
3) Ein schöner, starker Haarwuchs wurde zwar oben mit
Recht als ein Zeichen einer guten Gesundheit angesehen,
doch muss man sich wohl in Acht nehmen, aus den dürftigen
Haaren geradezu auf das Gegentheil zu schliessen.
Etwas Aehnliches finden wir auch in verschiedenen krankhaften
Zuständen, so dass sich die Beobachtungen hierin
beynahe zu widersprechen scheinen. Es wird sich nämlich
Niemand wundern, wenn in Folge langwieriger, oder
auch schnell verlaufender, aber heftig einwirkender Krankheiten
die Haare nach und nach absterben und ausfallen;
dagegen wird es Manchen auffallen, dass in andern Fällen,
wo der Körper durch langdauernde Gachexien und
Atrophien endlich seiner Auflösung entgegengeht, gerade
die Haare nicht allein an der allgemeinen Abmagerung und
Entkräftung keinen Antheil nehmen; sondern sogar auf
Kosten der übrigen Vegetation nur um so üppiger wachsen
, wie man diess namentlich in der Lungensucht beobachten
kann. Ich erkläre mir diess daher, dass in solchen
Fällen der Organismns nicht mehr imStande ist, sich in
seinen edlem Theilen zweckgemäss zu reproduciren, und
daher die ganze Kraft seiner Vegetation auf die Erzeugung
der niedern Gebilde — der Haare, Nägel, des Schleims u.
s. w. verwendet, die also wirklich auf Kosten der höhern
Organe übermässig gedeihen. — Bey der Lungensucht lässt
sich das ungewöhnlich schnelle Wachsen der Haare wohl
zum Theil auch davon herleiten, dass hier die Haut die
Verrichtung der Lunge vicariirt, und dass in ihr, so wie
hey fieberhaften Krankheiten, die excrementitiellen Stoffe
an Menge zunehmen.
4) Ich habe schon früher angeführt, dass die Haare mit den
Seelenkräften, der Gemüthsart, dann mit den Geschlechts-
theilen und der Menstruation in besonderer Verbindung stehen.
In pathologischer Hinsicht ist es interessant, dass man
unter den Wa h n s i n n i g e n sehr selten gelbe oder rothe
Haare findet, und dass erstere um so leichter wüthend werden,
je schwärzer ihre Haare sind. Was dieMenst ruat ion
betrifft, so wissen wir, dass sich Störungen und Unordnungen
derselben häufig durch üppigeres Hervorsprossen
der Barthaare ankündigen, und der verständige Arzt wird
daher, wenn er eiue solche bärtige Frauensperson in seine
Behandlung bekommt, sogleich sein Augenmerk auf die
Menstruation richten. Umgekehrt kann sich der Fall ereignen,
dass wenn einem Weibe die Haare abgeschoren werden
, sich plötzlich eine profuse Blutausleerung auf dem
Wege der Menstruation einstellt, die denn der Arzt nach
diesem Gesichtspunkte gehörig zu würdigen wissen wird.
Endlich ist es wohl in practischer Beziehung keine unwichtige
Bemerkung, dass schwarzhaarige Weiber in der Regel
stärker menstruirt sind, als andere.
5) In der Physiognomik habe ich von dem Schluss aus
der Beschaffenheit der Haare auf den dynamischen Zustand
des Körpers geschrieben, und gesagt, dass dicke
und starke Haare für ein Zeichen von Kraft angesehen
werden können. Daraus ergibt sich nun für die Pathologie
die weitere Folgerung, dass Menschen mit einem
starken Haarwuchs in der Regel kräftiger und stärker,
und daher zu Krankheiten überhaupt weniger geneigt
sind, als schwach- oder dünnbehaarte. Da wir ferner sehen
werden, dass alles, was den Körper schwächt, und
namentlich, was ihm seine edelsten Säfte entzieht, oder
die geistige Kraft unmittelbar durch zu starke Anstrengung
herabsetzt, auch nachtheilig auf das Wachsthum
der Haare ein wirkt, ja sie nicht selten ganz tödtet, und
ihren Verlust auf immer herbeyführt; so findet hierin der
umgekehrte Schluss, vom Mangel oder dem Ausfallen
der Haare auf vorhergegangenen Verlust edler Säfte, oder
auf zu starke Anstrengung des Geistes einigermassen seine
Rechtfertigung. Jedoch möchte ich nichts desto weniger
Jedem hierin die nöthige Behutsamkeit anrathen, indem
ich schon mehrere Male die gröbsten Fehlschlüsse diess-
falls machen sah. Man halte es daher nicht immer für
eine- ganz ausgemachte Sache, dass ein früher und starker
Bart auf häufigen Samenverlust, und somit wieder
auf Onanie hindeute, oder dass eine frühzeitig entstehende
Glatze und vorschnelles Grauwerden der Haare ein
Zeichen von vorausgegangener Onanie, oder überhaupt
von Ausschweifungen in dem Genuss der Liebe sey. Denn
wenn diess gleich in vielen, ja vielleicht in den meisten
Fällen Statt finden mag ; so sind einerseits der Ausnahmen
doch so viele, und andrerseits der Gegenstand in
Bezug auf den moralischen Charakter von so hoher Wichtigkeit,
dass man, wenn die Sache nicht factisch erwiesen