
angefüllt werden können. Diess letztere ist ein unläugbares
Factum, das meines Wissens vor mir Niemand auf diese Art
ausser Zweifel gesetzt hat, und das uns einen hellen Blick in
die Bildungsstätte des Haars sowohl, als auch in die bisher
noch immer räthselhaft gebliebenen Vorgänge beyrn Weichselzopfe
höhern Grades machen lässt.
Ich habe ferner die schon von Andern angegebene, von
Vielen jedoch noch immer geläugnete Thatsache aufs Ueber-
zeugendste nachgewiesen, dass die Haarzwiebel auch N e rv en
besitze, welche in Gesellschaft der kleinen Arterien in den
Boden des Haarbalges eintreten, und nach meinem Dafürhalten
sich theils in den Häuten des Säckchens ausbreiten und
zerästeln, theils aber auch unmittelbar in die Höhle des Bulbus
oder der Haarwurzel übergehen. — Wir haben also
Nerven und Arterien in jenen Organen, aus dem sich das
Haar unbezweifelt herausbildet. Wi6 das aber geschehe,
das ist es, worin ich meine Unwissenheit eben so frey und
offen eingestehe, als über den Vorgang bey der Bildung aller
übrigen Organe ohne Unterschied. — Ich zolle gerne
der H e u s in g e r’schen Hypothese meine volle Achtung, denn
ich muss sie für sehr scharfsinnig halten, aber ich bin von
ihrer Richtigkeit nicht überzeugt, weil sich gar manche Umstände
bey der Erzeugung und Bildung der Haare vorfinden,
die sich nicht aus einem Pigmentkügelchen erklären lassen.
Doch gestehe ich gerne zu, dass jeder, der die Sache erklären
will, Herrn Prof. Heusi n g er für seine schöne Ansicht
Dank wissen wird. So lange mir Jemand die Entstehung und
Bildung der andern Organe des Körpers nicht nach Genügen
aufdecken kann, so lange bleibt mir auch die Entstehung
der Haare unerklärlich, ist aber jene gegeben, so kann diese
auf der Stelle folgen. Man irrt sich demnach sehr, wenn man
die Haare so schlechtweg und gleichsam verachtungsweise als
blosse Pflanzen betrachtet, die nur ein Schmarotzerleben führen;
d e n n das Orga n, in dem sie g e b i l d e t werden,
s t e h t an Di g n i t ä t den Knochen , Kn o r p e l n , Se h n
e n , ja s og a r ma n c h e n Hä u t e n w e i t vor. — Wenn
übrigens Jemand sagte, dass aus dem Blute, welches durch
die kleinen Gefässchen auf die beschriebene Art in den Balg und
die Zwiebel dringt, ±. die fleischige Masse zwischen dem Sack
und der Wurzel, und 2* der sogenannte Haarkern im Innern
der Haarwurzel unter Begünstigung des Nerveneinfiusses entste
hen; und dass der Haarkern letztere, welcher mit den angeführten
Gefässen und Nerven am Grunde des Haarbalges in unmittelbarer
Verbindung steht, wieder als das nächste Ernährungsorgan
des Haarschaftes angesehen werden müsse; ferner, dass
dem fleischigen Körper, welcher den Anfang des Haarschaftes
ganz umschliesst, undvielleicht im normalen, lebenden Zustande
flüssiger, oder wenigstens halb weicher Natur ist, um so mehr
ein Antheil an der Ernährung des Haars zukomme, als ja bekanntlich
das von ihm umgebene Stück des Haarschaftes stets
zärter, weicher und weisser ist, als der übrige Haarschaft;
wenn man endlich sogar behaupten wollte, dass im normalen
Zustande dem Haare s el b s t keine rothen Säfte zukommen,
sondern dieses bloss weisse Säfte durch die feinen Fasern an
der Oberfläche der Haarwurzel aus der Höhle des Balges ganz
nach Art der Pflanzenwurzeln, oder etwa wie die Flocken
des menschlichen Eyes aufsauge; — so würde ich zugestehen,
dass sowohl das eine als das andere grosse Wahrscheinlichkeit
für sich habe, ohne mich jedoch desshalb für befugt zu halten,
den geheimen Process, den die Natur bey Bildung der
Haare verfolgt, als vollkommen enthüllt anzusehen.
§. 127.
Lebensprocess der Haare.
Man kann sich wohl in der ganzen Heilwissenschaft
keinen grellem Contrast denken, als die Verschiedenheit der
alten und unsrer gegenwärtigen Zeit in Bezug auf die Ansichten
über den Lebensprocess der Haare. Denn während unsere
Vorfahren den Haaren nicht allein alles Leben abspra-
chen, sondern sie nicht einmal für Theile des Körpers gelten
lassen wollten, denkt wohl heute Niemand mehr daran, die
Haare von einer allgemeinen und unzertrennlichen Eigenschaft
aller organischen Körper — nämlich dass sie Le b e n besitzen
— auszuschliessen.
Lange vor Dieme r b r o e k war schon der Streit entstanden:
an pili partes corporis sint nominandi. Er entschied *) end-
*) A, a, 0 . p. 485.