Diese Umbildungen des Panzers stelle ich mir folgendermaßen vor. Die Jungtiere verlassen das
mütterliche Marsupium, wie bei Ceratothoa, mit Mosaikpanzer (vorherrschende Morphochalicose).
Sie leben gewisse Zeitlang frei schwimmend, um sich später als unreife Männchen an einem Fische
anzuklammern und in die Mundhöhle einzuwandern. Sobald sie mit einer Häutung die männliche
Geschlechtsreife erreichen, werfen sie mit der letzten larvalen Hau t den Mosaikpanzer ab und die
neue Cuticula wird vorwiegend nur mit amorphem Kalk inkrustiert (vorherrschende Amorphochali-
cose). Nach dem Ablauf ihrer männlichen Lebensperiode, wenn die Yasa deferentia verschlossen
werden, das Schwinden der Penes beginnt und die Ovarien sich vergrößern, oder aber erst später,
wenn die Hoden schon rückgebildet, die Ovidukte geöffnet und die weibliche Geschlechtsreife erreicht
ist, werfen sie bei einer Häutung auch den amorphkalkigen Panzer ab und die neue Cuticula wird vorwiegend
kalkfrei bleiben (vorherrschende Achalicodermie).
J e tz t tauchen aber einige interessante Fragen auf. Was beeinflußt in dem Organismus den
Inkrustationsprozeß so, daß das sich ausscheidende Calciumcarbonat mit der erreichten männlichen
Geschlechtsreife vorwiegend amorph bleibt, und wie wird der Mineralstoffwechsel des Organismus
so reguliert, daß die Cuticula bei erreichter weiblicher Geschlechtsreife vorwiegend kalkfrei bleibt?
Anderseits, welche Momente bestimmen, daß einige Stellen ihre Morphochalicose auch bei vorherrschender
Amorphochalicose und Achalicodermie bewahren und auf welchen Wegen wird dies erreicht?
Leider sind wir bezüglich dieser Fragen vorläufig nur auf Vermutungen angewiesen. Die herrschende
Amorphochalicose des Männchens und die Achalicodermie sind aus Zweckmäßigkeitsgründen1)
verständlich. Das herumkrabbelnde Männchen braucht noch für sein Muskelsystem ein steifes, hartes
Hautskelett, welches aber wegen des geschützten, verborgenen Aufenthaltsortes nicht so h a rt zu sein
braucht, wie bei den freischwimmenden Larven. Die Cuticula wird also inkrustiert, jedoch mit dem
weniger harten amorphen Kalk, welcher gleichzeitig auch spezifisch leichter ist als der kristallinische,
ein Umstand, welcher bei einem schwerfälligen Tier ebenfalls in Betracht kommen kann. Das Weibchen
sitzt bewegungslos, an einer Stelle angeheftet, in dem Mund des Wirtes*, außer der fächelnden
Tätigkeit der Pleopoden führt es sozusagen keine Bewegungen aus. Es braucht also einerseits kein
hartes Hautskelett; anderseits aber müssen seine Segmente, sein ganzes Hautskelett eine größere
Dehnbarkeit haben. Es h a t also den Panzer hochgradig rückgebildet2).
Wie wird aber die Amorphochalicose bezw. die Achalicodermie kausal bedingt? Hier müssen
sich biochemische Momente geltend machen. Entweder bleibt der Faktor, welcher in dem larvalen
Leben die Kristallisation begünstigte (ein „agent mineralisateur“ ), aus, oder aber er wird durch
einen kristallisationshemmenden F aktor paralysiert oder mindestens stark unterdrückt. Leider wissen
wir über den Stoffwechsel dieser Tiere so gut wie gar nichts und über die Veränderungen des Stoffwechsels
in den Zeitpunkten des E intritts der männlichen Geschlechtsreife und bei dem Umschlag
in das weibliche wirklich gar nichts. In ultima analysi muß es doch irgendwie so sein, daß die in-
kretorische Tätigkeit der Geschlechtsdrüsen den Chemismus des Organismus in dieser Richtung
beeinflußt. Dafür spricht der Umstand, daß die Erscheinungen durch das Geschlecht determiniert sind.
Wir müssen aber hervorheben, daß die sekundären Geschlechtsmerkmale bei den Arthropoden im
allgemeinen nur in Kombination und nicht in Relation mit den Geschlechtsdrüsen stehen, ein Umstand,
welcher für die oben vermutete hormonale Erklärung gar nicht günstig ist.
*) Im Sinne der „Dauerfähigkeit“ von Roux.
