Wie aus der obigen Übersicht ersichtlich, ist außer einer Conchostraken-Gattung die Morpho-
chalicose den Ostracoden, Cirrhipedien und den meisten Ordnungen der Malakostraken (Cumacea,
Tanaidacea, Isopoda, Amphipoda, Decapoda) eigen. Das treibende Agens der Vervollkommnung
aus der Amorphochalicose hinaus war offenbar auch hier das Bedürfnis des ausgiebigeren Schutzes
und die Erhöhung der Beweglichkeit, also im allgemeinen die Erhöhung der Skelettfestigkeit. Die
O s tr a c o d e n mit ihrem starken Schließmuskel brauchen zur Anheftung desselben eine feste Unter-
lage1), außerdem muß die Innenfläche der Schale, welche als Atmungsorgan fungiert, naturgemäß
stark geschützt werden. Vielleicht sind dies die Ursachen, daß die schlammbewohnenden benthoni-
schen Ostracoden nicht, wie die schlammbewohnenden Malakostraken, ihre Morphochalicose einbüßten.
Die Ostracoden haben in ihrem Organismus übrigens so viele sekundäre Merkmale, daß
wir sie als eine spezialisierte Ordnung betrachten können. Daß die C ir rh ip e d ie n infolge ihrer ganz
speziellen, sessilen Lebensweise eine besonders spezialisierte Ordnung darstellen und daß sie gerade
einen erhöhten Schutz durch besonders starke Kalkplatten beanspruchen, braucht nicht besonders
nachdrücklich hervorgehoben werden. Die M a la k o s tr a k e n sind in dieser Gruppe mit der Mehrzahl
ihrer untersuchten Formen vertreten, so daß wir sagen können, daß die Morphochalicose für die
freilebenden, nicht an spezielle Lebensbedingungen angepaßten Malakostraken charakteristisch ist.
Biologisch betrachtet sind diese Formen kriechende oder schwimmende Tiere, welche auf dem Wassergrund,
an Algenrasen, unter Wasserpflanzen, am Land etc. leben, aber keineswegs ökologisch und
morphologisch speziell angepaßt sind.
Die Spezialisation der Lebensweise, die speziellen Anpassungen führen die Panzerbildung über
die acmische Morphochalicose in das p a r a cm is c h e S ta d ium . Wie H a e c k e l sagt, besteht die
paracmische „Degeneration“ in einer Beschränkung und Verminderung des physiologischen und infolgedessen
auch des morphologischen Bestandes und Vermögens der Arten und Stämme, bezw.
Organe. Die biologischen Ursachen, welche diesen paracmischen Prozeß einleiten, sind zweierlei.
Erstens d ie H e r a b s e tz u n g o d e r d ie v o lls tä n d ig e A u fg a b e d e r F u n k t io n d e s P a n z e r s
a l s S c h u tz o rg a n infolge ökologischer Eigenschaften der Tiere. Tiere, welche im Sand oder Schlamm
wühlen, welche in selbstgefertigten Tuben oder selbstgegrabenen Böhren oder in Schneckenschalen
hausen, welche in unterirdischen Gewässern leben, welche mime tisch geschützt sind und welche als
Endoparasiten in Hohlräumen des Körpers des Wirtes verborgen sind, haben sehr wenig Feinde,
sind wenig Angriffen und Gefahren ausgesetzt, infolgedessen wird ein kristallinischer Mosaikpanzer,
als vollkommenes Schutzorgan, für sie mehr oder minder überflüssig; also, der Mosaikpanzer wird
reduziert und abgebaut. Anderseits ist bei der planktischen Lebensweise, bei Nektontieren und bei
einer springenden Fortbewegung d ie V e rm in d e ru n g d e s s p e z if is c h e n G ew ic h te s für die
Tiere zweckmäßig, was ebenfalls durch den Abbau des Panzers erreicht werden kann.
In dem Organismus wird der Abbau des Panzers q u a n t i t a t i v und q u a l i t a t i v durchgeführt.
Quantitativ, indem die Dicke und die Ausdehnung der Inkrustation verringert wird — es handelt sich
also um eine B e d u k tio n ; qualitativ, indem der kristallinische Kalk durch amorphen abgelöst wird
und endlich jegliche Inkrustation aus dem Körper verschwindet -B w ir können also von einer E n t d
if f e r e n z ie r u n g und E lim in a t io n sprechen.
