
Uebrigens herrscht über die genaue Bestimmung der Epoche,
in welcher unsere Krankheit zuerst in Europa auftrat,
ebenfalls keine Uebereinstimmung. Denn während Deth a r -
ding das Jahr 1279 dafür annimmt, bestimmt H i r s c h e i das
Jahr 1287 un d E r n d t e l gar 1289- Indessen kommen sie wenigstens
alle darin überein, dass sich der Weichselzopf besonders
häufig nach den Einfällen der Mongol en (die man fälschlich
auch T a t a r e n nannte) zeigte.
Von diesen Einfällen kommt der erste auf das Jahr 124l>
und die beyden andern auf das Jahr 1287; den dritten machte
jedoch der tapfere Pohlen-Fürst Les t ko durch seinen muthi-
gen Widerstand weniger verwüstend. Und dennoch war es gerade
dieser, auf welchen sodann der Weichselzopf zum erstenmal
erschien.
Die Frage, a u f wel c h e Ar t nun diese Krankheit den
Pohlen von den Mongolen mitgetheilt wurde, gab zu den sonderbarsten
Fabeln Veranlassung, die wiederum beynahe alle
ihren Grund in den empörendsten Grausamkeiten dieser wilden
asiatischen Horden hatten, in deren Gefolge man ohne alle
Verwunderung epidemische und ansteckende Krankheiten aller
Art unter den unglücklichen Rus sen, P o h l e n , Un g a r n
und S i e b e n b ü r g e r n voraussetzen darf.
Der Meinung von Dugl oss, Stabel , J uch und Sprengel
zu Folge hätten die Mongol e n diese Krankheit von den
Ufern des Ganges mitgebracht, wogegen jedoch Car t h e u -
ser und viele Andere streiten. Andere, z. B. E r n t e l , sagen
wieder, dass sie unter den Mongolen durch den unmässigen
Genuss des Pferdefleisches entstanden sey: im Grunde aber
sprechen alle historischen Thatsachen und Verhältnisse dafür,
dass zwar der Weichselzopf in Pohlen erst nach dem dritten
Einfall der Mongolen entstanden sey, dass er jedoch weder
durch sie hingebracht, noch durch sie in Pohlen entwickelt
worden sey.
Nach Dr. Carl Wee s e ist es höchst wahrscheinlich,
dass die Plica erst seit dem Ende des sechzehnten Jahrr
hunderts in Pohlen bekannt, und die Provinz Po k u t i e n die
Wiege derselben ist, wo sie nach Er a smu s Sixtus zuerst
am Fusse des Bieszczad (Karpathen) an der ehemalig pohl-
*) Ueber die P l i c a p o l o n i c a , ein historisch kritischer Versuch in
R u s t ’s Magazin. 25. Bd. 2les Heft. p. 301— 349. 1827-
nisch-ungarischen Gränze in den Kreisen S amb o r und St ry
des heutigen Gallizien zu suchen ist.
In den Bemerkungen zur Abhandlung des Dr. We e s e
von A. F. C h l e d o w s k i heisst es, dass man die Entstehung
dieser Krankheit dreist bis wenigstens zum Jahr 1580 zurück
datiren könne, da schon Wo i c i e c h Oc z k o , Leibarzt Königs
St e p h a n s anno 1581 in seinem Werke über die venerische
Krankheit davon spricht. Doch scheint es Ch l e dows
ki , dass der Weichselzopf in andern Ländern, und
namentlich in Deu t s c h l a nd , viel früher bekannt gewesen
sey, als in Pohlen; — Dagegen will Dr. von Z a k r z e w s k i in
einem Czechischen Manuscripte vom Jahre 1325 schon des
Kol t ons ausdrücklich erwähnt gefunden haben *).
§• 177.
Eintheilung des Weichselzopfes.
Bevor ich zur eigentlichen Beschreibung der Krankheit
übergehe, ist es nöthig, ihre allgemeinsten Unterahtheilungen
anzuführen 5 denn es gibt zwey Arten des Weichselzopfes,
1) einen wah r e n , und
2) einen falschen.
Letzterer besteht bloss in einer ähnlichen Verwirrung
der Haare, die jedoch bloss durch Vernachlässigung, Unreinlichkeit,
und namentlich durch, lange Zeit unterlassenes Kämmen
bey Personen erscheint, welche einen starken Haarwuchs
haben. Auch geht diesem Weichselzopfe weder irgend ein
Allgemeinleiden voran, noch zeigen sich im weitern Verlaufe
so bedenkliche Symptome, wie man sie beym wahren Weichselzopfe
häufig zu beobachten pflegt; endlich liegt ihm auch
nicht jener eigenthümliche krankhafte Process in den Haarzwiebeln
selbst zum Grunde, indem sie durchaus gesund angetroffen
werden. Als eine Abart dieses falschen, zufälligen
Weichselzopfes kann man auch den sogenannten k ri t i s ch en
ansehen, der durch eine, während einer andern allgemeinen
Krankheit entstandene, und auf den Verlauf dieser letztem günstig
einwirkende, und daher wirklich b 7 kritische Ausschwitzung
*) Siehe dessen medic. liierarische Geschichte des Weichselzopfs. Wien
1830. p. 7.