A
Ì
2 B u c h 1. §. 1.
Medicin und Landwirthschaft, — denn die reine Naturforschung
hatte längst aufgehört, — finden wir sogar noch in steigender
Entwickelung, und erkennen leicht die Hauptursache dieser auf
den ersten Blick befremdenden Erscheinung.
Das Feld der politischen Beredtsamkeit, auf welchem sich
vordem talentvolle Eömer getummelt, war jetzt verschlossen, das
der gerichtlichen im Angesicht kaiserlicher Willkür ein trostloses
und gefährliches Spiel geworden. Man stieg nicht mehr durch
den Glanz des Verdienstes, sondern im Gegentheil durch ein verschmitztes
Geheimhalten der inneren Kraft. In der Lieratur hatten
Poesie und Geschichte die Hoflivree angelegt; Philosophie
zog die durchaus praktischen Römer niemals kräftig an, als nur
in so fern sie dem Redner nützte. Daher denn auch der einzige
Versuch der beiden S e x t i e r , Vater und Sohn, zu Rom eine
eigene der Stoa verwandte Schule der Philosophie zu gründen,
ungeachtet der Lobsprüche, die ihnen Seneca ertheilt, fast spurlos
vorüberging. So sah sich alle höhere geistige Thätigkeit der
Römer, so weit sie nicht in den gewöhnlichen Geschäften des Le -
bens oder in Hofintriguen aufging, nothwendig in solche Bahnen
gedrängt, die, wie Medicin und Landwirthschaft, ohne unmittelbar
den Hof und Staat zu berühren, doch ein nicht unbedeutendes
praktisches Interesse darboten. Der Arzt zumal genoss j a
stets, wie bei barbarischen Völkern, so auch unter gebildeten Tyrannen,
das Vorrecht der TJnentbärlichkeit.
Auch noch besonderer Vorrechte hatten sich die römischen
Aerzte zu erfreuen. Schon Julius Cäsar, um das durch die Bürgerkriege
erschöpfte Rom wieder zu heben, hatte ausser andern
Maassregeln auch allen nach Rom übersiedelnden Lehrern der
freien Künste, das heisst Grammatikern Philosophen und Rhetoren,
und mit ihnen zugleich den damals noch v^nig geachteten
Aerzten das römische Bürgerrecht verliehen i ) ; und Augustus, in
der Freude über seine fast wunderbare Lebensrettung durch eine
B u c h L §. 1. 3
desperate Kaltwasserkur seines Freigelassenen A n t o n i u s Mu s a
(M u s a s ist sein griechischer Name), ertheilte sämmtlichen in
Rom lebenden Aerzten, deren Zahl damals noch durch kein Gesetz
beschränkt war, die Immunität von bürgerlichen Lasten
Wie solche Begünstigungen zum Studium der Medicin anspornen,
griechische Aerzte nach Rom locken, und dem Vorurtheil der
Römer gegen die Medicin entgegenwirken mussten, ist klar; doch
eben so klar, wie dadurch die Charlatanerie noch mehr gefördert
ward als die Wissenschaft, so dass man sich, wie wir im nächsten
Buche sehen werden, die Vorrechte der Aerzte bald wieder
zu beschränken genöthigt sah.
Der früher hervorgehobene Gegensatz griechischer und römischer
Literatur verlor unter solchen Umständen mehr und mehr
von seiner Schroffheit. Griechen aller Art, besonders Aerzte und
Pädagogen strömten nach Rom, der Geschmack der Römer an
griechischer Leetüre und Declamation steigerte sich; junge vornehme
Römer, von Griechen erzogen, besuchten selbst Athen und
andere griechische Städte, um ihre Bildung an der Quelle zu
vollenden; in Rom spielten griechische Ansiedler und Freigelassene
nicht nur als Gelehrte, sondern oft auch als Hof - und Staatsmänner
grosse Rollen; immer häufiger und gewandter schrieben
auch Griechen latein und Römer griechisch; Sprachen und Nationalitäten
mischten sich wenigstens an der Oberfläche^ bis der in
der Tiefe fortbestehende Gegensatz später bei der Trennung des
morgen- und abendländischen Reichs mit neuer Kraft hervorbrach.
Für jetzt haben Mar also keinen Grund mehr, die Geschichte der
römischen von der der griechischen Pflanzenkunde zu trennen;
und bei der geringen Zahl griechischer Schriftsteller, deren ich
in diesem Buche zu erwähnen habe, würde eine solche Trennung
der Uebersicht mehr schaden als nützen, Mustern wir daher ohne
Rücksicht auf Nationalität zuerst die A e r z t e , dann die L a n d -
wi r the , denen die Pflanzenkunde nicht ganz fremd war; und
1) Sue tonti Julius Caesar^ cap. 42. 1) Dio Cassi US Lilly cap. 13.