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94 B u c h V l . §.10.
der folgenden Periode mit Galenos, mit dem wir das folgende
Buch beginnen wollen. Aber Ein Zweig der Medicin, die Arzn
e i m i t t e l l e h r e , oder genauer Ein Nebenzweig dieses Zweiges,
die speciel l e Kenntniss der Hei lpf lanzen, ward schon in
dieser Periode durch Dioskorides Anazarbeus zu einer Höhe
ausgebildet, die man lange Jahrhunderte hindurch für unübertrefflich
hielt. Was einer späteren Zeit Linne's Systema naturae ward,
das war für jene Zeit die Arzneimittellehre des Dioskorides; nur
mit dem Unterschiede, dass man auf Linne's Werk fortzubauen
nicht lange säumte, auf dem des Dioskorides wie auf einem Ruhekissen
schlummerte.
Unmittelbar an Dioskorides schliesst sich sowohl der Zeit
nach, wie auch nach seiner Bedeutung für specielle Naturkunde,
der ältere Plinius. Gradezu vergleichen lassen sich die Werke
beider nicht, das erste, nur Arzneimi t tel lehre, und zwar das
Werk eines vielgereisten Arztes, der grade für dieses beschränkte
Fach von Jugend auf besondere Neigung gehegt, und ihm seine
volle Kraft gewidmet hatte; das andere, eine Enkyklopädi e aller
Natur- und Kunstkenntniss seiner Zeit, zusammengearbeitet
aus unzähligen Excerpten von einem Manne, der ausserdem auch
über Geschichte Sprache Beredtsamkeit und anderes geschrieben
hatte, und obendrein noch Hof- und Geschäftsmann, das heisst
ein Rechtskundiger, ja zuletzt sogar Admiral einer Flotte war.
Ein Werk solcher Art und solches Umfanges konnte leicht an
Pflanzen reicher, an Beobachtungen musste es bei weitem ärmer
ausfallen als das des Dioskorides. Auch einige Bruchstücke physiologischer
und philosophischer Betrachtung der Pflanzennatur
konnten darin nicht fehlen, sind jedoch, gleichsam zufällig als Zuthat
zu anderen Nachrichten, fast lediglich aus Aristoteles und
Theophrastos geschöpft, ein Beweis, dass ihre Bahn von niemandem
nach ihnen bis auf Plinius verfolgt worden.
Des Plinius Werk ist die erste E n k y k l o p ädie, auf die wir
stossen; denn von der vermeinten des Cornelius Celsus hat uns
ja Kissel glücklich befreit. Weiterhin werden wir öfter ähnliche
Werke antreffen, Sammlungen von Bruchstücken aus den Werken
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Anderer, bald überarbeitet, wie das des Pl inius, bald nur schematisch
zusammengestellt, wie im Mittelalter die Specula des Vinc
e n t i u s Bellovacensis, bald ohne alle Ordnung wie die Bibliothek
des P h o t i o s ; zum Theil weitläuftige Werke, wie die genannten,
zum Theil compendienartig abgekürzt, wie die Etymologien
des I s idor US H i s p a l e n s i s . So oft sich aber dergleichen
Werke in der Literatur Geltung verschafften, verkündigten sie die
gesunkene oder sinkende Productivität des Volkes oder gar der
Zeit, der sie angehörten. Und was noch mehr zu beklagen, bis
zur Erfindung der Buchdruckerkunst erdrückten sie gleichsam einen
grossen Theil der bessern Werke, aus deren Lappen sie
selbst zusammengeflickt waren. In ihnen, bildete man sich ein,
wie in einer Nussschale ganze Literaturen zu besitzen, und liess
die Originale schonungslos untergehen. Gern gebe ich zu, dass
des Plinius Werk, wie das erste, so das beste der ganzen Klasse
ist, dass darin, wenn nicht für Pflanzenkunde, doch für andere
Fächer, neben den Excerpten auch eigene Beobachtung und richtiges
Urtheil steckt: verleugnen kann es gleichwohl weder die
Grundfehler der Klasse, zu der es gehört, noch die Geistesarmuth
der Zeit, die sich in ihm abspiegelt.
Noch Eine Bemerkung sei mir gestattet. Die drei hervorragendsten
Männer des vorigen, dieses und des folgenden Buches,
C o l u m e l l a , Dioskorides, Galenos, waren von Geburt
nicht Römer , sondern der erste aus Spanien, die beiden andern
aus Kleinasien. Dasselbe gilt von der Mehrzahl der sonst noch
darin genannten oder zu nennenden Schriftsteller Nicht in der
versumpften Hauptstadt, die doch der Mittelpunkt aller Bildung
sein sollte, nur in der Verborgenheit entlegener Provinzen leuchtete
zuweilen noch ein Funke des Geistes auf; und wie mancher mag
erloschen sein, weil ihn die Hauptstadt anzog und erstickte!
1) Dieselbe Bemerkung machte T i r abos chi (sioria della lelteratura Ita-
Uana, edit. Rom. in i . tom. I I , pag. 28), doch nur um daraus den Verfall der
lateinischen Sprache zu erklären. Was würde ohne die Fremden aus der
W i s s e n s c h a f t , und dann auch aus der Sprache geworden sein?