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150 Buch VI. Kap. 3. §. 20.
des zu verstehen sei, sprach ich schon früher, wo ich von Andreas
handelte, aus; hier will ich sie begründen.
Unverkennbar bezieht sich die galenische Glosse auf eine Stelle
in der hippokratischen Schrift von den Weiberkrankheiten gegen
das Ende des zweiten und letzten Buchs'). Dort wird ein Mittel
unter dem Namen Indikon empfohlen, mit der Bemerkung: „was
die Perser Pfef fer nennen; und daran ist etwas Rundes {oTQoyyvknv),
was man Myr t idanon nennt." Die Bemerkung hat das
Ansehen einer Glosse, scheint aber sehr alt zu sein, vielleicht eingeschoben,
als die Griechen den ächten indischen Pfeffer, vielleicht
über Persien, kennen lernten. Auf sie scheint sich schon die galenische
Glosse nebst einer andern, die ich gleich anführen werde,
mit zu beziehen. Eben so die Bemerkung des Plinius^), dass
sich die Alten, ehe sie den Pfeffer kannten, statt dessen der Myrtenbeeren
bedient hätten. Darin scheint aber ein Missverständniss
des Worts Myrtidanon zu liegen; denn nach Dioskorides^) bedeutete
Myrtidanon nicht die Myrtenbeere, sondern einen unregelmässigen
angeschwollenen gleichfarbigen Auswuchs der Myrte, der
den Stamm wie eine Hand umfasst, also vermuthlich Myrtenmasern.
Auch Galenos widmete dem Myr t idanon einen besondern
Artikel*). „Die Meisten, sagt er, halten es für Pfeffer." Nachdem
er dann die abweichende Meinung des Dioskorides angeführt,
setzt er noch hinzu: „Hippokrates nennt so die Frucht der Pflanze,
von der er sagt, dass Einige sie Pfeffer nennen."
Jetzt erst wird, was Galenos vom Indikon sagt, verständlich
sein. Die vollständige, stark lakonisch zusammengeschnürte Gedankenreihe
entwickelt sich nun so. Das hippokratische Indikon,
was Einige, das heisst die Perser, Pfeffer nennen sollten, war
zweifelhaft geworden. Als man den Ingwer kennen lernte, meinte
man in ihm das Indikon wieder zu finden. Diese Meinung theilte
der Al exandr ine r Dioskurides nebst mehrern Schriftstellern
1) Hippoer at. oper. II, pag. 870 edit. Kühn
2) Plin. hist. nat. XV, cap. 29, sect. 35.
3) Dioscorid, cap. 156.
4) Gnleni gloss, ed. Franzii pag. 528.
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über die Nomenclatur der Arzneimittel, verleitet durch ihre nicht
genannten Vorgänger, die noch weiter gegangen waren, indem sie
den Ingwer zugleich für die Wurzel der Pflanze hielten, deren
Frucht man zu ihrer Zeit unter dem Namen Pfeffer kennen gelernt
hatte. Ob sie zugleich das hippokratische Myrtidanon gradezu
für die Pfefferfrucht, also für die Frucht der Ingwerwurzel
hielten, bleibt zweifelhaft, ist aber wahrscheinlich. Ihnen, nicht
dem Alexandr i n er Di o skur ides und den übrigen genannten
Schriftstellern, widersprach Dioskorides Anazarbeus, und behauptete,
wie wir noch heute bei ihm^) lesen, dass die Pfefferkörner
und der Ingwer von zwei ganz verschiedenen Pflanzen abstammten,
jene von einer indischen, dieser von einer Pflanze der
Küsten des rothen Meers (wo wirklich auch Ingwer wächst). Deshalb
erklärte der jünge r e Dioskurides der Glossograph das
Indikon nicht mehr, wie jene Alten, für die Pfefferpflanze selbst,
sondern für eine ihr ähnliche, nämlich den Ingwer; das Myrtidanon
nicht mehr für Pfefferkörner, sondern — und hier wich er
von dem Anazarbeer ab, — für die Frucht des Indikon oder des
Ingwers.
Hat nun der Alexandriner Dioskurides das mindeste
gesagt, was den Aussagen des jünger n Dioskurides entgegenstände?
Nein! Unter beiden kann Galenos dieselbe Person verstanden
haben, denn die Aussagen beider ergänzen sich zwar, widersprechen
sich aber nicht. Und wenn das so sein kann, so
mus s es auch nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit so sein,
und zwar aus drei gewichtigen Gründen.
1. Nach Erotianos^) gehörte Dioskurides Phakas zu den
Auslegern des Hippokrates, und musste nothwendig viel Eigenthümliches
haben, da Erotianos sagt, er hätte all seinen Vorgängern
widersprochen. Demungeachtet findet sich in des Galenos
Coramentaren über hippokratische Schriften, wie auch in seinen
1) Dioscorid. II, cap, 189 ad ßnem.
2) Erotian. ed. Frannzü pag. 9. Dass da 'Paxa statt 'Pcoxa zu lesen ist,
•wie pag. 382 richtig steht, leidet keinen Zweifel.
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