
2) Aus einer häutigen, innern Scheide, die die Wurzel des
Haars unmittelbar von der Oberfläche der Haut bis zum
Grunde der Kapsel, an deren zwey Enden sie befestiget
is t, umgibt, und die von mehrern concentrischen Lagen
gebildet wird, wovon die innerste weisslicht, die zweyte
bräunlich, und die äusserste roth und fleischig ist.
3) Aus einem kleinen, conischen, röthlichen Körper, der
sich vom Grunde der Kapsel erhebt, gelatinös und fleischig
scheint, hinlänglich roth ist, wenn die Haare weiss,
aber rothbraun, wenn sie schwarz sind, und der sich in
die Wurzel oder den Anfang des Haars endigt. —
Den Angaben dieser zwey Autoren huldigten beynahe alle
ihre Nachfolger, und daher finden wir denn diese Crambe cen-
ties cocia fast in allen anatomischen Handbüchern der letzten
zwey Jahrhunderte, nur mit mehr oder weniger, aber immer
sehr unbedeutenden Abweichungen wieder. Ganz klein ist die
Anzahl derjenigen Männer, die selbst Hand ans Werk legend,
nur das niederschrieben, wovon sie durch ihre Sinne überzeugt
wurden. — Selbst der grosse May er *) unterscheidet
an der Zwiebel nach Ch i r a c ’s Vorgänge ein Irwolucrum ten-
dineum et glandulosum, und unbegreiflich ist es mir, wie sich
sogar unser berühmter Meckel**) verleiten liess, den alten
Irrthum in sein sonst so vortreffliches Werk aufzunehmen,
Wenn solche Männer ohne Ueberzeugung über einen Gegenstand
das wieder schreiben, was sie von der leichtgläubigen
Vorzeit übernommen haben, was können wir von jenen armen
Nachzüglern erwarten, von denen die anatomische Welt wimmelt?
Daher wie gesagt, dieselbe Lehre von den Haaren in
beynahe allen Werken der letzten Jahrhunderte!
Bichat***), dieser unsterbliche Mann, schämte sich nicht
zu bekennen, dass er nicht so glücklich gewesen sey, diese
verschiedenen Häute an der Zwiebel wahrzunehmen, und
dass ihm die mittlere Substanz derselben das sogenannte Mark
in Bezug auf seine innere Natur gänzlich unbekannt sey, endlich
dass man sich hierüber nur Wahrscheinlichkeiten und Vermuthungen
erlauben dürfe. — Sein Nachfolger B e c 1 a r d ****)
*) Beschreibung des menschlichen Körpers 1. B. S. 192.
*) Handbuch der menschlichen Anatomie. 1. Bd. p. 596.
***) Anatomie generale, tom. 4.
****) Uebersicht der neuern Entdeckungen in der Anat. und Physiolog. A.
d. F r. v. Cerutti. Leipzig 1823- p. 327.
klärt uns jene wunderbaren Angaben dadurch auf, dass er geradezu
sagt: „Chi rac und Ga u l t i e r hätten die Zwiebel,
weil sie beym Menschen so wenig sichtbar ist, nach der Beschaffenheit
der Barthaare gewisser Thiere, wo sie grösser,
und ihre Structur deutlicher ist, beschrieben.“ Uebrigens sucht
auch er, und gewiss zu unbeschränkt, die Textur der Thierhaare
auf die menschlichen zu übertragen, obgleich er ebenfalls
bekennt, dass die innere Ordnung ihrer Substanz schwer
anzugeben sey. Weil aber die Haarbälge und Zwiebeln auch
bey den Thieren, wie wir gesehen haben, nicht ganz gleich
gebildet sind, so sind auch die Beschreibungen, mit denen
uns so viele Naturforscher in Bezug auf die Menschenhaare,
beschenkten, eben so verschieden ausgefallen, je nachdem die
Beobachter die eine oder die andere Thierart untersucht hatten.
— Es freute mich daher recht innig, in dem schon oft
angeführten Werk von Heus i nger dieselbe Klage zu finden:
dass er nämlich mit keinem seiner Vorgänger in der Beschreibung
des Gewebes der Haare übereinstimme; und wohl ganz
mit Recht verweist er die Naturforscher zu treuen Beobachtungen,
die sie dann überzeugen werden, dass das Meiste, was
seit jenen Zeiten über die innere Structur der Menschenhaare
geschrieben worden, ins Reich der Fabeln gehöre. —
Die gewagtesten Behauptungen hat sicher Witho f * ) in
seinen so berühmt gewordenen zwey Dissertationen über das
menschliche Haar ausgesprochen; und unter seinen vielen
Nachbethern schliesst Dr. Jahn**) in seiner Toiletten-Lec-
türe für Herrn und Damen die würdige Reihe auf eine Art,
dass man wirklich staunen muss, wie weit es mancher Arzt
bringen kann! Denn während Bi chat , B e c l a r d , Heusinger
und auch ich trotz aller erdenklichen Mühe kaum die
zweyerley Substanzen an den Zwiebeln der menschlichen
Haare nachzuweisen im Stande sind, schabt, sticht und schneidet
dieser ausserordentliche Mann an einem, oft kaum bemerkbaren
punktgrossen Knötchen , nämlich der Zwiebel herum,
gerade als wenn er eine ächte Pflanzenzwiebel in den
Händen hätte. Wir Anatomen sind froh, wenn es uns gelingt,
*J J . H. Lam, W i t h o f Diss, I. (resp. H. A. H a r t we c k) de pilo
hurnano. Duisburg. 1750. 4. — Ejusdem Diss. II. (resp. T. R u y s)
de pilo human, ib. 1752. 4.
**) A. a. O.