erregenden Eigenschaften eher zu widerrathen ist.
Die P o h l e n infundiren diese Pflanze gewöhnlich mit
einer Abkochung der Branca ursina, Vinca Pervinca, oder des
Helleborus, lassen das Ganze dann gähren, indem sie etwas
Sauerteig zusetzen, und trinken es entweder allein, oder wie
eine Fleischbrühe mit frischen Eyern gemischt. Auch bähen
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sie sich damit den Kopf, indem sie dem Aufguss Wein oder
eine aromatische Pflanze beygeben.
Ist nun, auf welche Art immer, die Krankheit in ihr zwey-
t es St adi um übergegangen, d.h. hat der Weichselzopf angefangen
sich zu bilden, dann bedarf es in den gewöhnlichen Fällen
nur einer negativen Behandlung, und diese besteht kurz
darin, jede mögliche Störung der in der Vollendung der trichomatösen
Metamorphose begriffenen Naturthätigkeit, also vor
Allem Erkältung, namentlich des Kopfes zu verhüten. Indessen
kann in diesem Zeitraum ein doppeltes Verhältniss eintre-
ten. Denn entweder erfolgt der Ausbruch und die Entwickelung
des Weichselzopfes zu langsam und unvollkommen, oder
es wird der ganze krankhafte Process mit ungewöhnlicher und
allzugrosser Kraft auf dem Kopfe concentrirt. Beyde Verhältnisse
erfordern das Einschreiten der Kunst, aber natürlich in
jedesmal entgegengesetzter Art.
Im ersten Falle ist es Aufgabe der Kunst, die Natur in ihrem
Werke zu unterstützen, und dadurch den andern, mit dem
Ausbruche des Weichselzopfes nicht nach Wunsch gedämpften
oder gänzlich gehobenen, mehr oder weniger gefährlichen,
Erscheinungen gehörig entgegen zu wirken. Alles dieses wird
beynahe ganz auf dieselbe Art erreicht, als ich früher bey Be-
thätigung der Hautfunction während der Vorboten angegeben
habe. Kampfer und Spiessglanzmittel nebst dem reitzenden
Verfahren auf der Haut sind hier die Hauptsache. Andere haben
in solchen Fällen mit Wein bereitete Umschläge aus Mus-
cus clavatus, Vinca Pervinca und Ra d ix bryordae gerühmt. Ich
meiner Seits würde in leichtern Fällen einem ganz einfachen
Breyumschlag aus Lein- oder Hanfsamen mit Milch bereitet,
den Vorzug geben.
Tritt aber beym entgegengesetzten Verhältniss der tri-
chomatöse Process an dem behaarten Theil des Kopfes mit
solcher Heftigkeit auf, dass er das ganze Bild einer Entzündung
dieser Theile, und am Ende selbst der innern edlern
Gebilde darstellt; dann muss seine Heftigkeit gebrochen, und
auf den erspriesslichen Mindergrad herabgesetzt werden. Diess
geschieht tkeils durch ein allgemein antiphlogistisches Verfahren,
jedoch mit steter Berücksichtigung der Individualität
dieser Krankheit an und für sich, also bey heftigem Fieber
durch allgemeine Aderlässe, salzige Abführmittel, karge Diät
u. dgl.; oder örtlich durch Anwendung von Blutegeln an den