Obgleich wir es hier mit einer „Degeneration“ oder einer „regressiven Entwicklung“, einer
„Bückbildung“ zu tu n haben, bedeutet dieser paracmische Prozeß für den Gesamtorganismus eine
*) Außer dem Schließmuskel heften sich die Muskeln der Leibeswand, der Furea, manchmal sogar die Muskeln der Antennen
und der Mandibel, der Schale an.
Vervollkommnung in physiologischer Hinsicht, weil die Abnahme der morphologischen Kompliziertheit
eine Anpassung an die neuen Lebensverhältnisse darstellt und als solche für die Art wie für das
Individuum zweckmäßig und nützlich ist.
Der erste Schritt in der Bichtung der Paracme ist die v o r h e r r s c h e n d e A m o rp h o c h a lic o s e ,
welche dem Chitinskelett noch genügende Festigkeit verleiht, doch das Gewicht bedeutend verringert.
Durch diesen Zustand wird den Festigkeitsansprüchen der Cuticula bei wühlenden Bodentieren,
mimetischen Tieren etc. Genüge geleistet und es scheint, daß die Amorphochalicose auch für die
springenden Landtiere, für die nektonischen Decapoden, sogar für manche Plankter eine ausreichende
Verminderung des spezifischen Gewichtes bedeutet. Eine partielle Morphochalicose kann sich neben
der vorherrschenden Amorphochalicose noch erhalten, worüber unten noch die Bede sein wird.
Durch die Stufen
vorherrschende Achalicodermie -j- part. Amorphochalicose -f- part. Morphochalicose,
vorherrschende Achalicodermie -j- part. Morphochalicose,
vorherrschende Achalicodermie + part. Amorphochalicose,
vorherrschende Achalicodermie + kaum nachweisbare Amorphochalicose,
gelangen wir zu dem Endstadium des paracmischen Prozesses, zu der vollständigen s e k u n d ä r e n
A c h a lic o d e rm ie , welche d ie P a r a cm e d e r P a n z e r b ild u n g b e d e u te t. Die Beispiele für
diesen Prozeß sind oben aufgeführt und in dem speziellen Teil auch einzeln besprochen, so daß ich
hier keine Beweise für die Spezialisiertheit, abgeleitete Natur dieser Formen aufzuführen brauche.
Nur so viel soll nochmals erwähnt werden, daß extremer Parasitismus, tubicole und conchiocole
Lebensweise, sowie das planktische Leben die ökologischen Ursachen der sekundären Achalicodermie
sind. Hier führen also die vollständige Aufgabe der schützenden Funktion des Panzers und die
Tendenz zur Verminderung des spezifischen Gewichtes zu der vollkommenen Elimination jeglicher
Kalkeinlagerungen.
Die partielle Morphochalicose, welche hier und da noch neben der vorherrschenden Amorphochalicose
oder Achalicodermie i n . den Greifbeinen, Klammerorganen, Sprungbeinen, Segmenträndern
etc. beibehalten wird, verdankt ihr Bestehen dem stetigen funktionellen Beiz, der
mechanischen Inanspruchnahme, dem ständigen Gebrauch, welche als Erhaltungsfaktoren gegen die
Entdifferenzierung wirken, wodurch der Mosaikpanzer dieser Stellen nicht in die allgemeine Bückbildung
des Panzers miteinbezogen wird. Phylogenetisch müssen wir hier von a cm is c h e r E p i-
s t a s i s sprechen. Als Beispiele seien Ceratothoa-, Emetha-, Bopyrus-, Phrosina-, Urothoe- und
Caprella-Typ aufgeführt.
Als ein allgemein bekanntes Beispiel der sekundären Achalicodermie sei der Hinterleib der Einsiedlerkrebse
erwähnt. Besonders hervorzuheben sind noch die Erscheinungen bei den Ceratothoa-,
Emetha- und Bopyrus-Typen, bei welchen die Bückbildung des Panzers von dem acmischen Zustand
bis zu einem fast vollständigen oder völligem Schwund w ä h r e n d d e r O n to g e n e s e sich gut verfolgen
läßt, so daß man bis zum gewissen Grade von einer P a lin g e n e s e zu sprechen berechtigt ist.
An den betreffenden Stellen ist diese interessante Erscheinung eingehend auseinandergesetzt.
Es sei noch daran erinnert, daß wir Fälle kennen, daß ein während der Phylogenese achalicoderm
gewordener Körperteil infolge der Änderung der Lebensweise wieder eine Inkrustation erhielt. Ich
denke an gewisse Pagurideen, wie Birgus L e a c h und die Lithodiden, welche von Formen mit asymmetrischem,
sekundär achalicodermem Hinterleib abstammen, aber frei leben; ihr Hinterleib ist