
370 Von dem Weichselzopfe.
diese Thie re den falschen Weichselzopf, d. 1. eine ähnliche Verwirrung
der Haare bekommen können , deren einziger Grund In
der Unsauberkeit lie g t, ist ausser allem Zweifel,
A nme r k u n g 2. Man hat die Haare von Weichselzöpfen auch c h e
mi s c h untersucht^ aber zur grossen Verwunderung gefunden, dass
sie die nämlichen Bestandtheile wie die gesunden Haare , nu r in
geringerer Menge enthalten. Es wurde jedoch früher die klebrige
Materie von den Haaren durch feines Zerschneiden und Abwaschen
derselben getrennt. Die durchgeseihte Flüssigkeit war trübe,
k le b rig , von blass citrongelber F a rb e , verdarb, der freyen Luft
ausgesetzt, sehr schnell, roch dann ekelhaft, bildete in der Ruhe
einen klebrigen Bodensatz, wobey das Darüberstehende klar wurde,
und zeigte beym Zusatze von Galläpfeltinctur die Gegenwart e ines
thierischen Stoffes schleimiger Natur *) Nach W e d e m e y e r **)
sollen sich dennoch die chemischen Eigenschaften der Weichselzopfhaare
so v e rän d e rn , dass leztere sich durch Kochen ganz ira
Wasser auflösen.
A n m e r k u n g 3* In seltenen Fällen erscheint der (falsche) Weichselzopf
als wahre C r i s e in Nervenfiebern. E in auffallendes Bey-
spiel erzählt uns Dr. S c h m i d t ***) : E in Kind von drey Jah ren
litt am Nervenfieber so bedeutend, dass man nach dem heftigsten
H irn - u n d Nervenleiden den baldigsten Tod erwarten konnte.
D essenungeachtet wurde das Kind ohne irgend eine 'wahrzuneh-
mendc Crisis , als durch den eines, sich binnen drey Tagen voll*'
kommen entwickelnden^ Weichselzopfes gesund.
A n m e r k u n g 4. Ich hatte zweymal Gelegenheit, die Haare von W e ic h selzöpfen
microscopisch zu untersuchen. Im ersten Falle war die
K r ankheit schon im zweyten J a h re , und sollte der Weichselzopf
nach und nach abgeschnitten werden. Uebrigens war der Grad
des Uebels ein massiger. Im zweyten konnte ich nu r von dem
schon längst abgeschnittenen, aberbeynahe lh Schuh hohen Haarth
u rm einige Stücke bekommen. Die sorgfältigste Vergleichung der
noch nich t von der Verwirrung befallenen mit den bereits tri-
chomatösen , und durch eine schmierige Masse ganz verklebten
Haare b o t, wenn letztere Masse abgerechnet oder entfernt wurde,
gar keinen wesentlichen Unterschied in Bezug auf die äussere
Form sowohl, als auch auf die innere Textur dar.
*) R i c h t e r a. a. O. p. 403, nach V a u q u e l i n und A l i b e r t (I. c.
p. 46) «nd Ga s e .
**) Commentatio historiam pathologicam pilorum corp. humam sislens.
Göttingae 1812. 4. p. 31.
***) In H u f e l a n d ’s Journ a l 1828. Sept. p. 132.
Abnorm organische Bewegung der Haare. 371
J [ . Von der abnormen organischen Bewegung
der Haare.
§. 192.
Bey den vierfüssigen Thieren, bey welchen ohnehin das
Haarsystera auf die höchste Stufe der Vollendung gebracht ist,
haben wir gesehen, dass sich alle nahmhaften, vorzüglich aber
alle bösartigen fieberhaften Krankheiten mehr oder weniger in
der Sphäre der Bewegung ihrer Haare nachzuweisen pflegen.
(§• iOÖ) Nicht so ist es beym Menschen, denn alles, was sich
überhaupt über wahrnehmbare Bewegung seiner Haare sagen
lässt, läuft ungefähr auf die oft bestätigte Beobachtung hinaus,
dass sich bey gewissen Menschen und in bestimmten Zuständen
die Haare fast auf eine ähnliche Art sträuben und aufrichten,
wie bey den Thieren. Gewöhnlich sind diese Menschen
entweder sehr reitzbaren Temperaments, und dann ist
dieses Haarsträuben nur vorübergehend, etwa so lange dauernd,
als die augenblickliche Aufregung ihres Gemüths wirkt; oder
aber sie sind von Krankheiten befallen, die besonders das
Muskelsystem zu heftigen Zusammenziehungen anregen, und
dadurch per co-nsensum. das Zellgewebe der Haut, und wo
sie da sind, auch die Hautmuskeln krampfhaft ergreifen.
Hierher sind jene schon früher (p. 224) angeführten Fälle zu
rechnen, in welchen sich die Haare während eines Anfalls von
Kopfgicht so kräuselten und verwirrten, dass kein Kamm sie
entwickeln konnte; oder wo nach einem überstandenen Anfalle
von periodischem Kopfweh, am andern Morgen die
Haare viel starrer als gewöhnlich, und daher schwerer auszukämmen
waren.
Ueberhaupt ist es keine so seltene Erscheinung, dass
sich die Haare während eines Anfalls von nervösem Kopfweh
entweder aufrichten oder verwirren, und kräuseln. Etwas
Aehnliches hat man auch bey andern, namentlich krampfhaften
Krankheiten der Weiber bemerkt.
So ist in R u st’s Magazin *) der Fall eines 19jährigen
Mädchens angeführt, bey welcher zur Zeit der Menstruation
in jeder Zahnreihe der vierte Backenzahn mit Krampfzufällen
*) XVI. Bd. 2 St. p. 349.