*) E g g e b t: „Beitrag zur Rückbildung der Augen bei der Isopoden-Familie Cymothoa.“ (Zool. Anz. LXXIII. 1927. p. 33—41)
beschreibt die Rückbildung der Augen während der Ontogenese.
Neben der herrschenden Amorphochalicose des Männchens und neben der herrschenden Achalicodermie
des Weibchens beobachtet man an gewissen Stellen des Körpers die Bewahrung der
Morphochalicose. Meist sind diese Stellen einem Zug ausgesetzt und fungieren auch als Ansatzstellen
von Muskeln (Segmentränder) oder aber sind, statisch-mechanisch stark in Anspruch genommen,
einem Druck ausgesetzt (Klammerorgane, Greifbeine: Dactylopodit und Propodit), also im allgemeinen
mechanisch besonders in Anspruch genommene Glieder und Körperstellen. Und gerade in diesem
Umstand sehe ich die Ursache, warum diese Stellen ihre Morphochalicose bewahrten. Um gegen
Zug und Druck größeren Widerstand leisten zu können, ist ein festeres, härteres Material, ein vektorielles
Material notwendig, was hier nur durch das kristallinische Calciumcarbonat geboten sein kann.
Die mechanische Inanspruchnahme, der ständige Gebrauch wirkte als ein funktioneller Reiz und deshalb
wurden diese Stellen in die Rückbildung des Panzers nicht mit einbezogen. Die mechanische
Inanspruchnahme ist also gewissermaßen als ein Erhaltungsprinzip für den Mosaikpanzer zu betrachten
und die Panzerreste stellen funktionelle Anpassungen im Sinne von Roux dar.
Endlich leuchtet es ohne weiteres ein, daß diese Amorphochalicose bezw. Achalicodermie nicht
mit etwa der Amorphochalicose eines Asellus bezw. mit der Achalicodermie eines Branchipus gleichgesetzt
werden kann. Aus dem Vergleich m it den schön gepanzerten Verwandten (Cirolana-, Cymothoa-
Typ) und mit den Larvenstadien geht klar hervor, daß wir hier mit abgeleiteten, sekundären Zuständen,
hervorgebracht durch parasitische Lebensweise, zu tu n haben. Es ist also erlaubt, zwischen
p r im ä r e r Achalicodermie bezw. Amorphochalicose (bei primitiven freilebenden Gruppen) und
s e k u n d ä r e r Amorphochalicose und Achalicodermie (bei höheren, spezialisierten Formen) zu unterscheiden,
wie dies bei den Ostracoden angedeutet wurde.
Die Panzerung der larvalen Stadien ist ein Hinweis darauf, daß diese Tiere von solchen Vorfahren
abstammten, welche noch einen schönen Mosaikpanzer gehabt haben. In der Familie der
Cymothoiden ist die Tendenz des zunehmenden Parasitismus unverkennbar. Der Parasitismus prägt
sich in der aufsteigenden Reihe der Unterfamilien immer mehr aus. Die Cirolaninen sind noch frei-
lebende Räuber mit kauenden Mundgliedmaßen. Dann begegnet man Blutsaugern, temporären
Ektoparasiten und endlich Formen, welche als Erwachsene konstante Endoparasiten sind und bei
welchen die Mundgliedmaßen sich zum Saugen umgestalteten. Diese weisen auch schon einige andere
Merkmale der Parasiten auf, z. B. starke Entwicklung der Klammerorgane, Entstellung der Körperform,
übergroße Eierproduktion usw. Unzweifelhaft ist auch die fortschreitende Rückbildung des
Mosaikpanzers und sogar die der allgemeinen Inkrustation eine Folge des Parasitismus, welche bei
den endoparasitischen Formen auftritt. Es ist interessant, daß ein Parallelismus zwischen den Typen
und den Ontostadien von Emetha feststellbar ist:
Cymothoa-Typ >- Ceratothoa-Typ jh Emetha-Typ (?)
Morphochalicose Amorphochalicose Achalicodermie
vorherrschend und Achalicodermie vorherrschend
in Gleichgewicht
(Emetha- Jungtiere) --------- >- Emetha-$ —y Emetha- $
Weitere Studien müssen zeigen, ob ich mit Recht in den ontogenetischen Veränderungen der
Kalkverhältnisse von Emetha eine palingenetische Wiederholung des Reduktionsprozesses des Panzers
während der Phylogenese vermute. Die Ursache der Veränderungen ist bei beiden Genesen die gleiche,
die Änderung der Lebensweise, d. h. der Übergang von der freien Lebensweise zu dem Endopara-
sitismus.